Ohne Schrott kein Stahl

von Alfons Woelfing

Sobald auf Deutschlands größtem Schrottplatz die Sonne scheint, beginnt er zu funkeln. Das Gelände der DEUMU glänzt so silbrig und metallisch, wie es nur Schätze können. Der Eindruck täuscht keineswegs – jeder der Schrottberge hier ist mehrere zehntausend Euro wert, selbst wenn der Schrottpreis sich nur zwischen 100 bis 200 Euro pro Tonne bewegt.Den Schatz hüten u. a. der DEUMU-Betriebsleiter Marko Klickermann und Uwe Mauersberger, Leiter Produktion und Verfahrenstechnik. Beide wissen genau, wie was zu verwerten ist – und was nicht. „Ein Auto aus Stahl wird zu mehr als 95 % verwertet“, sagt Marko Klickermann und Uwe Mauersberger ergänzt: „Dagegen weiß zum Beispiel von Bauteilen aus Carbon heute niemand, wie dieser Werkstoff je recycelt werden kann.“ Marko Klickermann nickt zustimmend: „Zudem findet bei der Stahl-Wiederverwertung kein so genanntes Downcycling statt wie bei Papier und Kunststoff. Stahl bleibt Stahl – und hat nach dem Recycling die gleiche Qualität wie bei seiner Herstellung.“

Schrott ist und bleibt ein wertvoller und wichtiger Sekundärrohstoff in der Stahlerzeugung

Ohne Stahlschrott wäre die deutsche Stahlindustrie nicht denkbar, denn er deckt 43 % ihres Bedarfs. Weltweit liegt der Anteil nur bei etwas mehr als einem Drittel – auch weil in China, wo fast die Hälfte des weltweit produzierten Rohstahls hergestellt wird, Stahlschrott nur 10 % zur Produktion beiträgt. In diesem Moment rollt wieder ein Lkw auf das DEUMU-Gelände. Er kommt aus Bad Harzburg, das nur 40 Kilometer von Salzgitter entfernt ist. Schrott ist ein regionales Produkt, so wie der Apfel vom Bauern aus dem Nachbardorf. „Die Hälfte unseres Schrotts kommt aus einem Umkreis von 150 bis 200 Kilometern“, sagt Marko Klickermann. Sehr weite Wege nimmt der Stahlschrott selten, nur in geringen Mengen kommt er aus Nachbarländern wie Tschechien und Polen. Lange Transportwege treiben die Preise zu stark in die Höhe. Einfach hereinfahren und ihren Schrott abladen dürfen die Lkw aber nicht. Jede Anlieferung nehmen die Experten der DEUMU genau unter die Lupe. Zwar ist das Material deklariert, dennoch wird alles kontrolliert – auch auf Radioaktivität hin. Selbst in den Greifern der Bagger sind Sensoren installiert, die sofort Alarm schlagen würden. Eine schwache Strahlung wird aber sehr selten verzeichnet.

Auch nach der Art der weiteren Verarbeitung wird unterschieden: Was muss in Schredder oder Schere, was kommt in das Fallwerk oder wird sogar von Hand mit dem Schneidbrenner zerteilt wie etwa die Kesselwagen der Bahn? „Wir unterscheiden zwölf verschiedene Fertigschrottsorten und klassifizieren diese nach Größe, physikalischen Eigenschaften und chemischer Zusammensetzung“, erklärt Uwe Mauersberger. Am wertvollsten ist sortenreiner Schrott, weil vermischte und verunreinigte Schrotte aufbereitet und getrennt werden müssen. Das sortenreine Material ist überwiegend Schrott, der direkt aus der Produktion zurückkommt, wie die Reststücke der Coils und Brammen aus der eigenen Stahlproduktion.

Auch Blechverschnitte aus der Automobilherstellung sind sehr hochwertig. Dieser „Schrott“ kommt exakt in der Materialqualität zurück, in der die Salzgitter Flachstahl GmbH (SZFG) den Stahl an den Kunden geliefert hat – allerdings jetzt gepresst zu Würfeln, die in der Sonne funkeln. „Bei den eigenen Produktionsresten unterscheiden wir 15 Schrottarten, deshalb analysieren wir jedes Stück Bramme und Coil“, sagt Uwe Mauersberger. Hier entscheiden die Eigenschaften der Schrotte die weitere Verwendung im Schmelzprozess. „Aber wir bereiten auch Schlacken auf und holen das Eisen aus ihnen heraus. Dafür werden die Schlacken zerkleinert, klassiert und der Eisenanteil mit Hilfe von Magneten aussortiert.“ Hohe Stahlgüten sind eine Frage der genauen Analyse, Sortierung und Dosierung des Schrotts.

Das Ergebnis des Kontrollierens und Sortierens ist auf dem Gelände deutlich zu sehen. Hier herrscht eine strikte Ordnung. Die Schrottberge unterscheiden sich klar voneinander, sind aber in sich sehr homogen. Da stapeln sich mit rötlichem Flugrost überzogene Stahlplatten, aus denen Maschinenbauteile für die weiterverarbeitende Stahlindustrie herausgeschnitten wurden. Daneben der Produktionsschrott der Autoindustrie – ein Berg aus silbrig glänzenden Würfeln. Unweit davon türmen sich große Maschinenteile zu einem Haufen, den die Reste eines kompletten Omnibusses krönen und aus dem sich stählerne Arme ins Leere strecken: Die frühen Roboterarmeen der industriellen Automatisierung sind hier bereits zur Wiederverwertung angetreten.

Das Gelände erinnert an einen Apothekerschrank. Penibel sortiert, bewahrt die DEUMU hier die hochwertigen und sortenreinen Zutaten für ihre Mixturen auf, deren Zusammensetzungen genau zu beachten sind. Denn jede „Schrottmedizin“ muss für die Stahlherstellung exakt eingestellt und dosiert werden. Unweit der DEUMU wird in den Hochöfen der SZFG aus Eisenerz, Kokskohle und anderen Zutaten Roheisen produziert. Dieses kommt anschließend im Stahlwerk in die Konverter, wo mit Hilfe von reinem Sauerstoff unerwünschte Begleitelemente und überschüssiger Kohlenstoff verbrannt werden. Dabei würde eine extreme Hitze von mehr als 3.000 Grad entstehen.

Um die Temperaturen zwischen 1.700 bis 1.740 Grad zu halten, wird dem Konverter Stahlschrott beigegeben. Da diese „Medizin“ dem Roheisen nicht wieder andere unerwünschte Stoffe beimischen darf, müssen die DEUMU-Mitarbeiter genau wissen, welche Mixtur aus welchen Schrotten sie zum Konverter liefern. Das alles ist kein Problem, sondern Routine. „Wir haben sehr gute Kenntnisse der Produktionsprozesse und kennen unsere Anlagen genau“, bekräftigt Marko Klickermann. Zur Sicherheit erfolgt nach jeder Schmelze eine Analyse und Kontrolle, um Abwertungen bei den Stahlgüten zu vermeiden. Schon beim Schrotteinkauf weiß die DEUMU, was die SZFG benötigt. „Welchen Bedarf an Schrottsorten wir haben, erfahren wir schon vor dem Schrotteinkauf durch die Absprache mit der Produktion“, verrät Marko Klickermann.

Knapp 98% des in Salzgitter angelieferten Schrotts wird wieder zu Rohstahl verarbeitet

Rund 35.000 t des extern angelieferten Schrotts werden so pro Monat in den Herstellungsprozess der SZFG zurückgeführt. Dazu kommen rund 65.000 t aus der eigenen Produktion. Der meiste eingekaufte Schrott geht aber zur Peiner Träger GmbH (PTG): rund 100.000 t pro Monat. Das Elektrostahlwerk in Peine wandelt den Altstahl 1:1 in Neustahl um. Ihren Bedarf deckt die PTG zu 100 % aus Schrott. Pro Ladung schmilzt ein Elektrolichtbogenofen 115 t Schrott bei 3.000 Grad ein. Regelmäßig schickt die DEUMU auch alte Träger, und manchmal ist an den Prägungen zu erkennen: Dieser Träger ist einmal vor vielen Jahren in Peine hergestellt worden. In diesem Augenblick schließt sich ein Kreislauf, der das beste Sinnbild ist für „Es läuft rund“.

Langfristig werden sich immer mehr solcher geschlossenen Kreisläufe entwickeln. Bei Gießereien und anderen Elektrostahlwerken liegt die Quote derzeit schon bei 90 bis 95 %; in Peine, wo Stahlschrott der einzige Rohstoff ist, wie beschrieben sogar bei 100 %. Auch bei der DEUMU läuft es rund: Den pro Jahr 2,4 Mio. t verwerteten Schrotten stehen nur 50.000 t Fremdanhaftungen gegenüber, die thermisch verwertet oder entsorgt werden. Das sind gerade einmal 2,1 %. Oder anders gesagt: Knapp 98 % der angelieferten Menge wird wieder in den Produktionsprozess zurückgeführt. Das ist eine beeindruckende Verwertungsquote. Sie liegt über dem Durchschnitt, der laut einer zwei Jahre alten Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) etwa 93 % beträgt. In der Disziplin „geschlossene Kreisläufe“ ist die Stahlindustrie damit Weltmeister – und die Salzgitter AG ein Leistungsträger.

Die Quote in Zukunft weiter auszubauen, wird nicht einfach. Schrott ist vermehrt mit Fremdmaterialien wie Kunststoff verbunden. Zudem enthalten immer komplexere Produkte neue unerwünschte Begleitstoffe. Für das Stahlrecycling bedeutet das eine Herausforderung, der mit neuen Analysemethoden und Sortiertechnologien begegnet wird. Für die DEUMU stellt diese Entwicklung eine Aufgabe dar, aber kein Hindernis: Marko Klickermann und seine Kollegen sind sicher, Salzgitter und Peine auch in Zukunft mit hochwertigen Stahlschrotten zu versorgen.

Quelle und Fotos: Salzgitter AG

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