"Industrie 4.0" ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe"

von Alexander Kirschbaum

Der „Industriearbeitsplatz 2025“ war Thema der diesjährigen Frühjahrstagung der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP), einem Zusammenschluss führender Maschinenbau-Professoren. Die Wissenschaftler haben 120 Werkzeugmaschinenhersteller und -betreiber befragt, wie die Arbeitsplätze in Fabriken unter Industrie 4.0 aussehen werden. „Diese Befragung ist ein erster Versuch, den Industriearbeitsplatz in einer digitalisierten und vernetzten Fabrik besser zu verstehen“, so Prof. Peter Groche, Leiter des Instituts für Produktionstechnik und Umformmaschinen (PtU) der TU Darmstadt. „Es zeichnet sich bereits ab, dass die Erwartungen bezüglich der Autonomie der Maschinen in der Gesellschaft überzogen sind: Auch selbstlernende Systeme werden nicht ohne den Menschen funktionieren. Doch wir müssen unseren Mitarbeitern das notwendige Wissen über automatisierte und selbstlernende Maschinen vermitteln, um unseren Wettbewerbsvorteil zu sichern. Das wiederum bedeutet, dass wir Industrie 4.0 als eine Entwicklung der gesamten Gesellschaft begreifen müssen.“   

Autonome Systeme sind noch unverstanden  

Die Entwicklung autonomer Systeme ist noch nicht so weit fortgeschritten, wie häufig vermutet wird. Das ist eines der Ergebnisse der Befragung, die in unterschiedlichen Branchen der Fertigungstechnologie und bei Unternehmen unterschiedlicher Größen durchgeführt wurde. Da noch keine im eigentlichen Sinne autonomen Systeme existieren, ist auch noch nicht bekannt, wie genau sie funktionieren werden. Daher wollen die WGP-Professoren zunächst sogenannte Use Cases entwickeln, um zu erkunden, wie sich selbstlernende Systeme bei bestimmten Anwendungen verhalten.  So soll beispielsweise geklärt werden, wie man das Lernen der Systeme realisieren und beschleunigen kann. Auch soll die Lernfähigkeit  bezüglich bestehender Qualitätsnormen auf den Prüfstand gestellt werden.

Größere Bandbreite von Anforderungsprofilen

Autonome Fabriken werden nicht ohne den Menschen funktionieren, dessen sind sich die Produktionstechniker jedoch sicher. Nach Einschätzung der befragten Unternehmen  wird sich das Anforderungsprofil für Maschinenbediener allerdings spreizen. Demnach werden geringer qualifizierte Mitarbeiter auch künftig benötigt, um mit den autonomen Produktionsanlagen zusammen zu arbeiten. Deutlich erweiterte Qualifikationen werden Maschinenbediener für das Überwachen und Trainieren der Lernprozesse der Maschine bzw. der Anlage benötigen.  Mittlere Qualifikationen, die dem heutigen Facharbeiter entsprechen, werden  hingegen an Bedeutung verlieren. Gleichzeitig entstehen entlang der Prozesskette neue, stärker IT-orientierte Betätigungsfelder, etwa für Aktor- und Sensornetzwerke sowie Datenanalysen. 

Die Wettbewerbsvorteile Deutschlands langfristig sichern

Sollten eines Tages autonome Systeme dominieren, werden Produktivität und Qualität von eben jenen bestimmt. Wie aber kann ein hochentwickeltes Land wie Deutschland dann noch im internationalen Vergleich einen Wettbewerbsvorteil erzielen? „Die Entwicklung hin zur autonomen Produktion fordert die Gesellschaft ganzheitlich. Wir müssen deswegen den Fokus über das Fabrikgebäude hinaus auf die weitere Umwelt richten“, meint Groche, beispielsweise auf die Infrastruktur des Landes und die unterschiedlichen Ausbildungssysteme. „Das Expertenwissen unserer Belegschaften wird international wertgeschätzt. Das duale System zum Beispiel wird weltweit kopiert, und auch die universitäre Weiterbildung findet hohe Anerkennung. Gelingt uns eine frühzeitige Modernisierung der Ausbildungsinhalte, können wir mit dem Erfahrungswissen unserer hochqualifizierten Maschinenbediener schneller lernen und uns damit auch längerfristig einen Wettbewerbsvorteil sichern.“

Quelle: WGP  Bildtext: Frühjahrstagung vom 10. – 12. Mai 2017 in Bad Nauheim (Foto: WPG)

 

Zurück