Deutliche Belastungen der Wirtschaft durch Ukraine-Krieg

von Hubert Hunscheidt

In seiner aktuellen Frühjahrsprognose halbiert das IfW Kiel seine Vorhersage für die Zunahme der Wirtschaftsleistung in Deutschland im laufenden Jahr nahezu. Es erwartet nun nur noch ein Plus von 2,1 Prozent (bislang 4 Prozent). Die Inflationsrate dürfte auf 5,8 Prozent steigen, so hoch wie noch nie seit der Wiedervereinigung.

Der Ukraine-Schock verzögert die Rückkehr zum Vor-Corona-Niveau in die zweite Jahreshälfte. Die Produktionskapazitäten bleiben bis Ende des Jahres nicht voll ausgelastet und damit die Wirtschaftsleistung unter den Möglichkeiten. Im kommenden Jahr dürfte ein Teil der nun entfallenden Produktion nachgeholt werden und die Wirtschaft dann um 3,5 Prozent zulegen (bislang 3,3 Prozent erwartet). Die ökonomischen Verwerfungen infolge des Ukraine-Krieges dürften Deutschland in diesem und im kommenden Jahr insgesamt rund 90 Mrd. Euro an Wirtschaftsleistung kosten.

„Ohne die starken postpandemischen Auftriebskräfte wäre die deutsche Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr rückläufig. Die Konjunktur in Deutschland wie weltweit ist gegenläufigen Kräften ausgesetzt. Den kräftigen Auf- und Nachholeffekten nach dem Wegfall der meisten Infektionsschutzmaßnahmen stehen die Schockwellen infolge des Ukraine-Krieges gegenüber“, sagte Stefan Kooths, Konjunkturchef und Vizepräsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel), anlässlich der heute vorgestellten Frühjahrsprognosen für Deutschland, den Euroraum und die Weltwirtschaft.

Im Euroraum dürfte das BIP um 2,8 Prozent (2022) und 3,1 Prozent (2023) steigen. Die Weltwirtschaft expandiert deutlich schwächer, als ohne den Krieg zu erwarten gewesen wäre. Sie dürfte mit Raten von 3,5 Prozent in diesem und 3,6 Prozent im nächsten Jahr aber immer noch etwas stärker zulegen als im längerfristigen Trend. Die russische Wirtschaft wird in eine schwere Rezession rutschen.

Der Ukraine-Krieg belastet die Konjunktur über höhere Unsicherheit, neuen Stress in den Lieferketten und nochmals verteuerte Rohstoffpreise, insbesondere für Öl und Gas. Insgesamt dürfte die deutsche Energieimportrechnung im Jahr 2022 um rund 40 Mrd. Euro höher ausfallen, als noch in der Dezemberprognose veranschlagt war.

Allerdings haben in Deutschland die Konsumenten während der Pandemiephase zusätzliche Ersparnisse in Höhe von 220 Mrd. Euro angehäuft. Ferner sitzen die Industrieunternehmen auf rekordhohen Auftragsbeständen von 100 Mrd. Euro, rund 17 Prozent ihrer Jahresproduktion. Diese Sonderfaktoren federn den Ukraine-Schock ab, sodass die konjunkturelle Erholung nach der Corona-Pandemie zwar kurzfristig stark belastet wird, aber nicht abbricht.

Rekordinflation im wiedervereinigten Deutschland und im Euroraum

Die stark gestiegenen Preise für importierte Rohstoffe und Vorleistungen sind noch nicht vollständig bei den Verbrauchern angekommen. Es hat sich bereits vor dem Ukraine-Krieg ein erheblicher, breit angelegter Inflationsdruck aufgebaut, der sich das gesamte Jahr über in hohen Teuerungsraten zeigen wird, selbst wenn – wie in der Prognose unterstellt – die Rohstoffpreise wieder etwas nachgeben und die Lieferengpässe in der zweiten Jahreshälfte sukzessive nachlassen.

Im Jahresdurchschnitt wird die Inflation mit voraussichtlich 5,8 Prozent so hoch sein wie noch nie im wiedervereinigten Deutschland. 2023 werden die Zuwachsraten nur allmählich nachlassen, und die Inflation dürfte auf Jahressicht bei 3,4 Prozent liegen. Insbesondere in der Bauwirtschaft steigen die Preise drastisch, im letzten Jahr waren es 8,6 Prozent – die bei weitem höchste Preissteigerung seit der Wiedervereinigung. Sie dürfte in diesem Jahr noch darüber liegen, bevor sie im nächsten Jahr wieder moderater ausfällt.

Im Euroraum dürfte die Inflationsrate mit 5,2 Prozent den höchsten Stand seit Bestehen der Währungsunion erreichen. Auch 2023 dürfte die Teuerungsrate mit 2,8 Prozent weiterhin klar das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) übertreffen.

„Der Inflationsdruck ist auch der weltweit expansiven Geld- und Fiskalpolitik während der Pandemiephase geschuldet. Die massiven Finanzhilfen haben – weitgehend finanziert über die Notenbanken – in großem Stil Phantom-Einkommen im privaten Sektor geschaffen, also Einkommen, denen keine Produktion gegenüberstand und die daher inflationär wirken. Kriegsbedingt bekommt die Teuerung einen weiteren Schub, in Gang gekommen war sie aber längst vor dem Überfall auf die Ukraine”, so Kooths.

Schulden steigen, Arbeitsmarkt bleibt robust

Die Erwerbstätigkeit setzt ihre Erholung von der Corona-Krise fort, wenngleich das Tempo nachlassen dürfte. Die Zahl der Erwerbstätigen steigt von 45,5 Millionen in diesem auf 45,7 Millionen im nächsten Jahr. Dämpfend wirken zum einen die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges. Zum anderen wird die Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 Euro zu Beschäftigungsverlusten führen (vgl. IfW Kiel Medieninformation: Mindestlohn von 12 Euro: Risiken für Beschäftigung steigen, Armut sinkt kaum). Außerdem erreicht das Arbeitskräfteangebot im nächsten Jahr wegen der Alterung der Gesellschaft seinen Zenit. Die Arbeitslosigkeit sinkt von 5,7 Prozent (2021) auf neue gesamtdeutsche Tiefstände von 4,9 Prozent (2022) und 4,7 Prozent (2023).

Die Schulden der öffentlichen Haushalte gehen nach der Corona-Pandemie zwar zurück, bleiben aber hoch. Der Bund hat in Form von Sondervermögen für den Klimaschutz und die Verteidigung die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass trotz Schuldenbremse Finanzierungsdefizite in größerem Umfang möglich sind. 2022 beträgt das Minus 92 Mrd. Euro, 2023, wenn die Schuldenbremse wieder greifen soll, gut 81 Mrd. Euro. Deutschlands öffentliche Schulden betragen dann 68 Prozent (2022) bzw. gut 65 Prozent (2023) des Bruttoinlandsproduktes (BIP).

„Deutschlands Liste der ungelösten Verteilungskonflikte wird immer länger. Ungedeckte Leistungsversprechen im Renten- und Gesundheitssystem, ambitionierte Maßnahmen zum Klimaschutz, mehr Verteidigungsausgaben, Abfederung der hohen Energiepreise – bislang weicht die Finanzpolitik stets in neue Schulden aus. Nicht die Schuldentragfähigkeit ist das Problem, sondern dass dieser Kurs immer weniger in die gesamtwirtschaftliche Landschaft passt, auch weil dadurch die Inflation neue Nahrung bekommt. In Zeiten demografisch bedingt schwindender Wachstumskräfte gilt es, die Ansprüche an die Möglichkeiten anzupassen. Das erfordert Haushaltskonsolidierung, idealerweise durch Priorisierung der Ausgaben“, so Kooths.

Quelle: IfW Kiel / Foto: marketSTEEL

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