Rohstoffe kompakt: Eisenerz lässt Metalle alt aussehen

Frankfurt/M. - Der Eisenerzpreis ist jüngst auf ein 6½-Jahreshoch gestiegen. Den Auftrieb hat er nach Meinung der Commerzbank aufgrund der allgemein guten Marktstimmung, wegen der Angebotssorgen und aufgrund einer robusten Nachfrage erhalten. Die Angebotssorgen haben sich bislang aber nicht im befürchteten Umfang materialisiert und die Nachfrage dürfte an Dynamik verlieren. Die Commerzbank erwartet daher eine deutliche Preiskorrektur, hat ihre Prognose aber nach oben angepasst.

Wie die Commerzbank berichtet, hat an der SGX in Singapur der meistgehandelte Futures-Kontrakt für Eisenerz jüngst die Marke von 120 USD je Tonne übersprungen. Mit rund 125 USD notierte er auf dem höchsten Stand seit 6½ Jahren. Sein Pendant an der DCE im chinesischen Dalian kletterte zeitweise auf umgerechnet über 130 USD je Tonne, das höchste Niveau seit über zwölf Monaten. Seit Jahresbeginn hat sich Eisenerz damit um 36% (SGX) bzw. 40% (DCE) verteuert. Damit stellt Eisenerz klar die Industriemetalle in den Schatten, die seit Jahresbeginn „nur“ leicht im Plus sind. Nachdem die Commerzbank Ende Juli die aktuelle Lage an den Industriemetallmärkten analysiert hat, wirft sie hier in dieser Ausarbeitung einen Blick auf den Eisenerzmarkt.

Verfrühte Angebotssorgen

Was steckt hinter dem starken Preisanstieg? Rückenwind erhielt Eisenerz in den letzten Monaten laut Commerzbank sowohl von der Angebots- als auch der Nachfrageseite, genauer gesagt durch Angebotssorgen in Brasilien und einer starken Nachfrage in China. Brasilien ist hinter China und Australien der weltweit drittgrößte Eisenerzproduzent und hinter Australien die Nummer 2 bei den Exporten. Das Land ist besonders stark von der Corona-Pandemie betroffen. Nach den USA weist es die meisten Covid-19-Infektionen und Todesfälle auf. Bei den Marktteilnehmern kam daher die Sorge auf, dass umfangreiche Lockdown-Maßnahmen ergriffen werden könnten, welche die Produktion und den Transport von Eisenerz beeinträchtigen würden.

Das in Brasilien beheimatete weltweit größte Eisenerzunternehmen hat zwar tatsächlich Maßnahmen ergriffen, um das Virus zu bekämpfen. Diese sollen laut Unternehmensangaben auch Produktion kosten, allerdings nicht so viel wie von manchem Marktteilnehmer befürchtet. Das Unternehmen hat erst Anfang Juli seine Prognose für dieses Jahr bestätigt und deutlich mehr Angebot für das zweite Halbjahr angekündigt.

Brasilianische Eisenerzexporte noch unter Vorjahr

Die Corona-Maßnahmen spiegeln sich allerdings in geringeren Exporten wider: Daten des Industrie- und Außenhandelsministeriums zufolge hat Brasilien in den ersten sieben Monaten des Jahres 179 Mio. Tonnen Eisenerz ausgeführt, 9% weniger als im Vorjahr. Der Rückstand zum Vorjahr ist in den letzten Monaten aber kleiner geworden. So hat Brasilien im Juli die größte Menge Eisenerz seit letztem Oktober exportiert.

Anfang Juli hatte das australische Ministerium für Industrie, Wissenschaft, Energie und Rohstoffe in seinem Quartalsbericht deutliche Abstriche für Brasilien vorgenommen. Es erwartet für dieses Jahr aber immer noch Exporte in Höhe von 366 Mio. Tonnen aus dem südamerikanischen Land. Bezogen auf die aktuellen Daten geht es von einer spürbaren Erholung der brasilianischen Exporte im weiteren Jahresverlauf aus. Es erwartet sogar, dass das Vorjahresniveau noch übertroffen wird. 2019 waren Produktion und Exporte stark durch den „Brumadinho“-Dammbruch bei der „Corrego do Feijão“-Mine im Bundesstaat Minas Gerais beeinträchtigt. Bis das 2018er-Niveau wieder erreicht wird, dürften aber noch Jahre vergehen.

Die brasilianische „S11D“-Mine ist die weltweit größte Eisenerzmine

Unterdessen hat der brasilianische Produzent seine Expansionspläne, die wegen des Coronavirus zeitweise auf Eis lagen, wieder aufgenommen. Eines dieser Projekte ist „Serra Sul 120“, das die Produktionskapazität in der „S11D“-Mine bis zum Jahr 2024 um 20 Mio. auf 120 Mio. Tonnen p.a. bringen soll. Hierzu sind laut Unternehmensangaben Investitionen in Höhe von 1,5 Mrd. USD nötig. Die „S11D“-Mine ist schon jetzt die weltweit größte Eisenerzmine. Der Produzent ist zuversichtlich, im übernächsten Jahr insgesamt 400 Mio. und im Jahr 2027 rund 450 Mio. Tonnen Eisenerz produzieren zu können. Ursprünglich wurde die 400 Mio. Tonnen-Marke für 2019 angepeilt. Dieses Ziel musste wegen des Dammbruchs und des Coronavirus-Ausbruchs aber fallen gelassen werden.

Australien exportiert rekordhohe Mengen Eisenerz

Für Australien selbst geht das Ministerium in diesem Jahr von rekordhohen Eisenerzausfuhren aus. Die geschätzten 866 Mio. Tonnen stellen aber nur ein Etappenziel dar. Schon nächstes Jahr soll die Marke von 900 Mio. Tonnen geknackt werden. Die großen angelsächsischen Minenunternehmen weiten ihre Eisenerzproduktion auf dem fünften Kontinent kontinuierlich aus. Hierbei gehen im nächsten Jahr in der Pilbara-Region im Westen des Landes drei neue Minen in Betrieb: „South Flank“ (80 Mio. Tonnen p.a.), „Eliwana“ (30 Mio. Tonnen p.a.) und „Marillana“ (bis zu 20 Mio. Tonnen p.a.). Teilweise werden mit diesem neuen Angebot aber auch Minen ersetzt, die bald erschöpft sind.

Um die immer größer werdende Menge verschiffen zu können, werden auch die Hafenkapazitäten erweitert, so zum Beispiel in Port Hedland. Dort werden die Kapazitäten um 40 Mio. auf 330 Mio. Tonnen p.a. ausgebaut. Port Hedland ist der weltweit größte Verladehafen für Eisenerz.

Eine starke Nachfrage aus China

Für die wachsende Menge Eisenerz vor allem aus Australien gibt es dem Ministerium zufolge auch entsprechenden Bedarf, nämlich in China. Denn dort läuft die Stahlproduktion auf Hochtouren, was sich in einer hohen Nachfrage nach qualitativ hochwertigem Eisenerz aus Australien und Brasilien niederschlägt. Gemäß Daten des Nationalen Statistikbüros (NBS) hat China im Juni erstmals mehr als 3 Mio. Tonnen Stahl pro Tag produziert. Im Juli blieb die Stahlproduktion demnach nur marginal hinter dem Rekordwert des Vormonats zurück. Der Juli war bereits der dritte Monat in Folge, in dem mehr als 90 Mio. Tonnen Stahl hergestellt wurden. In den ersten sieben Monaten des Jahres summiert sich die chinesische Stahlproduktion den NBS-Daten zufolge auf 593 Mio. Tonnen. Die chinesischen Stahlhütten sind somit auf Kurs, in diesem Jahr erstmals die Marke von 1 Mrd. Tonnen zu durchbrechen, trotz des Corona-bedingten Lockdowns zu Jahresbeginn.

Chinesische Stahlproduktion und Eisenerzimporte zuletzt deutlich gestiegen

Die chinesischen Stahlproduzenten profitieren seit Monaten von einer robusten inländischen Stahlnachfrage. Diese wird durch Infrastrukturmaßnahmen der Regierung gestützt. Laut Analyse von S&P Global Platts wurden in den ersten sieben Monaten des Jahres zahlreiche neue Infrastrukturprojekte genehmigt, deren Bau in den kommenden Monaten beginnen soll und die in den nächsten fünf Jahren abgeschlossen werden sollen. Dazu zählen 14 Flughafenprojekte sowie 22 Schienen- und Stadtbahnprojekte. 16 weitere Projekte sollen bald bewilligt werden. Diese Projekte dürften viele Millionen Tonnen Stahl verschlingen.

Hinzu kommt kurzfristiger Bedarf zum Wiederaufbau nach den Überschwemmungen entlang des Jangtse-Flusses im Juli. Allerdings ist der Preis für Betonstahl an der SHFE in China in diesem Jahr bislang „nur“ um knapp 7% gestiegen, deutlich weniger als der Eisenerzpreis. Dies schmälert die Margen der Stahlhütten, was diese jedoch nicht davon abhält, den Fuß weiter auf dem Gaspedal zu behalten.

Die hohe Stahlproduktion Chinas verschlingt Unmengen Eisenerz. Da ist es nicht verwunderlich, dass China im Juli gemäß Daten der Zollbehörde mit fast 113 Mio. Tonnen eine rekordhohe Menge Eisenerz eingeführt hat. Dabei dürften die chinesischen Händler auch opportunistisch gehandelt und die niedrigen Preise im Frühjahr – Eisenerz kostete zwischen 80 und 90 USD je Tonne – zu umfangreichen Käufen genutzt haben. Zwischen den Käufen und den Importen liegen in der Regel zwei bis drei Monate.

In den ersten sieben Monaten des Jahres belaufen sich die Importe auf rund 660 Mio. Tonnen, knapp 12% mehr als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Damit dürfte China auch in diesem Jahr deutlich mehr als 1 Mrd. Tonnen Eisenerz importieren.

Dass China zuletzt überhaupt so große Mengen Eisenerz einführen konnte, ist ein Zeichen dafür, dass es in den letzten Monaten genügend Angebot gab. Allerdings könnte China mit den hohen Käufen anderen Ländern Material „weggenommen“ haben. Diese haben jedoch wegen ihrer stark rückläufigen Stahlproduktion ohnehin weniger Eisenerz nachgefragt (s.u.). Mittlerweile müssen die chinesischen Stahlproduzenten wieder deutlich mehr für importiertes Eisenerz bezahlen. Daher könnten sie demnächst verstärkt auf heimisches Eisenerz zurückgreifen, das jedoch von geringerer Qualität ist. Dies könnte dennoch die Importdynamik bremsen.

Weltweite Stahlproduktion im ersten Halbjahr um 6% gegenüber Vorjahr gefallen

Bei aller Euphorie hinsichtlich China darf man auch nicht vergessen, dass China die Probleme in anderen Regionen/Ländern nur überdeckt. So ist die weltweite Stahlproduktion gemäß Daten des Weltstahlverbands im ersten Halbjahr um 6% gegenüber Vorjahr auf 873 Mio. Tonnen gefallen, trotz der rekordhohen Produktion in China. In der EU wurde fast 19% weniger Stahl hergestellt, in Nordamerika knapp 18% weniger. Laut Einschätzung des Stahlanalysehauses MEPS dürften im Gesamtjahr 2020 weltweit rund 1,8 Mrd. Tonnen Stahl produziert werden. Dies wären aber rund 4% weniger als im Vorjahr.

Nachfrage nach Eisenerz könnte in diesem Jahr geringer ausfallen

Das weltweit größte Minenunternehmen äußerte sich im Rahmen der Präsentation seiner Gesamtjahresergebnisse etwas pessimistischer: Es erwartet für 2020 einen Rückgang um 6%. Entsprechend sollte auch die Nachfrage nach Eisenerz in diesem Jahr geringer ausfallen. Dies scheinen die Marktteilnehmer aus dem Blickfeld verloren zu haben. Die Länder außerhalb Chinas standen im letzten Jahr immerhin für rund ein Drittel aller seewärtigen Importe. Im nächsten Jahr soll sich die Stahlproduktion laut MEPS um 2,8% erholen, sofern das Coronavirus eingedämmt ist und es keine neuen Lockdown-Maßnahmen gibt. Hier ist das erwähnte Minenunternehmen aus Australien wiederum optimistischer: In einer vorläufigen Einschätzung erwartet es für 2021 ein Plus von 6%.

Marktentspannung erwartet

Die Erholung der Stahlproduktion im nächsten Jahr spricht dann wieder für eine höhere Nachfrage nach Eisenerz. Allerdings werden sich aus heutiger Sicht auch die Eisenerzproduktion und die -exporte in Brasilien erholen. Davon ist nicht nur das weltgrößte Minenunternehmen überzeugt. Die wegen des Coronavirus befürchteten hohen Angebotsausfälle in Brasilien sind bislang ausgeblieben. Australien festigt mit der Inbetriebnahme neuer Minen seine Stellung als zweitgrößter Eisenerzproduzent hinter China. Alles in allem kommt also wieder deutlich mehr Angebot an den Markt. Die chinesische Stahlproduktion wiederum dürfte in absehbarer Zeit ein Plateau erreichen, so dass die Nachfragedynamik bei Eisenerz abebben sollte. Laut Industriekreisen soll zudem aus Umweltgründen zukünftig mehr Stahlschrott in der Stahlproduktion eingesetzt werden. Stahlschrott wird im Elektroofenverfahren verwendet. Darin wird aber kein Eisenerz benötigt.

Commerzbank erwartet Preiskorrektur

Die Commerzbank hält den jüngsten Preisanstieg für übertrieben. Das aktuell hohe Preisniveau wäre nur bei einem äußerst angespannten Markt gerechtfertigt, den es nach Meinung der Research-Abteilung der Bank aber so nicht gibt. Dass perspektivisch wieder mehr Angebot zur Verfügung steht und sich die Marktlage entspannt, spiegelt sich in der Terminkurve wider. Wie an der Terminkurve zu erkennen ist, gehen die Marktteilnehmer mittel- bis langfristig offenbar von niedrigeren Preisen aus: Der Dezember-Kontrakt 2020 handelt bei 111 USD und der Dezember-Kontrakt 2021 bei 90 USD (Grafik 4).

Auch die Commerzbank erwartet in den nächsten Monaten deutlich niedrigere Eisenerzpreise. Wegen der noch ungebrochenen positiven Marktstimmung und der aktuell hohen Preise wird die Commerzbank aber ihre bisherige niedrige Prognose nach oben revidieren. Ende des Jahres erwartet die Commerzbank einen Eisenerzpreis von 100 USD je Tonne.

QuelleCommerzbank AG / Commerzbank Commodity Research  / Vorschaubild: fotolia

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