Tiefe Einschnitte in der Stahlnachfrage

von Hubert Hunscheidt

Die Stahlindustrie in Deutschland ist aktuell aufgrund ihrer engen Einbindung in komplexe industrielle Wertschöpfungsketten in der EU hart von der Corona-Krise getroffen. Die Auswirkungen sind dramatisch: Die Stahlnachfrage könnte auf ein noch niedrigeres Level schrumpfen, als es im Zuge der Finanzkrise 2009 der Fall gewesen ist. Vor allem im zweiten und dritten Quartal ist mit historischen Einbrüchen zu rechnen. Die Stahlunternehmen in Deutschland und Europa reagieren auf diese Entwicklungen je individuell mit einer entsprechenden Anpassung ihrer Produktion. Bereits jetzt ist damit zu rechnen, dass auch Ende 2020/Anfang 2021 die Nachfrage voraussichtlich störungsanfällig und volatil bleiben wird.
 
Die aktuelle Krise trifft die Branche zu einem Zeitpunkt, in der sie ohnehin von dem konjunkturellen Abschwung in wichtigen Kundenbranchen geschwächt war. Bereits im vergangenen Jahr ist das Volumen auf dem Stahlmarkt in Deutschland um 12 Prozent gesunken, die Rohstahlproduktion verringerte sich das zweite Jahr in Folge und fiel zum ersten Mal seit 2009 mit 39,7 Millionen Tonnen unter die 40 Millionen Tonnen Marke. Der Rückgang belief sich auf 6,5 Prozent. Auch die Lieferungen gaben in ähnlichem Umfang nach.
 
Die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Indikatoren für die Stahlkonjunktur können die dramatischen Einbrüche nicht widerspiegeln. Im Januar und Februar, als sich noch keine Lieferketten- und Absatzprobleme durch den „Shutdown“ bemerkbar gemacht haben, zeigten sich vielmehr noch vorsichtige Anzeichen einer Stabilisierung, wenn auch auf niedrigem Niveau. Ab März zeigten sich allerdings dann schon die ersten unmittelbaren Bremsspuren aus der Corona-Krise: Die Rohstahlproduktion nahm in diesem Monat um 10 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum ab. Der Rückgang im ersten Quartal belief sich auf 6 Prozent.
 
Mit Blick auf die nachfolgenden Monate ist davon auszugehen, dass die Corona-Krise tiefe Einschnitte in der Stahlnachfrage in Deutschland wie auch weltweit hinterlassen wird: Die globale Marktversorgung Walzstahl könnte in diesem Jahr stärker zurückgehen, als es noch während der großen Finanzkrise der Fall gewesen ist. Den aktuellen Verwerfungen dürfte sich dabei keine Region vollständig entziehen können.
 
Derzeit ist jedoch zu beobachten, dass in wichtigen stahlproduzierenden Ländern die Erzeugung trotz weltweitem Konjunktureinbruch nicht an die veränderte Nachfragesituation angepasst, sondern sogar ausgeweitet wird. Dies gilt insbesondere für China, wo die Rohstahlproduktion im ersten Quartal 2020 ausgehend von einem Rekordniveau weiter gesteigert wurde. Hierdurch wurden hohe Lagerbestände aufgebaut, die angesichts unzureichender Binnennachfrage nun auf die Weltmärkte drängen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch für die Türkei oder Russland beobachten. In Summe ist zu befürchten, dass sich in Folge der Pandemie auch die globale Strukturkrise dramatisch zuspitzen und das Problem der weltweiten Überkapazitäten entsprechend verschärfen dürfte.
 
Angesichts dieser Gefahr ist es zwingend notwendig, zeitnah und den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) entsprechend umfassende Anpassungen an den EU-Schutzklauselmaßnahmen (Safeguards) vorzunehmen. In dieser Krisensituation darf nicht zugelassen werden, dass andere Länder ihre Strukturprobleme auf dem europäischen Stahlmarkt abladen. Insbesondere im zweiten und dritten Quartal 2020 wird der Stahlsektor der EU voraussichtlich die schwerste Zeit der Krise durchlaufen. Dementsprechend ist auch eine Anpassung der Zollkontingente in dieser Zeitspanne dringend erforderlich. Sie muss so bald wie möglich erfolgen, um Schaden von der Industrie abzuwehren. Zudem ist bereits heute abzusehen, dass sich die Stahlnachfrage in der zweiten Jahreshälfte 2020 und auch noch im Jahr 2021 äußerst volatil entwickeln und fragil bleiben wird. Plötzliche Importsteigerungen würden den Markt in dieser Situation besonders belasten
 
Die Rohstahlproduktion in Deutschland ist im März um über 10 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat auf 3,3 Millionen Tonnen zurückgegangen. Nach einem ohnehin niedrigen Ergebnis im Vorjahreszeitraum, fiel die Stahlerzeugung in den ersten drei Monaten des Jahres um rund 6 Prozent. Die ersten Auswirkungen der Corona-Krise sind damit in der Stahlindustrie bereits deutlich sichtbar geworden.
 
Quelle: Wirtschaftsvereinigung Stahl / Vorschaufoto: fotolia
 
 
 
 
 

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