Milliardenverlust im 2. Halbjahr 2020 befürchtet

von Hubert Hunscheidt

Die Geschäftsentwicklung von thyssenkrupp war im 1. Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres 2019/2020 maßgeblich von ersten Auswirkungen der Corona-Pandemie geprägt. Zudem machten sich insbesondere die schwache Autokonjunktur sowie Preis- und Mengeneinbußen in den Werkstoffgeschäften negativ bemerkbar. Vor diesem Hintergrund ging der Auftragseingang[1] um 8 Prozent auf 15 Mrd € im Vergleich zum Vorjahr zurück. Der Umsatz fiel um 4 Prozent auf 15,9 Mrd €. Trotz sofortiger Gegenmaßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie lag das Bereinigte EBIT mit -443 Mio € deutlich unter dem Vorjahreszeitraum (55 Mio €), was insbesondere auf die Entwicklung bei Steel Europe zurückzuführen ist.

Martina Merz, Vorstandsvorsitzende der thyssenkrupp AG: „Die Corona-Pandemie stellt uns vor gewaltige Herausforderungen. Noch ist das ganze Ausmaß der Krise für unsere Geschäfte nicht vollständig absehbar. Aber bereits jetzt wird deutlich, dass die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen sehr tiefe Spuren hinterlassen werden. Wir haben in den letzten Monaten etliche Fortschritte beim Umbau gemacht. Das Unternehmen hat geliefert. Wir haben das Aufzuggeschäft verkauft und die Umsetzung der Stahlstrategie ausverhandelt und begonnen. Außerdem haben wir Lösungen für alle unsere Geschäfte auf dem Prüfstand gefunden. Die eingeleiteten Restrukturierungen sind auf einem guten Weg. Also, da geht einiges voran. Corona bremst zwar die Entwicklung, aber wir drücken weiter aufs Tempo.

"Bei der dafür finanziell notwendigen Elevator-Transaktion wird mit dem Vollzug (Closing) bis zum Ende des Geschäftsjahres 2019/2020 gerechnet. Von 13 erforderlichen kartellrechtlichen Freigaben liegen bereits 8 ohne Auflagen vor.

Parallel zur Closing-Vorbereitung arbeitet thyssenkrupp weiter am geplanten Strategieupdate: „Wir haben einen klaren Plan für die Zukunft erarbeitet und werden die Eckpfeiler dem Aufsichtsrat in der kommenden Woche vorstellen. Die finanziellen Mittel aus der Elevator-Transaktion werden wir dabei bestmöglich für das Unternehmen einsetzen. Allerdings ist heute schon klar, dass Corona unseren Spielraum deutlich einschränken wird“, so Merz weiter.

Entwicklung in den Geschäften im 1. Halbjahr 2019/2020

Nach der insgesamt positiven Entwicklung bei Automotive Technology im 1. Quartal zeigten sich die Folgen der Corona-Pandemie im 2. Quartal besonders stark. Nachfrageausfälle ab Februar im weltgrößten Automobilmarkt China setzten sich im März in Europa mit Werksstillsetzungen der größten Kunden fort.

Trotz der positiven Effekte aus dem Serienanlauf neuer Werke und Projekte insbesondere bei Lenkungen, Dämpfersystemen und Nockenwellenmodulen ging der Auftragseingang im 1. Halbjahr leicht um 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Der Umsatz hingegen wuchs leicht um 2 Prozent. Durch negative Ergebnisbeiträge der beiden Geschäfte auf dem Prüfstand – System Engineering und Federn und Stabilisatoren – lag das Bereinigte EBIT mit -28 Mio € unter dem Vorjahr (22 Mio €). Bei System Engineering sind bereits Maßnahmen zu Kapazitätsanpassungen und Kostensenkungen in Umsetzung. Bei Federn und Stabilisatoren wurde Ende April eine umfangreiche Restrukturierung der deutschen Standorte des Geschäftsbereichs beschlossen. Diese sieht auch die Schließung des Standortes Olpe und einen Abbau von insgesamt 490 Stellen vor.

Bei Industrial Components zeigten sich die Großwälzlager insbesondere aufgrund der guten Auftragslage im Bereich Windenergie weiterhin stark. Beim Schmiedegeschäft belasteten – in einem ohnehin durch geringere Volumina geprägten Markt für Lkw- und Baumaschinen-Komponenten – Schließungen bzw. starkes Herunterfahren aller wesentlichen Werke in Folge der Corona-Pandemie das Geschäft. Insgesamt verringerten sich Auftragseingang und Umsatz um 15 bzw. 9 Prozent. Das Bereinigte EBIT liegt mit 96 Mio € leicht unter Vorjahresniveau.

Plant Technology konnte seinen Umsatz um 16 Prozent steigern. Dazu trug insbesondere der Chemieanlagenbau bei. Der Auftragseingang lag 13 Prozent unter dem Wert des Vorjahres – hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Vergleichszeitraum ein Großauftrag im Mining-Geschäft verbucht wurde. Das Bereinigte EBIT hat sich gegenüber dem Vorjahr durch die leichte Erholung im Chemie- und Zementanlagenbau sowie durch positive Effekte aus der Umsetzung des Transformationsprogramms von -60 Mio € auf -38 Mio € verbessert.

Marine Systems konnte den Auftragseingang auf dem Niveau des Vorjahreswertes halten. Der Umsatz stieg um 1 Prozent auf 805 Mio €. Positiv wirkten hier insbesondere Umsätze aus dem Bereich Überwasser. Das Bereinigte Ergebnis schloss mit 2 Mio € leicht positiv ab.

Das schwache Marktumfeld und Preisrückgänge in nahezu allen Produktsegmenten bekam die Business Area Materials Services weiter zu spüren. Hinzu kamen negative Effekte aus der pandemiebedingten temporären Schließung des italienischen Edelstahlwerkes AST in der zweiten Märzhälfte. Auftragseingang und Umsatz entwickelten sich mit Rückgängen um 11 bzw. 9 Prozent negativ. Vor allem die Entwicklung im lagerhaltenden Handel sowie in den automobilnahen Servicecentern in Europa und Amerika belasteten das Geschäft und führten zu negativen Effekten. Entsprechend blieb auch das Bereinigte EBIT mit 38 Mio € erwartungsgemäß unter dem Vorjahr (75 Mio €).

Auch die Geschäftsentwicklung von Steel Europe war weiterhin durch die strukturell äußerst herausfordernde Lage im Stahlmarkt gekennzeichnet. Die insgesamt nachlassende Marktdynamik macht sich insbesondere auch in einem gesunkenen Erlösniveau bemerkbar. Die bereits zu Anfang des Quartals spürbar gesunkene Nachfrage aus der Automobilindustrie ist in der zweiten Märzhälfte pandemiebedingt noch weiter eingebrochen. Auftragseingang und Umsatz lagen mit 9 bzw. 11 Prozent unter Vorjahr. Das Bereinigte EBIT rutschte durch die pandemiebedingt rückläufigen Versandmengen und den anhaltenden Kostendruck mit -372 Mio € in die Verlustzone (Vorjahr: 76 Mio €). Ende März wurde durch die Einigung mit der IG Metall der Startschuss für die sofortige Umsetzung der Stahlstrategie 20-30 gegeben, um die Technologieführerschaft und Wettbewerbsfähigkeit langfristig sicherzustellen.

Das als nicht fortgeführte Aktivität ausgewiesene Aufzugsgeschäft verzeichnete im 1. Halbjahr sowohl im Auftragseingang als auch im Umsatz Wachstum von 2 bzw. 3 Prozent. Dazu trug insbesondere das Neuanlagen- und Servicegeschäft in den USA bei. Im 2. Quartal zeigte China in beiden Kennzahlen und Europa im Umsatz rückläufige Zahlen, ebenfalls aufgrund der Corona-Pandemie. Das Bereinigte EBIT blieb auch auf Grund eines in allen Regionen starken 1. Quartals insgesamt mit 402 Mio € stabil.

Konzernkennzahlen des 1. Halbjahrs 2019/2020

Unter dem Strich weist thyssenkrupp (inkl. nicht fortgeführter Aktivitäten) im 1. Halbjahr 2019/2020 einen Periodenfehlbetrag von -1.310 Mio € (Vorjahr -93 Mio €) aus. Gründe sind neben der operativen Entwicklung Restrukturierungsaufwendungen im Zuge der Umsetzung von „newtk“. Nach Abzug der Minderheitenanteile lag der Periodenfehlbetrag bei -1.320 Mio € (Vorjahr -113 Mio €); Das Ergebnis je Aktie betrug -2,12 € (Vorjahr - 0,18 €).

Der Free Cashflow vor M&A (inkl. nicht fortgeführter Aktivitäten) war mit -2,7 Mrd € weiterhin deutlich negativ und lag um 0,2 Mrd € unter Vorjahr. Gründe hierfür waren im Wesentlichen die operative Entwicklung in den Geschäften und die Zahlung des Bußgeldes im Kartellverfahren bei Grobblech in Höhe der gebildeten Rückstellungen von 370 Mio €.

Durch den negativen Free Cashflow vor M&A sowie durch die im 1. Quartal verbuchten Effekte aus der Neu-Bilanzierung von Leasingverpflichtungen nach IFRS 16 in Höhe von 1 Mrd € stiegen die Netto-Finanzschulden auf 7,5 Mrd € (Stand 30. September 2019: 3,7 Mrd €). Zum 31.03.2020 verfügte thyssenkrupp über eine freie Liquidität von 4,5 Mrd €.

Am 8. Mai 2020 hat das Unternehmen eine Kreditlinie über 1 Mrd € aus dem KfW Sonderprogramm mit einem Konsortium aus KfW und weiteren Banken abgeschlossen. Die Kreditlinie sichert während der Corona-Pandemie zusätzlich Liquidität bis zum Mittelzufluss aus der Elevator-Transaktion.

Das Eigenkapital hat sich durch den Periodenfehlbetrag gegenüber dem 30. September 2019 um rd. 1 Mrd € auf 1,2 Mrd € verringert.

Prognose 2019/2020

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft ist die Umsatz- und Ergebnisentwicklung der Geschäfte von thyssenkrupp für die verbleibenden Monate des Geschäftsjahres derzeit nicht im vollen Umfang vorhersehbar. Aus diesem Grund hatte das Unternehmen Ende März seine Prognose für das laufende Geschäftsjahr zurückgezogen.

Bereits absehbar ist, dass infolge der vorübergehenden Werksschließungen und Produktionsrücknahmen der Kunden aus der Automobilindustrie der Umsatz der fortgeführten Aktivitäten vor allem im 2. Halbjahr deutlich zurückgehen wird (Vorjahr, fortgeführte Aktivitäten: 34,0 Mrd €). Infolgedessen wird das Bereinigte EBIT der fortgeführten Aktivitäten stark negativ erwartet (Vorjahr, fortgeführte Aktivitäten: -110 Mio €). Im 3. Quartal ist dabei ein Verlust im hohen 3-stelligen Millionen-€-Bereich wahrscheinlich und bis zu gut 1 Mrd € nicht auszuschließen.

Infolge des Mittelzuflusses aus der Elevator-Transaktion wird der Free Cashflow des Konzerns im laufenden Geschäftsjahr signifikant positiv ausfallen. Das Closing der Elevator-Transaktion wird zudem einen deutlich positiven Effekt auf den Jahresüberschuss mit einem entsprechend positiven Effekt auf das Eigenkapital und auf die Netto-Finanzschulden des Gesamtkonzerns haben.

Quelle: thyssenkrupp AG / Vorschaufoto: marketSTEEL

www.thyssenkrupp.com

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