Rezessionsgefahr bei weiterer Eskalation der Ukraine-Krise

von Hubert Hunscheidt

Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) aktualisiert angesichts der veränderten Rahmenbedingungen seine Prognose der Wirtschaftsentwicklung in Deutschland 2022/23. Die Ukraine-Krise hat erhebliche negative Auswirkungen auch auf die deutsche Wirtschaft. Die Unsicherheit ist merklich gestiegen und der dadurch bedingte weitere kräftige Anstieg der Energiepreise erhöht die Inflation und senkt die reale Kaufkraft. Unter den aktuellen, deutlich verschlechterten Bedingungen wird für 2022 nun mit einem Wirtschaftswachstum von nur mehr 2 % und für 2023 mit einem von 3 % gerechnet. Bei noch weiterer Eskalation müsste – je nach Umfang etwaiger Gegensanktionen – gegebenenfalls sogar mit einer Rezession gerechnet werden. Die nochmals stark gestiegenen Energiepreise haben den erwarteten Rückgang der Verbraucherpreise „ausgebremst“. Vielmehr haben sich die Inflationserwartungen generell erhöht. Den Arbeitsmarkt hat dies bislang nicht berührt, und dürfte es auch erst im Fall einer bei eskalierender Ukraine-Krise schwächeren Wirtschaft tun.

Im Detail

Die für das Winterhalbjahr Corona-bedingt und wegen der Lieferkettenprobleme erwartete „Delle“ für die deutsche Konjunktur ist infolge der Ukraine-Krise im ersten Quartal dieses Jahres noch ausgeprägter ausgefallen. Teils sorgt die erhöhte Unsicherheit für Zurückhaltung bei Investitions- und Kaufentscheidungen, die nochmals stark erhöhten Energiepreise dämpfen aber auch die reale Kaufkraft. Insgesamt dürfte so das preis- und saisonbereinigte Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal dieses Jahres wie schon im Schlussquartal 2021 gesunken sein. Damit wird die Erholung der deutschen Wirtschaft von den Lockdown-bedingten Einbrüchen im Frühjahr 2020, Anfang 2021 und Ende 2021 weiter verschleppt.

Gleichzeitig haben die im Gefolge der Ukraine-Krise weiter kräftig gestiegenen Gas- und Ölpreise die Inflationsprobleme verstärkt. Zwar hat sich der Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber Ende letzten Jahres etwas vermindert, aber weit weniger stark als erwartet. Über erhöhte Produktionskosten haben sich so auch die allgemeinen Inflationserwartungen erhöht. Und die Ankündigungen vieler Unternehmen, ihre Preise anzuheben, könnte über kurz oder lang auch zu erhöhten Lohnforderungen führen. Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale, insbesondere wenn sie sich europaweit ausbreitet, würde dann auch den Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) zum Gegensteuern erhöhen. Dies wäre ebenfalls einer Erholung der Wirtschaft nicht förderlich, zumal in der aktuellen geopolitischen Situation. Auch wenn, wie erwartet, in diesem Jahr bestimmte Sondereffekte wegfallen und an den Märkten, an denen es zu Überhitzungen gekommen ist, es auch zu Preisrückgängen kommt, wird die Inflationsrate merklich langsamer sinken als erwartet. Eine Beruhigung der Ukraine-Krise würde wohl auch zu einem Rückgang der Energiepreise führen. Eine andauernde Eskalation könnte diese aber auch, insbesondere bei einem Lieferstopp russischer Öl- und Gasimporte, explodieren lassen.

Während sich auf der einen Seite wie erwartet mit Nachlassen der Pandemiewelle die Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft wieder verbessern, haben sie sich durch den Ukraine-Konflikt und durch die auch dadurch verstärkten Inflationsprobleme merklich verschlechtert. Die Sanktionen gegen Russland haben auch negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Für die folgende Prognose wird davon ausgegangen, dass die Kampfhandlungen in der Ukraine-Krise bald zu einem Ende kommen und sich die Situation nicht noch weiter verschärft. Dann könnten sich im weiteren Jahresverlauf die Energiemärkte zumindest so weit entspannen, dass der Inflationsdruck seitens der Energiepreise nachlässt. Jede weitere Eskalation jedoch würde die Bedingungen gegenüber diesen Annahmen nochmals verschlechtern.

Mit dem angekündigten Wegfall der Corona-Beschränkungen erhält die deutsche Wirtschaft schon durch die Erholung der bislang am stärksten eingeschränkten Wirtschaftsbereiche neue Impulse. Überdies dürften sich die bisherigen Lieferengpässe teilweise mindern und sich in der Industrie und in der Bauwirtschaft angesichts der hohen Auftragsbestände dort auch die Produktion in diesen Bereichen beleben. Teilweise könnte es allerdings auch zu neuen Störungen bei Zulieferungen durch die Sanktionen gegen Russland kommen. Der Aufholprozess sollte aber ab diesem Frühjahr wieder in Gang kommen, wenn nun auch mit geringerer Dynamik.

Auch wenn die privaten Haushalte ihre bisherige Kaufzurückhaltung allmählich lockern, so wird doch die anhaltend hohe Inflation deren reale Kaufkraft reduzieren, sodass der reale private Konsum weniger langsam zunehmen wird. Ähnlich ist die Situation auf Unternehmensseite. Auch die Investitionsbereitschaft wird durch die neuen geopolitischen Unsicherheiten tendenziell gedämpft. Die öffentlichen Ausgaben werden nach Auslaufen der Finanzhilfen nur gering steigen und die von der Regierung angekündigten Investitionen – auch das Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Mrd. Euro – benötigen Zeit zur Umsetzung. Die Exporte sollten von der recht dynamischen Weltwirtschaft profitieren, im Zuge des Aufholprozesses hierzulande werden aber auch die Importe steigen. Und die Sanktionen gegenüber Russland treffen auch die deutsche Wirtschaft. Da der Aufholprozess wegen der neuen Unsicherheiten weniger dynamisch sein wird als zuvor erwartet, wird sich auch das jahresdurchschnittliche Wirtschaftswachstum für 2022 auf 2 % (vorherige Prognose im Dezember 2021 für 2022: 3 ½ %) mindern. Vorausgesetzt, es kommt zu der hier angenommenen geopolitischen Entwicklung, dürften sich einige der Nachholeffekte ins Jahr 2023 verschieben. Dies und ein größerer Überhang zur Jahreswende 2022/23 könnten dann im Jahresdurchschnitt 2023 zu einem höheren Wirtschaftswachstum von 3 % (zuvor 2 %) führen. Bei weiterer Eskalation der Russland-Krise würde der Erholungsprozess allerdings weiter verschleppt.

Der Arbeitsmarkt sollte sich zunächst stabil entwickeln und die Zahl der Arbeitslosen weiter leicht zurückgehen. Bei stärkerer wirtschaftlicher Beeinträchtigung würde allerdings auch hier eine Verschlechterung eintreten. Die Anstiegsrate der Verbraucherpreise wird im weiteren Jahresverlauf schon wegen der wegfallenden Basiseffekte zurückgehen, aber wegen der hohen Energiepreise weniger langsam als bislang erwartet. Als Risikofaktoren bleiben aber einmal die weitere Entwicklung der Energiepreise, des Weiteren die künftige Lohnentwicklung. Beides würde die Inflation hoch halten, die EZB unter Druck setzen und den Aufholprozess dämpfen. Unter den aktuell kalkulierbaren Bedingungen sollte sich die Inflationsrate spätestens 2023 wieder nahe der 2-Prozent-Marke einpendeln.

Quelle: Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) / Foto: Fotolia

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