Ukraine und Energiepreise verschlechtern wirtschaftliche Aussichten

von Hubert Hunscheidt

Das Vorkrisenniveau aus dem 4. Quartal 2019 wird voraussichtlich erst im 3. Quartal 2022 wieder erreicht. Die aktuelle geopolitische Situation bringt eine sehr große Unsicherheit über die weitere konjunkturelle Entwicklung mit sich.

Vor Ausbruch des Krieges sprachen sowohl die zunehmende Industrieproduktion als auch der robuste Arbeitsmarkt für eine konjunkturelle Erholung. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nun drastisch verschlechtert. „Durch den Krieg werden die wegen der Corona-Pandemie bereits angespannten Lieferketten zusätzlich beeinträchtigt. Gleichzeitig belasten die nochmals kräftig gestiegenen Preise für Erdgas und Erdöl die Unternehmen und den privaten Konsum,“ erklärt Achim Truger, Mitglied des Sachverständigenrates. Im Sommerhalbjahr 2022 dürfte jedoch der Konsum kontaktintensiver Dienstleistungen zunehmen und positiv zur Entwicklung des BIP beitragen. Die Corona-Pandemie stellt aber weiterhin ein Risiko für das Wachstum dar.

Die stark gestiegenen Preise für Energieträger und die verzögerte Weitergabe der gestiegenen Energiekosten der Unternehmen an die Endkunden wird die Verbraucherpreise in diesem Jahr weiter steigen lassen. Daher rechnet der Sachverständigenrat mit einer Inflationsrate von 6,1 % im Jahr 2022. Im kommenden Jahr dürfte die Inflationsrate dann auf 3,4 % zurückgehen. „Die hohe Inflation und die steigenden Inflationserwartungen werden voraussichtlich die Tarifverhandlungen beeinflussen. Die Dynamik für Lohnforderungen dürfte ab dem zweiten Halbjahr 2022 zunehmen. Damit steigt das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale,“ sagt Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrates. Für das Jahr 2022 erwartet der Sachverständigenrat ein Wachstum der von den Unternehmen tatsächlich gezahlten Löhne (Effektivlöhne) von 2,5 %. Im kommenden Jahr dürften die Löhne um 4,4 % steigen.

Im Euro-Raum belasten der Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie die Engpässe insbesondere bei Vorprodukten und Arbeitskräften die wirtschaftliche Entwicklung. Positive Impulse ergeben sich aus dem stabilen Arbeitsmarkt, dem privaten Konsum sowie dem Staatskonsum, der nicht zuletzt durch die Umsetzung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne in den Mitgliedstaaten expandiert. Daher rechnet der Sachverständigenrat im Euro-Raum mit einem Wachstum des BIP von 2,9 % im Jahr 2022 und 2023.

Die vorliegende Prognose ist mit sehr großer Unsicherheit behaftet. Die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine lassen sich aktuell nur schwer abschätzen: Insbesondere eine weitere Verschärfung des Konfliktes sowie eine Ausweitung der Sanktionen können die deutsche und europäische Wirtschaft deutlich stärker belasten. „Deutschland ist stark von russischen Energielieferungen abhängig. Ein Stopp dieser Lieferungen birgt das Risiko, dass die deutsche Volkswirtschaft in eine tiefere Rezession abrutscht und die Inflation noch stärker zunimmt“, erläutert Monika Schnitzer, Mitglied des Sachverständigenrates.

„Deutschland sollte umgehend alle Hebel in Bewegung setzen, um sich gegen einen möglichen Stopp russischer Energielieferungen zu wappnen und gleichzeitig die Abhängigkeit von diesen Importen rasch zu beenden,“ fordert Volker Wieland, Mitglied des Sachverständigenrates. So kann die Energiesicherheit in Deutschland auf Dauer erhöht werden – auch wenn dadurch die Energiepreise für einige Zeit erhöht bleiben würden. Eine höhere Energiesicherheit stärkt die Position Deutschlands und der EU gegenüber Russland. Gleichzeitig kann über eine größere Unabhängigkeit die Resilienz der deutschen Volkswirtschaft gesteigert werden.

Quelle: Sachverständigenrat im Statistischen Bundesamt / Foto: Jörg_Trampert_pixelio.de

Zurück