EU-Eisenerzversorgung unter Druck: Stresstest für Europas Rohstoffbasis
von Hubert Hunscheidt
Die Eisenerzversorgung der Europäischen Union steht vor einer strukturellen Bewährungsprobe. In Kiruna im Norden Schwedens, Standort des weltweit größten unterirdischen Eisenerzbergwerks des staatlichen Konzerns LKAB, erzwingen bergbaubedingte Setzungen eine umfassende Verlagerung der Stadt. Die Entwicklungen werfen Fragen zur langfristigen Versorgungssicherheit der europäischen Stahlindustrie auf.
Kiruna wurde vor rund 125 Jahren rund um das Bergwerk gegründet und wird nun schrittweise rund drei Kilometer nach Osten verlegt. Hintergrund ist die fortschreitende Ausdehnung des Untertagebaus, die das Setzungsrisiko im Stadtgebiet erhöht. Bis 2035 sollen tausende Gebäude verlagert werden; allein noch rund 6.000 Einwohner und 2.700 Häuser sind betroffen. LKAB trägt dafür Entschädigungs- und Umsiedlungskosten von rund 2,4 Mrd. US-Dollar, wobei sich die Mehrheit der Betroffenen für Neubauten entscheidet. Ein symbolischer Meilenstein war im August 2025 die Verlegung der über 100 Jahre alten Holzkirche von Kiruna.
Die strategische Bedeutung des Standorts ist erheblich: LKAB deckt rund 80 Prozent des Eisenerzbedarfs der EU. Produktionsstörungen oder Verzögerungen infolge der Umsiedlung könnten sich daher unmittelbar auf die Versorgung europäischer Stahlwerke auswirken – insbesondere in einem Umfeld, das bereits von Importdruck, hohen Energiepreisen und ambitionierten Dekarbonisierungsvorgaben geprägt ist. Zusätzliche Kosten oder Unterbrechungen würden die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Stahlindustrie weiter belasten.
Gleichzeitig hat Kiruna auch eine positive strategische Dimension. In der Region wurden bedeutende Vorkommen seltener Erden identifiziert, die unter den EU-Critical-Raw-Materials-Act fallen und für die Transformation und Dekarbonisierung der Industrie wichtig sind. Die Investitionen sichern langfristig den Betrieb der Mine und stärken Europas Rohstoffautonomie – allerdings zu hohen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten.
Der Fall Kiruna zeigt exemplarisch, wie verwundbar die EU bei zentralen Rohstoffen bleibt. Während Handelsschutzmaßnahmen und Industriepolitik diskutiert werden, rückt die Sicherung eigener Eisenerzvorkommen zunehmend in den Fokus. Für die Stahlindustrie wird Kiruna damit nicht nur zu einem lokalen Infrastrukturprojekt, sondern zu einem Schlüsselthema für Versorgungssicherheit und industrielle Resilienz in Europa.
Quelle: SteelRadar / Foto: pixabay_bishnu-saragnyi