Automobilzulieferer, Metall und Maschinenbau vor Insolvenzrisiko

von Hubert Hunscheidt

Der internationale Kreditversicherer Atradius geht angesichts der weiter anhaltenden Corona-Pandemie von einem außerordentlich schweren Jahr 2021 für die deutsche Wirtschaft aus. Vor allem im Dienstleistungsgewerbe, der Textilwirtschaft und im stationären Einzelhandel hinterlässt der zweite Lockdown tiefe Spuren in den Bilanzen. Unternehmen, die in diese Sektoren liefern oder Dienstleistungen für sie erbringen, müssen sich auf deutlich mehr Zahlungsausfälle und Kundeninsolvenzen einstellen. Bei Atradius haben Unternehmen in den vergangenen Monaten, in denen die Unsicherheiten noch einmal deutlich zugenommen haben, vermehrt nach Versicherungsschutz für ihre offenen Forderungen nachgefragt.

Die immer massiveren Einschränkungen setzen vor allem Unternehmen in den Bereichen öffentlicher Transport, Tourismus, Veranstaltungen und Gastronomie unter Druck. Besonders schwer betroffen sind Hotels, Catering-Dienste, Restaurants, Cafés und Gaststätten, Event- und Messedienstleister sowie Reiseveranstalter und sonstige Tourismusdienstleister. Bei ihnen entstehen immer größere Liquiditätsengpässe, was die erhöhte Zahl der Nichtzahlungsmeldungen deutlich macht, die Kunden mit Abnehmern in diesen Bereichen in den vergangenen Wochen eingereicht haben. "Während die Einnahmen ausbleiben und oft nur unzureichend durch staatliche Hilfen kompensiert werden, laufen die Fixkosten wie Mieten, Löhne und Gehälter sowie andere vertragliche Verpflichtungen weiter", sagt Frank Liebold, Country Director Deutschland von Atradius. "Wenn die staatlichen Hilfsgelder zurückgefahren werden und die Lockerung der Insolvenzantragspflicht endet, dürften die bereits erheblichen Unsicherheiten noch weiter zunehmen." Aufgrund der anhaltend extrem schwierigen Geschäftsumstände bei Event-, Tourismus- und Gastronomie-Unternehmen und des negativen Ausblicks auf das Jahr 2021 hat der Kreditversicherer seine Risikobewertung für diese Firmen jetzt auf insgesamt "sehr hoch" heraufgestuft. Der internationale Kreditversicherer rechnet damit, dass es in den kommenden Monaten bei Abnehmern in diesen Bereichen zu einer Zunahme der Zahlungsverzögerungen und Insolvenzen im zweistelligen Prozentbereich gegenüber den vergangenen Jahren kommt.

Automobilzulieferer, Metall und Maschinenbau: Zeichen stehen auf Sturm

Auch in der Industrie verursachen die anhaltend erschwerten Geschäftsbedingungen ein erhöhtes Forderungsausfallrisiko. Laut des Verbands der Automobilindustrie (VDA) sind die Neuzulassungen von Pkw in Europa 2020 um 24 % gegenüber dem Vorjahr eingebrochen. Nur geringfügig kleiner war der Rückgang der Neuzulassungen in Deutschland (-19 % gegenüber 2019). Atradius rechnet damit, dass große Herstellermarken und Zulieferer die schwachen Verkaufszahlen dank ihres guten Zugangs zum Kapitalmarkt und ihrer finanziellen Polster noch relativ gut überstehen dürften. Demgegenüber geht der Kreditversicherer von einem weiteren Anstieg der Insolvenzen bei kleineren und mittleren Zulieferern infolge von Corona aus.

Der deutsche Maschinenbausektor ist in hohem Maße von der Nachfrage aus dem Ausland abhängig. Diese ist weiterhin verhalten angesichts der globalen Einschränkungen durch die Corona-Pandemie. Atradius hat bereits in den vergangenen Wochen eine außerordentlich erhöhte Zahl an Schadenmeldungen von Kunden erhalten, die in die deutsche Maschinenbauindustrie liefern, und rechnet damit, dass dieser Trend in den kommenden Monaten weiter anhalten wird.

In der Metallbranche ist bereits seit 2019 ein steigendes Insolvenzrisiko zu beobachten aufgrund höherer Transport-, Arbeits- und Energiekosten, Überkapazitäten und starkem Wettbewerb. Die Corona-Pandemie hat die Lage noch verschärft, da sie zu einer rückläufigen Nachfrage geführt hat. Für dieses Jahr wird mit einem Anstieg der Zahlungsausfälle und Insolvenzen von 5 bis 10 Prozent gerechnet. Geringfügig besser ist die Lage bei den Stahlunternehmen, bedingt auch durch den Wiederanstieg der Preise. Dennoch geht man auch hier von einem leichten Anstieg der Insolvenzen für 2021 aus.

Textilbranche leidet unter Geschäftsschließungen

Die Textilbranche zählt ebenfalls zu den größeren Verlierern in der Pandemie. Während des Lockdowns sind die stationären Geschäfte geschlossen. Hersteller und Händler bleiben auf hohen Lagerbeständen sitzen, was auch größere Akteure auf dem Markt vor existenzielle Probleme stellt und bereits zu mehreren Insolvenzen in diesem Bereich geführt haben. Es muss mit Umsatzrückgängen zwischen 20 und 30 Prozent gerechnet werden, bei einigen Anbietern auch mit noch stärkeren Einbrüchen. "Die Situation wird sich auch im laufenden Jahr nicht wesentlich entspannen, da die Branche bereits in den Vorjahren mit Umsatzverlusten zu kämpfen hatte, die der Online-Handel nur zu einem Bruchteil ausgleichen konnte", sagt Frank Liebold. Die anstehenden Verbindlichkeiten aus den Warenlieferungen für das Frühjahrsgeschäft dürfte die Liquidität vieler Textilhändler zusätzlich unter Druck setzen, zumal die Margen in der Branche bereits vor der Pandemie äußerst niedrig waren. Lediglich Sportartikelhersteller erlebten aufgrund der zunehmenden Homeoffice-Tätigkeit sowie einem verstärkten Drang nach Bewegung neue Höhenflüge beim Verkauf von Artikeln wie Jogginghosen und Kapuzenpullovern. Einige von ihnen berichteten von Absatzzahlen, die sechs- bis siebenmal über dem entsprechenden Vorjahreswert lagen. Atradius geht auch hier dennoch von einer Zunahme der Insolvenzen um mehr als 10 % aus. Sollten die Lockdown-Maßnahmen über Ostern hinaus in Kraft bleiben, dürften auch große Kleidungshändler in existenzbedrohende Liquiditätsnöte bekommen.

Nicht alle profitieren vom Online-Boom

Im Bereich der langlebigen Konsumgüter setzte sich die positive Geschäftsentwicklung in den Bereichen Möbel, Haushaltsgeräte und Baustoffe auch zum Jahresende hin fort. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich das Geschäft im Hinblick auf den aktuellen Lockdown weiter entwickeln wird. Die digitale Transformation stellt vor allem kleine und mittlere Unternehmen vor Herausforderungen. Zudem können nicht alle Händler im Non-Food-Bereich vom Online-Boom profitieren: "Wer beispielsweise im Niedrigpreisbereich tätig ist und zudem eine preissensitive Kundschaft hat, kann sein Geschäft nicht so einfach ins Netz verlagern. Insbesondere dann nicht, wenn ein großer Teil der Kunden aufgrund einer schwachen Bonität keinen Zugang zu den dafür notwendigen Zahlungsmitteln wie Kreditkarten haben", ergänzt Frank Liebold.

Bau- und Lebensmittelbranche bleiben relativ stabil

Verhältnismäßig geringer ist das Forderungsrisiko in der Bauwirtschaft, was zu einem erheblichen Teil an den Händlern von Baumaterialien liegt. Zahlreiche Unternehmen haben von den zunehmenden Heimwerkertätigkeiten von Privatpersonen während der Pandemie 2020 profitiert. Höhere Forderungsausrisiken bestehen hingegen weiterhin bei Geschäften mit Bauunternehmen. Hier hat Atradius in den vergangenen Monaten eine hohe Zahl an Nichtzahlungs- und Schadenmeldungen seitens seiner Kunden notiert.

Ein gemischtes Bild bietet sich ebenfalls beim Blick auf die Lebensmittelbranche. Hersteller, deren Kunden größtenteils Restaurants, Hotels, Kantinen und Catering-Unternehmen sind, kämpfen seit dem ersten Lockdown mit erheblichen Umsatzrückgängen. Hier steigt das Insolvenzrisiko auch in den kommenden Monaten. Demgegenüber haben viele Unternehmen, die den Lebensmittelhandel beliefern, sogar Umsatzzuwächse erzielen können und stehen - trotz höherer Kosten für zusätzliche Hygienemaßnahmen - besser da als vorher. Auch einige Firmen, die im Bereich Verpackungsmaterialien tätig sind, haben von der Corona-Pandemie profitiert. Ihre zusätzlichen Umsätze resultieren größtenteils aus der starken Zunahme des Online- und To-go-Geschäfts sowie aus der erhöhten Nachfrage nach Hygieneverpackungen.

Quelle: Atradius Kreditversicherung / Foto: marketSTEEL

Zurück