Wettbewerbsfähig bleiben durch Differenzierung

von Dagmar Dieterle

marketSTEEL: Die Digitalisierung ist derzeit ein großes Thema in der Stahlindustrie. Herr Dr. Adam, wie treibt Tata Steel die digitale Transformation voran?

Bei Tata Steel arbeiten wir fast ausschließlich im B2B-Bereich. Wir haben schon seit längerer Zeit digitale Handelsplattformen, über die wir zunehmend größere Mengen im Commodity-Bereich an industrielle Kunden verkaufen. Das Kleinstmengengeschäft ist für uns hingegen nicht relevant. Daher ist beispielweise eine App, über die man Stahl bestellen kann, für uns nicht der richtige Weg.

Bei der Digitalisierung auf der B2B-Ebene geht es letztendlich darum, sowohl die Informationsströme rund um das Produkt als auch innerhalb der Prozessketten zu verbessern. Wir arbeiten daher intensiv daran, Lösungen zu entwickeln, die unseren Kunden einen Mehrwert bieten. Unsere Transporteure verwenden beispielsweise ein Informationsmodul, mit dem der Kunde online verfolgen kann, wo sich der Stahl gerade befindet und wann die Bestellung bei ihm eintrifft. Solche Bausteine werden nun sukzessive miteinander verbunden.

marketSTEEL: Wie funktioniert die konkrete Umsetzung?

Es gibt keine dogmatisierte Strategie. Als globaler Konzern haben wir aber den Vorteil, dass die Hierarchien sowieso schon flach und flexibel sind. Wenn in einem Team die gemeinsame Sprache für viele eine Fremdsprache ist, schrumpfen Hierarchien zusammen und der Zusammenhalt wächst. Darüber hinaus ist es für uns natürlich, dass wir bei Veränderungsprozessen wie der Digitalisierung besonders die Generation einbeziehen, die zukünftig Führungsfunktionen übernehmen wird. Natürlich beraten wir uns aber auch mit Partnern und nehmen deren Impulse auf.

Entscheidend ist, dass man nicht nur in 5-Jahres-Plänen denkt. Man muss vielmehr auch die Bereitschaft haben, Fehler radikal zu korrigieren. Wenn man sich aber nur vornimmt, wie ein Startup zu denken ohne so zu agieren, dann ist das schon der falsche Weg. Veränderungen müssen von verschiedenen Ebenen und Funktionen getragen werden, sonst baut man innerhalb des Unternehmens eine Parallelkultur auf.

marketSTEEL: Neben der Digitalisierung sind die globalen Überkapazitäten ein bestimmendes Thema in der Stahlbranche. Der Importdruck aus China belastet die europäischen Stahlhersteller. Wie reagiert Tata Steel auf diese Herausforderung?

Was wir brauchen, ist ein fairer Wettbewerb auf globaler Ebene. Wir unterstützen daher die Aktivitäten der Verbände, wie Eurofer, die sich für einen fairen Handel einsetzen. Zudem haben wir bei Tata Steel in Europa in den letzten Jahren bereits Kapazitäten abgebaut. Dessen ungeachtet wird die Stahlindustrie in Europa längerfristig mit Überkapazitäten leben müssen. Unsere Strategie ist es deshalb, uns durch Differenzierung im Markt zu behaupten. Dabei grenzen wir uns durch Produkte sowie Prozesse und Serviceleistungen vom Wettbewerb ab. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren mehr als 120 Produkte neu in den Markt eingeführt und unsere Differenzierungsprodukte in dieser Zeit volumenmäßig verdoppelt.

Der Kunde muss erkennen können, dass er bei einer Zusammenarbeit mit Tata Steel mehr erreichen kann. Das gilt genauso für unsere Exporte in andere Märkte, auch da werden wir vom Kunden als Importeur angenommen, weil wir differenzieren. Die Neuentwicklung von Produkten erfolgt bei uns dabei immer marktgetrieben. Um das zu gewährleisten, tauschen sich Betriebsvorstand und Entwickler regelmäßig aus, zudem bewerte ich auch KPIs für Innovation und Differenzierung.

marketSTEEL: In wenigen Wochen beginnt die EuroBLECH in Hannover. Präsentiert Tata Steel dort neue Produkte, die für eine solche Differenzierung sorgen?

Wir stellen auf der EuroBLECH eine Vielzahl innovativer Produkte vor. Ein Kernprodukt unseres Messeauftritts wird dabei die neue Stahlsorte XPF 800 für die Automobilindustrie sein. Dieser hochfeste Stahl ist in hohem Maße umformbar und besitzt eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber Rissen an Flanschen. Gegenüber herkömmlichem Stahl erhöht die verbesserte Balance zwischen Lochaufweitungsfähigkeit und Bruchdehnung darüber hinaus die Designfreiheit im Leichtbau. XPF ist eine Ergänzung zu unseren Produkten im Karosseriebereich, und wir haben die Hoffnung, damit schnell in den Markt zu kommen.

marketSTEEL: Tata Steel investiert 200 Millionen Euro in eine neue Stranggussanlage im niederländischen IJmuiden. Welche Ziele stecken dahinter?

Die Kundenanforderungen sind nicht statisch, sondern wachsen stetig. Mit der Investition präparieren wir uns daher für die Kundenanforderungen von morgen. Wir wollen unsere Möglichkeiten, hochfesten Stahl für verschiedene Industrieanwendungen zu fertigen, weiter ausbauen. Die Qualität des Werkstoffs Stahl ist noch lange nicht ausgereizt, und das muss man entsprechend in Anlagen abbilden. Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, sind wir in hohem Maße auf Investitionen angewiesen. IJmuiden ist dabei ein Standort von vielen, aber ein wesentlicher. Das Werk hat einen großen Vorteil: Wir können auf alle Transportwege zurückgreifen.

marketSTEEL: Europa ist also ein wichtiger Baustein in den Investitionsplanungen von Tata Steel?

In einem fairen Wettbewerb brauchen wir uns als Europäer nicht zu verstecken. Wir kaufen das gleiche Erz und die gleiche Kohle ein und auch bei den Lohnkosten sehe ich keinen ausschlaggebenden Nachteil. Diese sind in China in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen, und es wird zu einer weiteren Angleichung kommen. Wenn man langfristig Industrie in Europa halten kann, wird es auch lokale Wertschöpfungsketten geben.

Das Blatt kann sich in den nächsten 20-30 Jahren allerdings auch drehen, wenn man sich anschaut, wie andere Länder in Europa die Industriepolitik bremsen. Daher sind alle industriellen Gruppen innerhalb einer Wertschöpfungskette gefragt, genauso wie die Politik und die Arbeitnehmervertreter. Nur wenn alle Partner in der Wertschöpfungskette mit ihren Strategien zusammenfinden, können wir Europa als Industriestandort erhalten.

Quelle: marketSTEEL, Bildtext: Der Interviewpartner Dr. Henrik Adam ist Chief Commercial Officer bei Tata Steel in Europa. (Foto: Tata Steel)

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