Deutsche Stahlindustrie erholt sich langsam

von Hubert Hunscheidt

Die Corona-Krise und der damit verbundene Einbruch der deutschen Industrie lässt die Rohstahlerzeugung hierzulande in diesem Jahr wohl um knapp 15 Prozent sinken. Im nächsten Jahr werden Rohstahlerzeugung und Stahlverwendung zwar um 10,9 bzw. 6,2 Prozent zunehmen, damit aber noch nicht das Vorkrisenniveau erreichen. In der deutschen Stahlindustrie dürften 2021 im Jahresdurchschnitt weitere 3.000 Stellen wegfallen. Davon geht das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in seinem aktuellen „Stahlbericht“ aus.

Das Wichtigste in Kürze:

Für Deutschland

Auch die deutsche Stahlindustrie hat in den vergangenen Monaten unter dem Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage durch die Corona-Krise gelitten. Die Rohstahlerzeugung in Deutschland lag in den Monaten Januar bis August 2020 um 16,5 Prozent unter der im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Sie dürfte dieses Jahr im Jahresdurchschnitt um knapp 15 Prozent sinken. Im nächsten Jahr dürfte sie um 10,9 Prozent auf 37,5 Millionen Tonnen steigen. Die Erzeugungskapazitäten dürften dann zu gut 75 Prozent ausgelastet sein. Dies ist ein im längerfristigen Vergleich niedriger Wert.

Hintergrund dieser Einschätzung ist, dass die Produktion der Stahlverwender und damit die inländische Nachfrage nach Stahl im Jahresdurchschnitt 2020 voraussichtlich um 14,5 Prozent abnimmt. Der im kommenden Jahr erwartete Zuwachs von 7,3 Prozent wird das diesjährige Minus nicht ausgleichen können.

Mit der Belebung der internationalen Konjunktur werden die Ausfuhren von Walzstahl voraussichtlich zunehmen. Da die Einfuhren ebenfalls steigen dürften, wird sich der Saldo des Außenhandels mit gewalzten Stahlprodukten nur wenig ändern. Angeregt wird die Nachfrage nach Stahl dadurch, dass Hersteller, Handel und Verwender im Zuge der besseren Konjunktur ihre Lager aufstocken.

Die seit Ende 2018 tendenziell sinkende Roh- und Walzstahlerzeugung wurde zunächst über Arbeitszeitverkürzungen und eine rückläufige Produktivität abgefedert, die Beschäftigung nahm 2018 und 2019 sogar zu. Seit Herbst 2019 wurden 4.000 Stellen abgebaut. Im Jahresverlauf 2021 dürfte die Beschäftigung um weitere 4 Prozent sinken und im Jahresdurchschnitt 3.000 Stellen wegfallen.

Die deutsche Stahlindustrie steht vor großen Herausforderungen auf der Nachfrage- wie auf der Angebotsseite. Nachfrageseitig sinkt voraussichtlich der Stahlbedarf, weil deutsche Automobilhersteller im Übergang zur E-Mobilität ausländische Märkte verstärkt durch Produktionsstätten vor Ort bedienen. Für die deutsche Stahlindustrie könnten dadurch strukturelle Überkapazitäten entstehen. Angebotsseitig ist die Dekarbonisierung der Stahlerzeugung eine Herausforderung.

Das größte Potenzial, um „grünen Stahl“ zu erzeugen, bietet die Wasserstofftechnologie. Eine Umstellung benötigt jedoch Zeit und erhebliche Investitionen, die für die Stahlindustrie in der aktuellen Situation schwierig zu finanzieren sein dürften.

Staatliche Hilfen an die Stahlindustrie könnten den größten industriellen Emittenten helfen, ihren CO2-Ausstoß gemäß den deutschen Klimazielen zu reduzieren. Andererseits ist die Gefahr groß, dass staatliche Hilfen den Strukturwandel in der Industrie behindern, insbesondere den Kapazitäts- und damit verbundenen Beschäftigungsabbau.

Für die Welt

Die globale Rohstahlerzeugung lag in den ersten acht Monaten dieses Jahres 4,2 Prozent unter dem Vorjahreswert. Im Jahresdurchschnitt dürfte sie um gut 3 Prozent sinken. Das Minus fällt nicht stärker aus, weil sich China von der Corona-Krise früher und rascher erholte als andere Länder. Während seine Rohstahlerzeugung bereits im zweiten Quartal um 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr stieg, verschärfte sich in nahezu allen anderen Ländern der Produktionseinbruch. Durch die regionalen Unterschiede steigt der Anteil Chinas an der weltweiten Stahlerzeugung auf 60 Prozent.

Auch im kommenden Jahr wird sich der Stahlmarkt wohl zweigeteilt entwickeln. Während die Fortgeschrittenen Volkswirtschaften das Vorkrisenniveau wohl noch nicht erreichen werden, dürfte die Stahlerzeugung in China weiter expandieren. Insgesamt dürfte die weltweite Rohstahlerzeugung im kommenden Jahr um etwa 6 Prozent zunehmen.

Die globale Kapazitätsauslastung dürfte in diesem Jahr unter 75 Prozent sinken. Im kommenden Jahr wird sie trotz der angenommenen Produktionssteigerung wohl nur wenig auf 77 Prozent steigen. Auch dabei ist die Entwicklung zweigeteilt zwischen China und dem Rest der Welt: Während sie in China, wo in den vergangenen Jahren Kapazitäten abgebaut wurden, bei 90 Prozent liegen dürfte, wird sie im Rest der Welt wohl nur wenig mehr als 60 Prozent betragen. Das Problem der globalen Überkapazitäten besteht weiterhin.

Zur Situation der deutschen Stahlindustrie sagt RWI-Konjunkturchef Torsten Schmidt: „Die Corona-Krise hat die deutsche Stahlindustrie hart getroffen. Sie wird zwar von der Erholung der Konjunktur profitieren, die seit Herbst 2018 deutlich zurückgegangene Automobilproduktion dürfte sie jedoch auch weiterhin belasten.“

Quelle: RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V. / Vorschaufoto: marketSTEEL

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