Aufwärtsdynamik der europäischen Flachproduktpreise stockt

von Hubert Hunscheidt

Die Erdbeben, die am 6. Februar die Türkei und Syrien erschütterten, verwüsteten Gebäude und kosteten viele Tausend Menschenleben. Der vollständige Wiederaufbau wird mehrere Jahre dauern.

Unmittelbar nach dem Erdbeben waren alle türkischen Stahlerzeuger, unabhängig davon, ob sie im Katastrophengebiet ansässig waren oder nicht, nur damit beschäftigt, die Hilfsmaßnahmen zu unterstützen. Die Handelstätigkeit wurde auf unbestimmte Zeit eingestellt. Transportmittel, Maschinen, Ausrüstung und Gebäude werden eingesetzt, um die Rettungsarbeiten in der betroffenen Region zu unterstützen.

Es ist ungewiss, wann die Stahlproduktion und der Schiffsverkehr in der Türkei wieder aufgenommen werden können. Der Hafen von Iskenderun beispielsweise ist schwer beschädigt, und eingehende Ladungen, einschließlich Stahlschrott, werden umgeleitet. Türkische Hüttenwerke haben Verkaufsaufträge storniert, einige erklärten höhere Gewalt, und es ist nicht abzusehen, wann die Produktion in den zerstörten Anlagen wieder aufgenommen werden kann. Akkreditive können nicht vorgelegt oder geändert werden, da es keine lokalen Bankeinrichtungen gibt.

Bereits vor dem Erdbeben hatte sich die Verkaufstätigkeit der türkischen Coil-Werke in Europa verringert. Kontingente und mögliche Zölle schränkten das Interesse von Käufern und Verkäufern gleichermaßen ein.

In den ersten Wochen des Jahres 2023 stiegen die Preise für westeuropäische Stahlcoils stark an. Die Servicezentren mussten ihre aufgebrauchten Bestände wieder auffüllen, aber die inländische Produktion war durch frühere Kapazitätskürzungen immer noch eingeschränkt. Die Lieferfristen und Angebote für Importe, hauptsächlich aus Asien, waren unattraktiv. Die EU-Stahlerzeuger nutzten die offensichtlich gestiegene Nachfrage und den begrenzten Wettbewerb, um die Preise anzuheben.

Anfang Februar war die Aufwärtsdynamik jedoch zum Stillstand gekommen. Die Stahlerzeuger kündigten weitere Preiserhöhungen an, doch die meisten Abnehmer scheuten diese Schritte. Die tatsächliche Nachfrage zeigt keine Anzeichen für eine wesentliche Erholung, und es wurden bereits Lagerbestellungen aufgegeben.

Die Abnehmer von Coils bezweifeln, dass die derzeitigen Preise angesichts des mangelnden Neugeschäfts gehalten werden können. Sie verweisen auf mehrere Faktoren, die zu einem Rückgang der Stahlpreise führen könnten.

Die Automobilindustrie ist nicht in vollem Umfang tätig. Außerdem haben mehrere europäische Hersteller Pläne angekündigt, stillgelegte Stahlkapazitäten wieder in Betrieb zu nehmen. Dies könnte die Angebotsknappheit lindern. Darüber hinaus würde eine ausbleibende Erholung des chinesischen Stahlmarktes einen negativen Druck auf die internationalen Stahlwerte ausüben.

Die europäischen Abnehmer werden versuchen, neuen, erhöhten inländischen Angeboten zu widerstehen, solange die Nachhaltigkeit der Preise fraglich bleibt. Die Hüttenwerke werden unweigerlich eine Verlangsamung der Auftragseingänge feststellen. Dies könnte ihre Preisambitionen dämpfen, auch wenn erste Anzeichen darauf hindeuten, dass die Stahlerzeuger fest bleiben werden.

Kurzfristiger Trend bei Langerzeugnissen ungewiss

Bei Langerzeugnissen hingegen waren im Monatsvergleich fast durchgängig negative Preisentwicklungen zu verzeichnen. Dieser Sektor wird jedoch die Auswirkungen der türkischen Störungen wahrscheinlich schneller zu spüren bekommen als die Flachprodukte.

Die Nachfrageaussichten, insbesondere im Baugewerbe, sind jedoch schwach. Die hohe Inflation und die steigenden Zinssätze haben den Wohnungsneubau in ganz Europa gebremst. Infolgedessen sind die Stahlvorräte trotz der Bemühungen um einen Abbau der Lagerbestände weiterhin relativ hoch.

Innerhalb des Sektors für Langprodukte haben die Hersteller von Trägern am aktivsten auf höhere Preise gedrängt, allerdings mit wenig Erfolg. Die Händler zögern angesichts der schlechten Marktbedingungen, ihre Lagerbestände auf ein Niveau aufzufüllen, das nahe am Verkaufswert liegt. Ein großer Teil ihrer aktuellen Bestände wurde auf dem letzten Höchststand Mitte 2022 gekauft.

Steigende Schrottpreise wurden durch sinkende Energiekosten ausgeglichen. Das erzwungene Ausbleiben der türkischen Käufer kehrt jedoch den Trend um und lässt die Schrottwerte sinken. Jeder Versuch, die Stahlpreise auf der Grundlage der Kosten zu erhöhen, dürfte kurzfristig scheitern.

Die notwendigen Wiederaufbauarbeiten in der Türkei werden, sobald sie beginnen können, den Fluss von Schrott und Baumaterial verändern. Lokale Werke werden sich auf inländische Arbeiten konzentrieren, und andere regionale Hersteller werden versuchen, etwaige Defizite auszugleichen. Innerhalb Europas könnte das Angebot an Rohstoffen und Walzstahlerzeugnissen geringer werden, und die Preise würden steigen.

Quelle: MEPS International Ltd. / Foto: marketSTEEL

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