Verteidigungsinvestitionen schaffen in Deutschland 360.000 Industriejobs

von Hubert Hunscheidt

In den kommenden zehn Jahren werden die europäischen NATO-Länder ihre Verteidigungsausgaben massiv erhöhen – die direkten Verteidigungsausgaben sollen auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen, das entspricht jährlichen Ausgaben von etwa 770 Milliarden Euro. Allein in Ausrüstung sollen die NATO-Länder etwa 217 Milliarden Euro im Jahr investieren. Weitere 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) sollen in sicherheitsrelevante Investitionen fließen, etwa in die Anpassung der Verkehrsinfrastruktur. Von den 217 Milliarden Euro, die jährlich in den Rüstungssektor fließen werden, entfallen auf Deutschland etwa 32 Milliarden Euro und damit knapp 15 Prozent des Etats.

Diese Investitionen werden in den kommenden Jahren zu erheblichen volkswirtschaftlichen Impulsen führen. Für Deutschland bedeutet dies einen Anstieg des BIPS bis 2029 um insgesamt 0,7 Prozent, wodurch jährlich 360.000 Arbeitsplätzen in Deutschland gesichert beziehungsweise geschaffen werden können.

Zu diesem Fazit kommen die Beratungsgesellschaft EY-Parthenon und die DekaBank in ihrer neuen Studie „Der Weg zur europäischen Souveränität: Verteidigung“.

„Bis 2035 werden sich die direkten Verteidigungsinvestitionen der europäischen NATO-Staaten insgesamt auf fast 2.200 Milliarden Euro belaufen – nur so lassen sich die Ausrüstungsziele, zu denen sie sich im Zusammenhang mit dem 5-Prozent-BIP-Ziel verpflichtet haben, erreichen und obendrein ein möglicher Wegfall amerikanischer Systeme kompensieren“, sagt Jan Friedrich Kallmorgen, Partner bei EY-Parthenon mit Schwerpunkt auf Geostrategie und Defense. „Da das Gros der Investitionssumme an europäische Unternehmen fließt – lediglich etwa ein Drittel geht nach unserer Analyse bislang an US-Firmen –, wird die europäische Rüstungsindustrie in den kommenden Jahren ein massives Wachstum erleben.“

„Für Europa stellt die Verteidigungsindustrie einen wirtschaftlich stabilisierenden Faktor dar, der selbst bei konjunkturellen Schwankungen die europäischen Volkswirtschaften stützt“, ergänzt Dr. Matthias Danne, Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der DekaBank. „Das Wachstumspotenzial für die Rüstungsindustrie und für angrenzende Branchen ist enorm. Dieses Wachstum werden die Unternehmen auch über den Kapitalmarkt finanzieren. Entsprechend eröffnen sich für Anleger in dem Bereich Investitionschancen“.

Positive volkswirtschaftliche Effekte – vor allem in Deutschland

Die Wachstumseffekte gehen deutlich über die Rüstungsbranche hinaus: Mit den jährlichen Investitionen wird laut der Studie in der europäischen Rüstungsbranche eine Bruttowertschöpfung im Wert von rund 40 Milliarden Euro und zusätzlich entlang der Lieferkette und weiterer Sektoren 109 Milliarden Euro angestoßen. Das bedeutet: Jeder Euro, den die Rüstungsindustrie erwirtschaftet, löst etwa 2,70 Euro an zusätzlicher Wirtschaftsleistung in Europa aus.

Dr. Ferdinand Pavel, EY-Parthenon Chief Economist: „Gesteigerte Investitionen in die europäische Sicherheit setzen eine weitreichende industrielle Dynamik in Gang, die über nationale Grenzen hinausreicht. Die dadurch ausgelöste Nachfrage nach Rüstungs- und Verteidigungsgütern führt zu einer erheblichen Nachfrage an Gütern und Dienstleistungen entlang diverser Lieferketten.“

Besonders stark profitieren in Europa neben Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Polen. Hier werden die Investitionen der europäischen Bündnisstaaten eine besonders hohe Nachfrage erzeugen. Denn: Ein erheblicher Teil, 323 Milliarden Euro (circa 15 Prozent) des zu erwartenden Investitionsbedarfs von europaweit 2.200 Milliarden Euro wird in den kommenden zehn Jahren von Deutschland erbracht werden müssen. Auf der anderen Seite entfällt auf die deutsche Industrie ein ebenso großer Teil der Produktion von Verteidigungsgütern. Ein noch höherer Anteil entfällt auf die USA, die jährlich Aufträge aus Europa in Höhe von etwa 72 Milliarden Euro erhalten, was 33 Prozent der Gesamtausgaben der europäischen NATO-Länder entspricht. Hinter Deutschland mit einem Anteil von 15 Prozent liegen im Ranking der Hersteller-Nationen das Vereinigte Königreich (14 Prozent), Polen (11 Prozent) und Frankreich (8 Prozent).

Der Standort Deutschland profitiert insgesamt stark vom europaweiten Anstieg der Rüstungsausgaben: Während Deutschland bei Rüstungsunternehmen im In- und Ausland Rüstungsgüter für rund 32 Milliarden Euro pro Jahr kaufen wird, wird bei den deutschen Rüstungsunternehmen durch Aufträge aus dem In- und dem europäischen Ausland eine Bruttowertschöpfung von 39 Milliarden Euro im Jahr entstehen – das entspricht knapp 0,9 Prozent des deutschen BIP. Hinzu kommt: Öffentliche Einnahmen (Körperschaftssteuer, Einkommenssteuer und Sozialversicherungseinnahmen) steigen um jährlich etwa 4,1 Mrd. Euro. Auch die Arbeitsmarkteffekte sind erheblich: Die europäischen Verteidigungsinvestitionen sorgen in Deutschland jährlich für 356.000 Voll- und Teilzeitstellen.

Positive globale Beschäftigungseffekte

Die Beschäftigungseffekte sind ebenfalls groß: In NATO-Europa schaffen und sichern die Investitionen in Verteidigungs- und Rüstungsgüter rund 1,9 Millionen Arbeitsplätze – davon fast 600.000 direkt in der Rüstungsindustrie und knapp eine Million indirekt bei Zulieferern.

Weltweit werden knapp 5 Millionen Stellen durch die europäischen Verteidigungsinvestitionen geschaffen beziehungsweise gesichert. In den Vereinigten Staaten gibt es einen Beschäftigungseffekt von mehr als 600.000 Jobs durch europäische Rüstungsinvestitionen.

„Angesichts der aktuellen Krise vieler Industriebranchen, die einen kräftigen Stellenabbau nach sich zieht, kann der Aufschwung der Verteidigungsindustrie einen volkswirtschaftlich wichtigen Gegenimpuls setzen“, prognostiziert Pavel. „Allerdings besteht die Herausforderung darin, einen reibungslosen Übergang von Personal und Produktionsstätten zu managen. Immerhin: Erste Kooperationen zwischen Automobil- und Rüstungskonzernen zeigen den Weg.“

Unternehmen aus dem Verteidigungssektor mit Umsatzwachstum

Die geplante Steigerung der europäischen Rüstungsausgaben wird dazu führen, dass europaweit zusätzlich jährlich 320 Milliarden Euro für Rüstungsgüter ausgegeben werden. Da ein Großteil der Investitionen in Europa verbleibt, kann sich die europäische Verteidigungsindustrie auf ein erhebliches Umsatzwachstum von 40 bis 50 Prozent einstellen. Knapp 60 Prozent der Investitionsströme sollten sich zwischen Deutschland, dem Vereinigten Königreich und Frankreich verteilen. Die hier beheimateten Unternehmen sollten überproportional profitieren.

„Selbst wenn es zu einer Waffenruhe in der Ukraine kommt, wird sich das Wachstum der europäischen Verteidigungsindustrie in den kommenden Jahren beschleunigen“, ist sich Kallmorgen sicher. „Ein positives Signal für den Kapitalmarkt, denn die Unternehmen brauchen liquide Mittel für die notwendigen Investitionen in ihre Expansion. Dabei wird sich die finanzielle „Stabilität der Rüstungsunternehmen als struktureller Vorteil erweisen, was sich sowohl für strategische als auch für private Anleger auszahlen könnte. Die großen Rüstungsunternehmen weisen eine unterdurchschnittliche Nettoverschuldung und solide Finanzkennzahlen auf“, bestätigt Deka-Vorstand Danne. „Die europäische Verteidigungsindustrie ist ein starker Motor und ein stabilisierender Faktor für die europäische Wirtschaft“, stellt Danne heraus.

Bereits heute werden in der europäischen Verteidigungsindustrie deutliche Wachstumssteigerung erwirtschaftet: Zwischen 2018 und 2021 lag das jährliche durchschnittliche Umsatzwachstum europäischer Verteidigungsunternehmen bei 5,0 Prozent, im Zeitraum 2021 bis 2027 wird das jährliche Wachstum laut EY-Parthenon Prognose bei 13,3 Prozent liegen. Auch die Profitabilität des Sektors steigt – dank der guten Auftragslage: So wird die Marge der Unternehmen von 10,9 Prozent im Zeitraum 2018 bis 2021 auf 13,1 Prozent im Zeitraum 2021 bis 2027 zulegen. Die steigenden Investitionen stärken die europäische Rüstungsindustrie und leisten einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zu einem souveränen Europa.

Quelle: EY Corporate Solutions GmbH & Co. KG / Foto: marketSTEEL