Streit um EU-Stahlschutzmaßnahmen verschärft sich

von Hubert Hunscheidt

Die Stahlbranche in Europa steht vor einer Doppelbelastung: Einerseits bleiben die hohen US-Importzölle bestehen, andererseits rückt die Einführung der CO₂-Grenzausgleichssteuer (CBAM) näher. Hinzu kommen eine schwache Nachfrage und zunehmende handelspolitische Beschränkungen in der EU und im Vereinigten Königreich. Branchenverbände und Unternehmen warnen vor gravierenden Folgen für Exporteure und Importeure.

US-Zölle bleiben bestehen

Am 28. Juli kündigten EU und USA ein neues Handelsabkommen an. Statt Entlastung brachte es für die Stahlbranche jedoch Ernüchterung: Die Stahlausfuhren aus Europa unterliegen weiterhin Strafzöllen von 50 Prozent nach Section 232. Eurofer, der europäische Stahlverband, sprach von einer „enormen Belastung“. Besonders kritisch: 2024 gingen noch 3,8 Millionen Tonnen Stahl in die USA – diese Exporte stehen nun auf der Kippe.

Das Abkommen sieht zwar „gegenseitige“ Zölle von 15 Prozent auf andere Produkte vor. Für Stahl gibt es jedoch keine Ausnahme. Damit wächst die Sorge, dass die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produzenten auf dem US-Markt massiv leidet.

Hoffnung auf Quotenregelung

Noch unter der Trump-Regierung hatten EU- und britische Verhandlungsführer gehofft, Quoten zu vereinbaren, die niedrigere Zölle oder Ausnahmen ermöglicht hätten. Doch auch Präsident Trump machte klar, dass eine dauerhafte Senkung der Abgaben von weiteren handelspolitischen Schutzmaßnahmen abhängt.

Eine Quotenregelung bleibt zwar im Gespräch, konkrete Fortschritte sind jedoch nicht erkennbar. Für die europäischen Exporteure bleibt die Unsicherheit bestehen.

CBAM sorgt für neue Spannungen

Während auf der US-Seite Strafzölle bestehen bleiben, verschärft die EU ihre Klimapolitik. Ab 1. Januar 2026 soll der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) greifen. Schon ab Anfang 2025 müssen Importeure jedoch Emissionsberichte vorlegen.

Viele Unternehmen fühlen sich unvorbereitet. Grund: Die Europäische Kommission hat die Benchmark-Emissionswerte, die für die Berechnung der Abgaben entscheidend sind, bislang nicht veröffentlicht. Ohne diese Transparenz sehen Importeure ihre Geschäftsmodelle bedroht.

„Ohne Kalkulationssicherheit drohen Wettbewerbsnachteile und im schlimmsten Fall Insolvenzen“, warnte eine Gruppe europäischer Importeure Mitte Juli in einem Schreiben an die Kommission.

Forderungen nach Aufschub

Zahlreiche Abgeordnete des Europäischen Parlaments sprechen sich inzwischen für eine Verschiebung der CBAM-Abgaben auf 2026 oder sogar 2027 aus. Eine spätere Einführung würde zudem mit dem Zeitplan des Vereinigten Königreichs harmonieren, das eigene CBAM-Regeln ab 2027 plant.

EU und Großbritannien verhandeln derzeit über eine Angleichung ihrer Emissionshandelssysteme (ETS). Ziel ist es, Doppelbelastungen für Unternehmen zu vermeiden.

Importbeschränkungen nehmen zu

Parallel dazu verschärfen EU und Vereinigtes Königreich ihre handelspolitischen Schutzinstrumente. In London sorgte die jüngste Anpassung der Schutzquoten für Unmut bei Importeuren: Erst nach Intervention des Wirtschafts- und Handelsministeriums wurden die ursprünglich geplanten Obergrenzen halbiert.

Auch in Brüssel wächst der Druck: Eine Gruppe von elf Mitgliedstaaten forderte die EU-Kommission jüngst auf, bereits ab Januar 2026 strengere Schutzmaßnahmen einzuführen – sechs Monate früher als bislang geplant. Konkret verlangen sie eine Kürzung der Importquoten um bis zu 50 Prozent sowie eine Verdopplung der Strafzölle über den Quoten hinaus von 25 auf 50 Prozent.

Schwache Nachfrage verstärkt Probleme

Die handelspolitischen Unsicherheiten treffen auf einen ohnehin schwachen Markt. Infolge der Sommerpause ist die Nachfrage in Europa besonders niedrig. Viele Stahlwerke melden rückläufige Produktion und Umsätze.

So sank die Rohstahlproduktion in Salzgitter im ersten Halbjahr um 7,4 Prozent auf 2,49 Millionen Tonnen. Der Umsatz ging um 6,1 Prozent auf 1,7 Milliarden Euro zurück – nicht zuletzt wegen fallender Preise.

Auch bei Thyssenkrupp hinterlassen die Rahmenbedingungen Spuren. Nach der Senkung der Umsatzprognose brach der Aktienkurs am 14. Juli um sieben Prozent ein. Das Unternehmen erwartet für das laufende Geschäftsjahr einen Rückgang um fünf bis sieben Prozent – deutlich mehr als bisher prognostiziert. Vorstandschef Miguel López sprach von „enormer makroökonomischer Unsicherheit“.

Importeuren droht Geschäftsrisiko

Besonders angespannt ist die Lage bei Importeuren. Viele verzichten derzeit auf neue Bestellungen, weil unklar ist, welche CBAM-Kosten ab 2026 anfallen werden. Die Unsicherheit über die Emissionswerte macht Kalkulationen nahezu unmöglich.

Kleinere und mittlere Unternehmen drängen zudem auf Ausnahmen von der CBAM-Pflicht. Sie sehen sich nicht in der Lage, die zusätzlichen bürokratischen und finanziellen Belastungen zu stemmen.

Forderungen der Stahlindustrie

Während Importeure Entlastung fordern, plädieren europäische Stahlhersteller für das Gegenteil: mehr Schutz und höhere Abgaben auf Billigimporte. Ziel ist es, die Nachfrage nach in Europa produziertem Stahl zu stützen und die Preise zu stabilisieren.

Die jüngsten Zahlen geben den Produzenten Rückenwind: Laut MEPS Europe sind die Preise für warmgewalzte Coils seit Jahresbeginn um 10,7 Prozent gefallen. Ohne regulatorische Eingriffe droht eine weitere Abwärtsbewegung.

Ausblick

Die kommenden Monate versprechen wenig Entspannung. Ohne klare Vorgaben zu CBAM bleibt die Unsicherheit für Importeure bestehen. Zugleich erhöhen Strafzölle in den USA und verschärfte Schutzinstrumente in Europa den Druck auf Exporteure.

Ob eine spätere Einführung der CBAM-Abgaben oder eine Quotenregelung im US-Handel Erleichterung bringt, ist derzeit offen. Klar ist nur: Die europäische Stahlindustrie steht an einem Wendepunkt – zwischen Protektionismus, Klimapolitik und schwacher Konjunktur.

Quelle: MEPS International Ltd. / Foto: marketSTEEL