Stahlmarkt-Trends 2017: So wird es kommen (oder auch ganz anders)

von Dagmar Dieterle

Leverkusen, 19. November 2016 - 

In diesem Jahr stellen viele Stahleinkäufer die Frage, was das neue Jahr für den deutschen Stahlmarkt bringen wird, nicht mehr so gelassen wie in den vergangenen Jahren. Denn am Spotmarkt sind die Preise vor allem für Flachstahl in den vergangenen Wochen dramatisch gestiegen und haben mittlerweile den höchsten Stand seit dem Frühjahr 2012 erreicht. Kann dieses Niveau gehalten werden? Fällt bald alles wieder in sich zusammen? Diese Fragen haben für viele Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette Stahl große Bedeutung. Es kann viel Geld gewonnen oder verloren werden. Nicht nur kalendarisch ist es also an der Zeit für einen Ausblick auf mögliche Stahlmarkt-Trends im Jahr 2017.   

Die Rohstoffmärkte werden der wichtigste Einflussfaktor für die Höhe der Stahlpreise im Jahr 2017 sein. Vor allem die Erwartung von im Jahresverlauf sinkenden Rohstoffpreisen spricht dafür, dass auch die Stahlpreise im Jahresverlauf nachgeben werden. Besondere Risiken liegen in möglichen lagerzyklischen Effekten und in der rigiden Handelspolitik der EU. Hier der Ausblick im Einzelnen:

  1. Die Last der Unsicherheit
    Es gibt viel mehr Prognosen als rückblickende Bewertungen, ob die gemachten Prognosen auch eingetroffen sind. Daher sei vorweg geschickt: Was am Stahlmarkt im Jahr 2016 geschehen ist, habe ich nicht kommen sehen. Vor einem Jahr habe ich zwar richtig erwartet: „Am deutschen Markt werden die Stahlpreise im Dezember 2016 höher liegen als im Dezember 2015.“  Auch die Nachfragewartungen waren so falsch nicht. Den Höhenflug der Rohstoffpreise, die Stärke des chinesischen Stahlmarktes und im Ergebnis auch das Ausmaß der Stahlpreiserhöhungen im Jahresverlauf hatte ich aber nicht erwartet. Dass insbesondere bei den Rohstoffpreisen kein mir bekannter Experte richtig lag, ist nur ein schwacher Trost. Aber keine Prognose ist auch keine Alternative. Es muss ja geplant und gehandelt werden, und dafür braucht man eine Basis. Selbst wenn dann doch wieder alles wird. Denn die Unsicherheit über das, was kommt, wird so schnell nicht vergehen.  
  1. Rohstoffpreise im Fokus – Aktuelles Niveau wird sich nicht halten
    Der wichtigste Einflussfaktor auf die Stahlpreise waren 2016 die Rohstoffpreise. Dies wird auch im kommenden Jahr so bleiben. Leider scheint es aber unmöglich, die Preisentwicklung für Kokskohle, Eisenerz und Schrott einigermaßen korrekt zu prognostizieren. Denn längst sind nicht nur noch fundamentale Daten relevant, ebenso zählen zum Beispiel politische Einflüsse, die Stimmung an den Finanzmärkten und – das Wetter. Trotzdem dieser Unwägbarkeiten wage ich die Trendaussage: das aktuelle Preisniveau der für die Stahlerzeugung wichtigen Rohstoffe wird sich auf Jahressicht nicht halten.

    Einiges spricht dafür, dass die Kokskohlepreise am Spotmarkt bereits ihren Peak erreicht haben. Dies setzt voraus, dass es in den Wintermonaten nicht zu extremen Wettereinflüssen in Australien und China kommt und dass die chinesischen Behörden an der angekündigten Lockerung der zuvor ausgesprochenen Restriktionen beim Kohleabbau festhalten. Ich erwarte für das Jahr 2017 einen mittleren Preis zwischen 150,- $/t und 250, $/t für hochwertige Kokskohle ab Australien, verglichen mit aktuell um die 300,- $/t. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden die Preise im zweiten Halbjahr 2017 niedriger sein als im ersten Halbjahr. Kleinere Korrekturen der Spotmarktpreise sind seit einigen Tagen schon erkennbar. Ein spürbarer Rückgang könnte ab März/April eintreten, wenn in China weniger Kohle zum Heizen benötigt wird. 

    Die Preise für hochwertiges Eisenerz, geliefert nach China, bewegen sich aktuell um die 80,- $/t, und damit auf einem Zwei-Jahres-Hoch. Getragen wird der Anstieg von den höheren Kokskohlepreisen und von einer positiven Börsenstimmung in China. Fundamental ist das jetzige Preisniveau nicht zu rechtfertigen. Für 2017 erwarte ich, dass die Preise überwiegend in einem Band zwischen 50,- und 70,- $/t liegen werden, bei einer insgesamt hohen Schwankungsbreite.

    Die Schrottpreise konnten den Preisen für Kokskohle und Eisenerz in den vergangenen Monaten nicht folgen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Preise 2017 im Mittel auf oder etwas unter dem Niveau von 2016 liegen werden – auch hier sind kurzfristige große Schwankungen immer möglich.  
  1. Black Box China – Abwärtsrisiken überwiegen
    Alleine aufgrund seiner Größe bleibt der chinesische Stahlmarkt von erheblicher Bedeutung für die internationalen Stahlpreise. Dies gilt trotz der zahlreichen Antidumping-Maßnahmen gegen Stahl aus China. In 2016 hat sich gezeigt, dass das Schlagwort „Überkapazität“ nicht annähernd ausreicht, um den komplexen Markt adäquat zu beschreiben. Aktuell liegen die Stahlpreise in China in vielen Fällen um ca.70% höher als vor einem Jahr. Gründe dafür sind höhere Rohstoffkosten, eine unerwartet starke, von expansiver Geld- und Finanzpolitik getriebene Stahlnachfrage und die gut laufenden Börsen.

    Insbesondere die politischen Faktoren in den Bereichen Umwelt, Kapazitäten, Währung und Konjunkturstützung sind schwer einzuschätzen. Dennoch überwiegen in meiner Einschätzung im Hinblick auf die Stahlpreise in China eindeutig die Abwärtsrisiken. Staatliche Nachfrageimpulse lassen sich nicht beliebig wiederholen und der Börsenwind dürfte sich mit fallenden Rohstoffpreisen drehen. Die Stahlpreise in China dürften in einem Jahr niedriger als heute sein. Mit starken Schwankungen im Jahresverlauf ist zu rechnen.
  2. Stahlnachfrage – Lagerbewegungen entscheidend
    Der reale Stahlbedarf wird sich im nächsten Jahr nicht groß verändern und dem Markt keine größeren Impulse geben. Dies gilt weltweit, für die EU und für Deutschland. Ein leichtes Plus von 1-2% scheint das höchste der Gefühle. Auf der Nachfrageseite werden lagerzyklische Effekte größere Bedeutung haben. Die Stahlpreiskurve ist jahrelang gefallen, was im Trend zu niedrigeren Beständen geführt hat. Nachdem die Kurve nun steil nach oben geht, liegt ein stärkerer Lageraufbau vor allem für das erste Quartal 2017 im Bereich des Möglichen. Voraussetzung ist, dass der Markt daran glaubt, dass der Aufwärtstrend nicht nur von kurzer Dauer ist. Die Chancen dafür stehen heute 50:50.
  3. Stahlangebot: EU-Protektionismus beeinträchtigt Versorgung
    Vor allem im Flachstahlbereich und dort bei verzinktem Material ist die Materialverfügbarkeit derzeit nicht ganz unproblematisch. Dies liegt nicht an einer überschäumenden Nachfrage, sondern an einer fallenden EU-Erzeugung und an einem zunehmend ausgedünnten Importangebot.  Eine Änderung dieser Situation ist zumindest für die ersten Monate des Jahres 2017 nicht absehbar.

    Getrieben vom Druck der Stahlindustrie schottet die EU-Kommission den Markt immer mehr vor Importen ab. Dies zeigt nicht nur die Zahl der Antidumping-Verfahren, sondern vor allem auch die Art und Weise, wie diese im Detail durchgeführt werden. Prohibitiv hohe Einfuhrzölle schließen beträchtliche Einfuhrmengen vom EU-Markt aus. Bis neue Lieferländer gefunden sind, die die entstehenden Lücken wenigstens teilweise füllen können, wird die Flachstahlversorgung in der EU nicht unerheblich beeinträchtigt sein. Zusätzlich wird ein schwacher Euro zu schwächerem Importwettbewerb führen. Dies spielt den EU-Stahlerzeugern in die Hand. Es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang diese ihre Produktion wieder erhöhen.
  1. Stahlpreise: In einem Jahr niedriger als heute
    Aufgrund der zahlreichen Einflussfaktoren, die sich teilweise wechselseitig beeinflussen und in unterschiedliche Richtungen zeigen, ist eine Stahlpreisprognose für 2017 mit außerordentlich hoher Unsicherheit behaftet. Dennoch sei ein Ausblick gewagt. Aktuell ist am Spotmarkt vor allem bei Flachstahl eine starke Aufwärtsdynamik zu beobachten und die Preise sind noch stärker als die Rohstoffkosten gestiegen. Aufgrund von Lagereffekten und schwachem Importwettbewerb könnten die Flachstahlpreise Anfang 2017 sogar zunächst noch weiter steigen, selbst wenn die Rohstoffkosten kaum noch zulegen. Ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass das für das erste Quartal zu erwartende hohe Preisniveau im Jahresverlauf aufrecht erhalten werden kann.

    Aus den genannten Annahmen zu den Rohstoffpreisen folgt nämlich, dass die Rohstoffkosten der Hochofenroute 2017 im Jahresmittel ca. 80,- €/t unterhalb des aktuellen Niveaus (aber um ca. 30,- €/t über dem Jahresmittel 2016) liegen könnten. Zusammen mit einer sich im Jahresverlauf bessernden Versorgungslage und der wenig dynamischen Nachfrage sollte das dazu führen, dass die Preise am Spotmarkt in einem Jahr niedriger sein werden als jetzt. Einiges spricht dafür, dass das Preisniveau des zweiten Halbjahres unter dem der ersten Jahreshälfte liegen wird. Schon alleine wegen des hohen Ausgangsniveaus am Jahresanfang ist es aber ziemlich wahrscheinlich, dass im Jahresmittel 2017 Stahl teurer als in diesem Jahr sein wird. Einiges spricht dafür, dass das Preisniveau des zweiten Halbjahres unter dem der ersten Jahreshälfte liegen wird. Wann genau der erwartete Wendepunkt einsetzen wird, ist seriös nicht vorherzusehen. Nur eine laufende und intensive Marktbeobachtung kann dabei helfen, darauf eine Antwort zu finden.

 

Der Beitrag stammt vom Leverkusener Stahlmarkt-Berater Andreas Schneider, StahlmarktConsult. Foto: StahlmarktConsult

Der Gastkommentar spiegelt die Meinung des Autors wider, nicht notwendigerweise die der Redaktion von marketSTEEL.

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