IMK prognostiziert 4,5 Prozent Wirtschaftswachstum 2021 und 4,9 Prozent 2022

von Hubert Hunscheidt

Im Jahresdurchschnitt 2021 legt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,5 Prozent zu, 2022 um 4,9 Prozent. Treibende Kräfte des Wachstums sind in diesem Jahr sowohl der sehr dynamische Außenhandel als auch der wieder zunehmende private Konsum, der 2022 zum dominierenden Wachstumsfaktor wird. Die Investitionen liefern in beiden Jahren ebenfalls spürbar positive Impulse. Die Arbeitslosenquote sinkt in diesem Jahr geringfügig auf durchschnittlich 5,8 Prozent. 2022 geht die Arbeitslosigkeit dann deutlicher zurück, die Quote wird im Jahresdurchschnitt bei 5,3 Prozent liegen (detaillierte Zahlen unten). Die Inflation steigt in diesem Jahr erstmals seit längerem zwar über das Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von knapp zwei Prozent (auf 2,5 Prozent im Jahresmittel). Da dafür neben dem Wirtschaftsaufschwung aber auch temporäre Sonderfaktoren wie die Rückkehr zum alten Mehrwertsteuersatz eine Rolle spielen, wird die Teuerungsrate im kommenden Jahr wieder auf 1,7 Prozent zurückgehen. Das ergibt die neue Konjunkturprognose des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

Gegenüber der letzten Prognose vom März senkt das IMK die Wachstumserwartung für 2021 leicht um 0,4 Prozentpunkte. Für 2022 heben die Düsseldorfer Konjunkturforscherinnen und -forscher ihre Prognose um 0,7 Prozent an.

„Im Gegensatz zu vielen anderen Instituten haben wir unsere Prognose im Frühjahr nicht zurückgenommen, weil wir von einer starken Erholung mit fortschreitenden Impfzahlen überzeugt waren“, sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK. „Allerdings waren die Corona-bedingten Einschränkungen doch länger nötig, als wir gehofft hatten. Der Aufschwung hat sich daher zeitlich etwas verschoben, und daran passen wir unsere Prognose an. Das Gesamtbild bleibt unverändert positiv: Die deutsche Wirtschaft kommt mit Schwung aus der Coronakrise. Die gegenwärtigen Engpässe bei einigen Rohstoffen und Vorprodukten wie Halbleitern bremsen, aber wir rechnen damit, dass die Probleme im Jahresverlauf geringer werden“, so Dullien.

Die positive Entwicklung sei der grundsätzlichen wirtschaftlichen Stärke zu verdanken, aber auch der erfolgreichen Stabilisierungspolitik. „Bund, Länder, EZB und EU haben sehr viel Geld eingesetzt, um die Krise zu mildern und irreparable Schäden zu verhindern. Aber das ist gut angelegtes Geld“, sagt der IMK-Direktor. „Ohne einzelne Fehler leugnen zu wollen, über die man reden muss, hat die Wirtschaftspolitik bewiesen, dass sie mit schwierigen Krisen und Umbruchphasen umgehen kann. Daran sollten wir uns erinnern, wenn es um die anstehenden Herausforderungen geht, insbesondere durch den Klimawandel.“

Das IMK rät, die aktivere Fiskalpolitik beizubehalten. Denn erstens erlaube nur ein länger anhaltender, europaweiter Aufschwung der EZB, ihre expansive Geldpolitik mit Nullzinsen und Ankaufprogrammen mittelfristig zurückzunehmen. Zweitens bestehe in Deutschland weiterhin ein großer Bedarf, den in vielen Jahren entstandenen öffentlichen Investitionsstau aufzulösen.

Der staatliche Schuldenstand sei im Zuge der Antikrisenpolitik zwar deutlich gestiegen, „aber unbestritten tragfähig“, betont das IMK in seiner Prognose. Das öffentliche Budgetdefizit, gemessen am BIP, werde von 4,3 Prozent 2021 auf 1,4 Prozent im kommenden Jahr zurückgehen. Auch angesichts von absehbar weiterhin niedrigen Zinsen bleibe Spielraum für kreditfinanzierte Investitionsprogramme. Eine ambitionierte Transformationspolitik vergrößere „die Chance auf einen längeren kräftigen Investitionszyklus, der produktivitätssteigernd wirkt und gut bezahlte Arbeitsplätze schafft und erhält“, schreiben die Ökonominnen und Ökonomen. Aktuelle Berechnungen des IMK mit dem international weit genutzten makroökonomischen Modell NiGEM zeigen, dass sich zusätzliche kreditfinanzierte Investitionen in Höhe von rund einer halben Billion Euro über das nächste Jahrzehnt gerade auch für die heutige Kindergeneration lohnen: Bis zum Jahr 2050 würden sie das BIP spürbar erhöhen und den technologischen Wandel unterstützen. Die staatliche Schuldenquote wäre hingegen in knapp 30 Jahren auf keinen Fall höher, wahrscheinlich sogar niedriger als ohne Investitionsoffensive.

 

Kerndaten der Prognose für 2021 und 2022

Arbeitsmarkt

Eine positive Trendwende am Arbeitsmarkt ist nach Analyse des IMK im zweiten Halbjahr 2021 zu erwarten, wenn ein erheblicher Teil der Bevölkerung Impfschutz gegen das Corona-Virus hat. Sobald das erreicht ist, dürfte sich die Arbeitsmarktsituation relativ schnell deutlich verbessern. In der Statistik schlägt sich das allerdings mit einer gewissen Verzögerung nieder, so dass die Erwerbstätigkeit im Jahresdurchschnitt 2021 um 0,1 Prozent sinkt. Im kommenden Jahr wächst sie dann kräftig um 1,2 Prozent.

Bei den Arbeitslosenzahlen erwartet das IMK im Jahresdurchschnitt 2021 eine geringfügige Entspannung. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt um knapp 40.000 Personen, so dass im Jahresmittel rund 2,66 Millionen Menschen ohne Job sein werden. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 5,8 Prozent nach 5,9 Prozent 2020. Für 2022 erwartet das IMK dann einen spürbaren Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um gut 220.000 Personen auf gut 2,43 Millionen im Jahresdurchschnitt. Die Arbeitslosenquote sinkt auf 5,3 Prozent.

Außenhandel

Auch die meisten wichtigen Handelspartner erleben 2021 und 2022 eine wirtschaftliche Erholung. Die Weltwirtschaft insgesamt, die im Jahresmittel 2020 um 3,3 Prozent eingebrochen war, wächst in diesem Jahr kräftig um 5,7 Prozent und im kommenden Jahr um 4,3 Prozent. Angetrieben wird die Erholung unter anderem vom robusten Wachstum in China und dem massiven fiskalischen Hilfsprogramm der US-Regierung. Es trägt dazu bei, dass das US-BIP in diesem Jahr um 7,1 Prozent zulegt – so stark wie seit 1984 nicht mehr. Für 2022 prognostiziert das IMK ein Wachstum um 3,7 Prozent. Auch die wirtschaftliche Erholung in den meisten Euro-Ländern kommt voran. Die Wirtschaft im Euroraum wird dieses Jahr um durchschnittlich 5,2 Prozent wachsen, 2022 um 4,3 Prozent.

Die weltwirtschaftliche Erholung beflügelt die deutschen Ausfuhren in diesem Jahr stark – trotz einiger Engpässe bei Rohstoffen, Vorprodukten wie Halbleitern und Transportkapazitäten. Das IMK rechnet für 2021 mit einem Wachstum der Exporte um 10,9 Prozent. Die Importe legen ebenfalls kräftig zu – um 9,9 Prozent im Jahresdurchschnitt. Damit steigt allerdings auch der ohnehin sehr hohe Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz wieder – auf 7,3 Prozent des BIP. Im kommenden Jahr expandiert der deutsche Außenhandel weiter und zudem etwas balancierter: Die Exporte nehmen im Jahresmittel 2022 um 7,4 Prozent zu, die Importe um 8,6 Prozent, der Leistungsbilanzüberschuss liegt bei 7,0 Prozent des BIP.

Investitionen

Die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen erholen sich ebenfalls vom Corona-Schock. Das liegt vor allem an der guten Kapazitätsauslastung der Industrie. 2021 nehmen die Ausrüstungsinvestitionen daher im Jahresmittel um 9,7 Prozent zu, 2022 um 6,6 Prozent. Die Bauinvestitionen bleiben trotz Behinderungen durch den Kälteeinbruch im Februar robust. Treibende Kraft ist der Wohnungsbau, unterstützt durch eine solide staatliche Bautätigkeit. Zudem kommt auch der Wirtschaftsbau wieder kräftig in Gang. Im Jahresmittel 2021 und 2022 nehmen die Bauinvestitionen jeweils um 5,5 Prozent zu.

Einkommen und Konsum

Die verfügbaren Einkommen legen in diesem und im kommenden Jahr wieder zu, weil die durchschnittlichen Arbeitszeiten durch Rückgang der Kurzarbeit wieder länger werden, die Beschäftigung wächst und die Bruttolöhne und -gehälter steigen. Auch die Gewinne sprudeln wieder – 2021 legen die Gewinneinkommen um 9,5 Prozent zu, 2022 um 8,2 Prozent. Die Sparquote, die im ersten Quartal 2021 mit gut 23 Prozent mehr als doppelt so hoch war wie vor der Krise, wird im zweiten Halbjahr leicht unter das Normal-Niveau sinken.

Der aufgestaute Nachholbedarf beflügelt den Konsum, insbesondere im kommenden Jahr. Nach dem tiefen Einbruch 2020 nehmen die realen privaten Konsumausgaben im Jahresdurchschnitt 2021 um 2,0 Prozent zu. Für das kommende Jahr prognostiziert das IMK bei weiter sinkender Sparquote ein noch stärkeres Wachstum der privaten Konsumausgaben um real sogar 7,0 Prozent. Nachdem sinkende Konsumausgaben im Jahr 2020 die wirtschaftliche Entwicklung stark gebremst haben (negativer Wachstumsbeitrag von -3,1 Prozentpunkten), ergibt sich in diesem Jahr ein spürbar positiver Wachstumsbeitrag von 1,5 Prozentpunkten. 2022 sind es sogar 3,8 Prozentpunkte. Gleichwohl gehen die Ökonomen davon aus, dass nur ein relativ kleiner Teil der 150 Milliarden Euro, die in Deutschland während der Pandemie wegen mangelnder Konsummöglichkeiten zusätzlich gespart wurden, in nächster Zeit ausgegeben wird. Das liegt vor allem daran, dass ein erheblicher Teil dieser Summe auf wohlhabendere Haushalte entfallen ist und in deren Vermögen fließen dürfte.

Inflation und öffentliche Finanzen

Durch die wieder erwachte Nachfrage steigen die Preise stärker, insbesondere die für Energie. Hinzu kommen als Sonderfaktoren die neue CO2-Abgabe und die Rückkehr zu den alten Mehrwertsteuersätzen, die die Inflation verstärken. Daher beschleunigt sich die Zunahme der Verbraucherpreise nach den extrem niedrigen Werten im Vorjahr 2021 jahresdurchschnittlich spürbar auf 2,5 Prozent. 2022 geht die Teuerungsrate auf 1,7 Prozent im Jahresmittel zurück und liegt damit wieder leicht unter dem Inflationsziel der EZB.

Da der Staat zur Krisenbekämpfung weiterhin sehr viel Geld einsetzt, Anfang 2021 der Solidaritätszuschlag für die meisten Steuerzahler abgeschafft und einige andere Steuern sowie die EEG-Umlage gesenkt wurden und sich die Einnahmen generell erst langsam erholen, ergibt sich 2021 ein Budgetdefizit von 4,3 Prozent des BIP. Im kommenden Jahr wird sich die erwartete konjunkturelle Belebung dann stärker positiv auf die öffentlichen Haushalte auswirken, zudem wirkt die Fiskalpolitik weniger expansiv. Das gesamtstaatliche Defizit geht 2022 deutlich auf 1,4 Prozent des BIP zurück.

Quelle und Grafik: Hans-Böckler-Stiftung / Grafik: Fotolia

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