Neue Chancen durch Digitalisierung
Der Metall- und Stahlhandel tut sich derzeit noch schwer mit Industrie 4.0. Das zeigt eine aktuelle Studie vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Dabei sind die Chancen für die Branche groß und viele Möglichkeiten zum Einstieg gegeben, schreibt Gastautor Florian Schumpp.
Produktionsbetriebe mit digitalisierten Systemen auszustatten löst nicht jedes Problem, aber es gibt für jedes Unternehmen Optimierungspotenziale. Der Metall- und Stahlhandel hinkt dem Fortschritt hinterher: Fast 80 Prozent der befragten Unternehmen haben nach eigener Definition noch keine Erfahrung mit Industrie-4.0-Anwendungen. Die mangelnde Digitalisierung zeigt sich etwa darin, dass auch heute noch häufig Materialbestellungen per Fax getätigt oder relevante Prozessdaten, wenn überhaupt, schriftlich erfasst und in Papierform abgelegt oder, falls die Maschinen über eine Steuerung verfügen (viele Bestandsmaschinen haben das nicht), allenfalls dort lokal gespeichert werden. Dabei gibt es keine Möglichkeit von extern darauf zuzugreifen. Diese und weitere Ergebnisse haben wir am Fraunhofer IPA in einer Studie ermittelt, die im Februar veröffentlicht wurde. Dazu haben wir 66 Unternehmen befragt und Interviews mit neun Branchenexperten geführt.
Der Rückstand hängt damit zusammen, dass der Metall- und Stahlhandel zu über 80 Prozent aus Kleinst-, Klein- und mittelständischen Unternehmen besteht, die häufig sehr konservativ geprägt sind. Auch die Kundenstruktur spielt eine Rolle: Bei Händlern, die die Automobilindustrie beliefern, sind digitalisierte Prozessabläufe – meist im Auftragsmanagement – bereits üblich, wohingegen Händler mit vielen kleinen Kunden, beispielsweise aus dem Handwerk, kaum die Digitalisierung ihres Unternehmens vorantreiben. Und auch die gute konjunkturelle Lage verzögert die digitale Transformation. Man verspürt einfach keinen Handlungsdruck, wenn die Geschäfte auch ohne digitalisierte Prozesse gut laufen.
Schritt für Schritt entwickeln
Unsere Studie hat aber auch ergeben: 60 Prozent aller befragten Unternehmen möchten kurz- oder langfristig Industrie-4.0-Anwendungen umsetzen und sind dafür auch zu Investitionen bereit. Vor allem in den Chefetagen ist man offen dafür und betrachtet die Digitalisierung als Werkzeug zur Bewältigung aktueller und künftiger Herausforderungen. Besonders die Datenauswertung, Transparenz und Echtzeitfähigkeit von Systemen gelten dabei als relevant. Unternehmen, die bereits mit der Digitalisierung begonnen haben, taten das oft in Form kleinerer Projekte, um mit dem Themenfeld in Kontakt zu kommen.
Klein anfangen, Erfahrungen sammeln – das ist unserer Meinung nach genau der richtige Weg. Beginnen Sie mit einem kleinen Pilotprojekt, das einen unmittelbar erkennbaren Nutzen – auch für den Werker – zeigt, mit kleinem Budget sowie geringem Zeit- und Personalaufwand machbar ist. Bei Metall- und Stahlhandelsunternehmen empfiehlt sich etwa die Implementierung eines unterstützenden Systems zur Prozessüberwachung an einer Maschine. Denken Sie dann schrittweise immer größer, vernetzen Sie mehrere Maschinen miteinander. Am Ende steht die unternehmensübergreifende Vernetzung. Dabei entstehen neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten, außerdem auch mit und zwischen Werkzeug- und Maschinenherstellern – neue Chancen also für alle Partner, die an der Wertschöpfungskette beteiligt sind. Ganz neue Geschäftsmodelle werden so denkbar. Eine solche Vernetzung und Kollaboration wird gerade im Forschungsprojekt »I4KMU«, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, an unserem Institut entwickelt – gemeinsam mit unterschiedlichen Branchenteilnehmern.
Lösungen für kleine und mittelständische Unternehmen
Unsere Studie beschreibt eine Vielzahl von Umsetzungsbeispielen und Anwendungen, die zur Anregung dienen können. Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) gibt es auch verschiedene Unterstützungsangebote, sei es durch das Applikationszentrum Industrie 4.0 oder die Nationale Kontakt- und Koordinierungsstelle »I 4.0-Testumgebungen für KMU – I4KMU« in Stuttgart.
Aber natürlich gibt es auch außerhalb von Baden-Württemberg zahlreiche Anlaufstellen. Meine Empfehlung: Unternehmen sollten sich auf jeden Fall einmal mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen und dann entscheiden, ob und wie es für sie in Frage kommt. Unter Experten gilt die Digitalisierung zukünftig zumindest als entscheidender Wettbewerbsvorteil.
Studie zum Download hier
Florian Schumpp, Fachthemenleiter in der Abteilung Leichtbautechnologien am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart
Foto: Florian Schumpp
Der Gastkommentar spiegelt die Meinung des Autors wider, nicht notwendigerweise die der Redaktion von marketSTEEL.