Nach massivem Verlust wird mit Erholung gerechnet

von Hubert Hunscheidt

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Die Geschäftsentwicklung von thyssenkrupp war in den ersten 9 Monaten des laufenden Geschäftsjahres maßgeblich von den Auswirkungen der Corona-Pandemie beeinträchtigt. Durch zeitweise Werksschließungen bei Kunden war die Produktion in vielen Geschäftsbereichen zu Beginn des 3. Quartals nahezu zum Erliegen gekommen. Besonders in Mitleidenschaft gezogen wurden die von der Automobilindustrie abhängigen Werkstoff- und Komponentengeschäfte. Hinzu kamen strukturelle Herausforderungen im Stahlbereich in einem insgesamt ohnehin schwierigen Marktumfeld.

Vor diesem Hintergrund ging der Auftragseingang in den ersten 9 Monaten des laufenden Geschäftsjahres im Vergleich zum Vorjahr um 19 Prozent auf 19,8 Mrd € zurück. Der Umsatz fiel um 15 Prozent auf 21,6 Mrd €. Trotz der zügig eingeleiteten Gegenmaßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie lag das Bereinigte EBIT nach 9 Monaten mit -1.122 Mio € deutlich unter Vorjahr (42 Mio €). Allein auf das von der Pandemie besonders betroffene 3. Quartal entfällt ein Bereinigtes EBIT von -679 Mio €. Zuletzt hatte thyssenkrupp für den Zeitraum von April bis Juni einen Verlust im hohen dreistelligen Millionen-€-Bereich prognostiziert und dabei einen Wert von bis zu gut 1 Mrd € nicht ausgeschlossen.

„Wir haben hart gearbeitet, um die Kosten kontrolliert zu halten und die Liquidität zu sichern. Damit sind wir im dritten Quartal insgesamt etwas besser durch die Krise gekommen, als anfangs befürchtet“, sagte Martina Merz, Vorstandsvorsitzende der thyssenkrupp AG. „Inzwischen sehen wir zwar Anzeichen für eine Stabilisierung. Aber die anstehenden Restrukturierungen und das Aufräumen unserer Bilanz werden das Ergebnis im laufenden Quartal weiter belasten. Mit den Erlösen aus dem Aufzuggeschäft können wir diese überfälligen Maßnahmen endlich konsequent angehen.“

Größtmögliche Flexibilität bei der Mittelverwendung

Angesichts der Corona-bedingt unsicheren gesamtwirtschaftlichen Lage wird sich das Unternehmen bei der konkreten Mittelverwendung aus der Elevator-Transaktion unverändert größtmögliche Flexibilität bewahren. So soll ein Teil der Erlöse selektiv dort für die Entwicklung und Restrukturierung von Geschäften eingesetzt werden, wo in kurzer Zeit attraktive Zielrenditen erreicht werden können. Zudem wird thyssenkrupp Finanzverbindlichkeiten entlang ihres Fälligkeitenprofils zurückzahlen. Darüber hinaus sollen die im Jahresverlauf ausgeprägten Schwankungen des Umlaufvermögens, insbesondere durch den reduzierten Einsatz von Jahresendmaßnahmen und Forderungsverkäufen normalisiert werden.

Klaus Keysberg, Finanzvorstand der thyssenkrupp AG: „Durch die Normalisierung des Umlaufvermögens werden die Quartale besser vergleichbar. Wir schaffen damit mehr Transparenz und vergrößern die Berechenbarkeit unserer Prognose. Das wird den Cashflow im laufenden Geschäftsjahr insgesamt mit rund 2,5 Milliarden Euro belasten. Damit wird der Vergleich zum Vorjahr dann wenig Aussagekraft haben.

Entwicklung der Geschäfte in den ersten 9 Monaten 2019/2020

Bei Automotive Technology sind die Folgen der Corona-Pandemie besonders deutlich. Nachdem die Nachfrage im weltgrößten Automobilmarkt China bereits im Februar eingebrochen war, folgten ab März insbesondere in Europa, den USA und in Mexiko weitere Werksschließungen großer Kunden in Folge der Lockdown-Maßnahmen. In China zeigte sich nach Lockerungen der Beschränkungen eine leichte Erholung ab Ende April. Auftragseingang und Umsatz gingen in den ersten 9 Monaten um 14 bzw. 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Diese Entwicklung macht sich auch im operativen Ergebnis bemerkbar. Das Bereinigte EBIT lag mit -157 Mio € deutlich unter dem Vorjahr (17 Mio €).

Bei Industrial Components zeigten sich die Großwälzlager insbesondere aufgrund der guten Auftragslage in Deutschland und China im Bereich Windenergie weiterhin stark. Beim Schmiedegeschäft belasteten – in einem ohnehin schwachen Markt für Lkw- und Baumaschinen-Komponenten – das Herunterfahren aller wesentlichen Werke in Folge der Corona-Pandemie das Geschäft. Insgesamt verringerten sich Auftragseingang und Umsatz um 21 bzw. 17 Prozent. Das Bereinigte EBIT lag mit 122 Mio € unter Vorjahresniveau (168 Mio €).

Plant Technology konnte seinen Umsatz in den ersten 9 Monaten um 6 Prozent steigern. Dazu trug insbesondere der Chemieanlagenbau bei. Gegenüber dem durch Großaufträge im Mining- und Düngemittelgeschäft geprägten Vorjahr ging der Auftragseingang insbesondere durch pandemiebedingte Verschiebungen von Projekten um 38 Prozent zurück. Trotz der Umsatzsteigerungen im Chemieanlagenbau, dem stabilen Servicegeschäft und positiver Effekte aus dem Kosteneinsparungsprogramm verschlechterte sich das Bereinigte EBIT auf -135 Mio € (Vorjahr: -114 Mio €). Belastend wirkten dabei unter anderem geringere Umsätze durch pandemiebedingt langsamere Projektfortschritte bei Zement und Verschiebungen im Auftragseingang.

Der Auftragseingang bei Marine Systems ging um 7 Prozent zurück. Auch der Umsatz fiel um 9 Prozent auf 1,2 Mrd €. Negativ wirkte sich hier ein temporär verlangsamter Fortschritt bei Projekten im Unterwasserbereich aus. Getrieben durch Maßnahmen zur Performance-Steigerung schloss das Bereinigte Ergebnis aber mit 6 Mio € positiv ab (Vorjahr: 0 Mio €).

Materials Services bekam die pandemiebedingt schwache Nachfrageentwicklung und Preisrückgänge in nahezu allen Produktsegmenten insbesondere im 3. Quartal weiter zu spüren. Ausnahme war der Bereich Plastics, der vor allem durch den Vertrieb von transparenten Kunststoffplatten als Schutzmaßnahme gegen Corona-Viren profitierte. Negative Effekte kamen aus der pandemiebedingten temporären Schließung des italienischen Edelstahlwerkes AST ab der zweiten Märzhälfte. Auftragseingang und Umsatz entwickelten sich rückläufig, jeweils um 18 Prozent. Vor allem die Entwicklung im lagerhaltenden Handel sowie in den automobilnahen Servicecentern und bei Aerospace belasteten das Geschäft und führten zu negativen Ergebniseffekten. Entsprechend lag das Bereinigte EBIT mit -62 Mio € unter Vorjahr (119 Mio €).

Die Geschäftsentwicklung bei Steel Europe war weiterhin durch die äußerst herausfordernde Lage im Stahlmarkt gekennzeichnet. Die bereits im März spürbar gesunkene Nachfrage aus der Automobilindustrie brach im Verlauf des 3. Quartals zunehmend auch durch rückläufige Bestellmengen seitens anderer Industriekunden weiter ein. Stabil entwickelte sich der Verpackungsstahl. In der Summe lagen Auftragseingang und Umsatz nach 9 Monaten um 24 bzw. 20 Prozent unter Vorjahr. Das Bereinigte EBIT rutschte durch die rückläufigen Versandmengen und den anhaltenden Kostendruck weiter in die Verlustzone und betrug -706 Mio € nach 77 Mio € im Vorjahreszeitraum. Die im März gestartete Umsetzung der Stahlstrategie 20-30 zur nachhaltigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit wird nun umso konsequenter vorangetrieben.

Das als nicht fortgeführte Aktivität ausgewiesene Aufzuggeschäft verzeichnete in den ersten 9 Monaten einen Auftragseingang und Umsatz auf Vorjahresniveau. Während sich das Neuanlagen- und Servicegeschäft in den USA positiv entwickelte, verzeichnete Elevator Technology in Asien und Europa aufgrund der Corona-Pandemie Rückgänge. Das Bereinigte EBIT fiel mit 613 Mio € insbesondere auf Grund der negativen Ergebniseffekte in Europa leicht unter den Vorjahreswert (642 Mio €).

 

Prognose 2019/2020

Trotz der vorsichtigen Wiederaufnahme der Produktion aufgrund gelockerter Corona-Maßnahmen in wichtigen Industrienationen entwickelt sich das Infektionsgeschehen international weiterhin sehr dynamisch und birgt ein anhaltendes Risiko von weiteren Infektionswellen im Jahresverlauf. Infolgedessen und angesichts der weiterhin bestehenden Beeinträchtigungen des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens sind Prognosen für die verbleibenden Monate des Geschäftsjahres von extremer Unsicherheit geprägt.

Bereits absehbar ist, dass infolge der vorübergehenden Werksschließungen und Produktionsrücknahmen der Kunden aus der Automobilindustrie der Umsatz der fortgeführten Aktivitäten vor allem im 2. Halbjahr deutlich zurückgehen wird (Vorjahr, fortgeführte Aktivitäten: 34,0 Mrd €).

Abhängig von der Dynamik der gerade beginnenden Wiederaufnahme der Produktion bei Kunden erwartet thyssenkrupp für das 4. Quartal mit möglicher Ausnahme von Steel Europe in nahezu allen Geschäften eine stabile Entwicklung oder eine leichte Verbesserung im Vergleich zum Vorquartal. Dennoch wird mit einem negativen Bereinigten EBIT der fortgeführten Aktivitäten im mittleren bis höheren 3-stelligen Millionen-€-Bereich gerechnet. Für das Gesamtjahr ist damit ein negatives Bereinigtes EBIT zwischen 1,7 Mrd € und 1,9 Mrd € wahrscheinlich. Der Ergebnisrückgang gegenüber dem Vorjahr (fortgeführte Aktivitäten: – 110 Mio €) ist dabei stark durch den hohen Verlust im Stahlbereich von bis zu gut 1 Mrd € beeinflusst (Vorjahr, Steel Europe: 31 Mio €).

Für den Free Cashflow vor M&A der fortgeführten Aktivitäten wird aufgrund der operativen Entwicklung sowie der Belastung aus der Normalisierung des Umlaufvermögens in Höhe von rund 2,5 Mrd € – hin zu einer weiter kontinuierlichen Optimierung – insgesamt ein Wert zwischen -5,0 Mrd € und -6,0 Mrd € prognostiziert (Vorjahr, fortgeführte Aktivitäten: -1.756 Mio €).

Durch die Elevator-Transaktion wird der Free Cashflow der Gruppe und der Jahresüberschuss der Gruppe im laufenden Geschäftsjahr signifikant positiv ausfallen.

Quelle: thyssenkrupp AG / Vorschaufoto: marketSTEEL

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