Was ist das beste Verfahren für die Zerspanung?

Frankfurt a.M. / Hannover - Im Fertigungsumfeld stehen Produktionsverantwortliche wiederkehrend vor der Frage: Kommt weiterhin die klassische Zerspanung mithilfe von Kühlschmierstoff (KSS) zum Einsatz oder bieten mir Trockenbearbeitung bzw. Minimalmengenschmierung (MMS) eine Alternative? Mehrere Faktoren beeinflussen diese Entscheidung. In Teil 1 der zweiteiligen Fachartikelserie im Vorfeld der EMO Hannover 2019 nehmen Experten von Schmiersystemen und aus der Wissenschaft Stellung. Werkzeug- und Maschinenhersteller beleuchten die Thematik als Anwender in der Praxis in einem Folgebeitrag.

Während der Zerspanung entstehen in der Schnittzone besonders hohe Temperaturen. Kühlschmierstoffe verringern hierbei die Reibung, sorgen für Kühlung, allerdings unter Umständen auch für zerstörende Thermoschocks, und unterstützen den Abtransport der Späne. Nachdem einige Experten um die Jahrtausendwende einen Durchbruch der Trockenbearbeitung als substituierendes Verfahren prognostizierten, ist es Zeit, nach dem aktuellen Stand der Technik zu fragen. In welchen Bereichen konnte sich dieses Verfahren oder auch die Minimalmengenschmierung als Quasi-Trockenbearbeitung mit welchem Umfang durchsetzen? Für eine umfassende Einschätzung aus verschiedenen Blickwinkeln nennen Schmiersystemhersteller, Maschinen- sowie Werkzeuganbieter und Wissenschaftler in dem zweiteiligen Fachbericht die Vor- und Nachteile der genannten Technologien.

Serienbearbeitungen besonders interessant


„Der Hauptanwendungsbereich für die Minimalmengenschmierung liegt in der Bearbeitung von Urformteilen, wie sie in der Großserienfertigung in der Automobilindustrie – insbesondere im Powertrain – vorkommen. Das geht vom Zylinderkopf und Motorblock über Kurbel- oder Nockenwelle, Pleuel bis zu Getriebegehäuse, Radträger etc.“, weiß Jürgen Keppler vom Technischen Vertrieb der bielomatik Leuze GmbH + Co. KG in Neuffen. Das Maschinenbauunternehmen aus Baden-Württemberg gilt als anerkannter Spezialist für die Entwicklung und Herstellung hochwertiger MMS-Systeme. „Weitere Einsatzbereiche im Industrieumfeld sind die Bearbeitung kubischer Bauteile und die Gussbearbeitung im Maschinenbau, wie Armaturen, Pumpengehäuse oder Ventile. Auch in der Luftfahrtindustrie ist es ein großer Vorteil, wenn komplexe Bauteile nicht mit Emulsion überschwemmt werden.“

Der Experte schätzt, dass bei Neuinvestitionen im Großserienbereich circa 15 Prozent der Bauteile mit MMS bearbeitet werden, wobei z.B. beim Tieflochbohren in Kurbelwellen bis zu 70 Prozent erreicht werden. „In den oben genannten Anwendungsgebieten wird sich die MMS-Bearbeitung aber weiter durchsetzen“, ist Keppler überzeugt. „Der vor rund 20 Jahren prognostizierte Aufschwung der MMS-Bearbeitung ist hauptsächlich im Automotive-Bereich eingetreten. Hier konnten bei den Guss- und Schmiedeteilen prozesstechnisch die Vorteile der MMS voll ausgeschöpft werden und andererseits – angesichts der hohen Stückzahlen – die damit verbundenen F&E-Maßnahmen gestemmt werden. Auch mit den bevorstehenden Veränderungen im Zusammenhang mit der E-Mobilität und der additiven Fertigung wird es neue Anwendungsbereiche geben. Der große Vorteil der MMS liegt in der Kosteneinsparung bei den Ressourcen Öl, Wasser und Energie.“

Weitere Vorteile seien trockene Werkstücke, keine Verschleppung von Emulsion mit der einhergehenden Verschmutzung in den Fertigungshallen und die Verhinderung der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken. „Durch die ständigen Weiterentwicklungen bei Werkstoffen und Anwendungen werden auch immer neue Anforderungen an die Zerspanungsprozesse und somit an die MMS-Systeme gestellt, was sicherlich noch interessante Lösungen hervorbringen wird“, so Keppler.

Was sagt die Wissenschaft?


„Durch moderne Schneidstoffe ist die Trockenbearbeitung in nahezu allen Bereichen der spanenden Fertigung angekommen. Der zunehmende Kostendruck, aber auch energieverbrauchs- und ökologische Aspekte sorgen für eine Renaissance dieser Technologien“, sagt Abteilungsleiter Zerspanung Dr. Ivan Iovkov vom Institut für Spanende Fertigung ISF der Technischen Universität Dortmund.

„Nicht nur beim klassischen Fräsen oder Drehen hält die Trockenbearbeitung Einzug, auch bei anspruchsvollen Verfahren wie z.B. dem Tiefbohren und dem Wälzfräsen bestehen Bestrebungen, den KSS-Einsatz zu minimieren oder komplett zu vermeiden. Nach wie vor ist aber eine gewisse Anpassung der Zerspanprozesse und der Technologie erforderlich.“

Tendenziell sei bei großen Unternehmen mit hohen Stückzahlen die Trockenbearbeitung stärker verbreitet als bei kleineren Firmen mit variierenden, hochgenauen und komplexen Komponenten.

„Aus meiner Sicht wird es in Zukunft sowohl Trocken- als auch Nassbearbeitung geben“, so seine Prognose. „Wir benötigen für die richtige Entscheidung einen ganzheitlichen Blick auf die Fertigung, ob eine Trockebearbeitung sinnvoll ist und wann diese unverhältnismäßig hohe Prozessanpassungsaufwände verlangt. Aufgrund der stetigen Weiterentwicklung der MMS-Gerätetechnologie und der Beschichtungen sowie der zunehmenden Genauigkeit des Maschinenparks, aber auch der Digitalisierung, beispielsweise durch In-Prozess-Sensorüberwachung relevanter Größen, wird es in Zukunft möglich sein, zunehmend mehr Zerspanprozesse trocken oder mit MMS unter robusten Bedingungen durchzuführen.“

Resümee

Von einer umfassenden Ablösung klassischer Zerspanungsprozesse durch die Trockenbearbeitung oder Minimalmengenschmierung kann zwar nicht gesprochen werden, denn insgesamt machen die Nassbearbeitungen mit umfangreicheren Mengen an Kühlschmierstoff geschätzt immer noch über 85 Prozent des Anteils aus. Nichtsdestotrotz erobern sich die trockenen Verfahren immer mehr Bereiche sowohl im allgemeinen Zerspanungsumfeld als auch insbesondere in speziellen Gebieten.

Im in Kürze folgenden zweiten Teil des Fachartikels werden darüber hinaus Werkzeuge- und Maschinenhersteller praxisnah Stellung zu den verschiedenen Fertigungstechnogien nehmen sowie Empfehlungen für eine ganzheitliche Betrachtung geben.

Um für die eigenen Anwendungen die passende Technologie zu finden, erhalten Fachbesucher auf der EMO Hannover 2019 für jeden Fall umfassende Informationen und Unterstützung.

Über die EMO Hannover 2019 – Weltleitmesse der Metallbearbeitung

Vom 16. bis 21. September 2019 präsentieren internationale Hersteller von Produktionstechnologie auf der EMO Hannover 2019 smarte Technologien. Unter dem Motto „Smart technologies driving tomorrow’s production!“ zeigt die Weltleitmesse der Metallbearbeitung die gesamte Bandbreite moderner Metallbearbeitungstechnik, die das Herz jeder Industrieproduktion ist. Vorgestellt werden neueste Maschinen plus effiziente technische Lösungen, Produkt begleitende Dienstleistungen, Nachhaltigkeit in der Produktion u.v.m.
Der Schwerpunkt der EMO Hannover liegt bei spanenden und umformenden Werkzeugmaschinen, Fertigungssystemen, Präzisionswerkzeugen, automatisiertem Materialfluss, Computertechnologie, Industrieelektronik und Zubehör. Die EMO Hannover ist der wichtigste internationale Treffpunkt für die Fertigungstechnik weltweit. Zur EMO Hannover 2017 zogen fast 2.230 Aussteller aus 44 Ländern rd. 130.000 Fachbesucher aus 160 Ländern an.
EMO ist eine eingetragene Marke des europäischen Werkzeugmaschinenverbands Cecimo.


Quelle und Vorschaubild:
VDW Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken e.V.

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