Innovationen entstehen durch die Menschen

Interview mit Frank Koch, Vorsitzender der Geschäftsführung, Georgsmarienhütte Holding GmbH

 

marketSTEEL: Herr Koch, Sie haben vor kurzem gesagt: „Die Zukunft wird noch digitaler als sie heute ist.“ Woran denken Sie dabei: An Werkstoffe, an Produktionsabläufe, an Logistik oder an Änderungen in der Branche?

Frank Koch: Die digitalen Innovationen betreffen alle Bereiche: Produkte, Prozessketten, Arbeitsabläufe, Geschäftsmodelle, Kundenkontakte und Kundenanforderungen. Digitalisierung, Innovation und Disruption beziehen sich auf unser gesamtes Geschäftsmodell, nicht nur auf einzelne Abläufe oder Bestandteile.

Die Rahmenbedingungen sind stark im Fluss. Denken Sie nur an die Mobilität und die Energieerzeugung der Zukunft. Das sind Faktoren, die unsere Industrie erst einmal auf den Kopf stellen. Das heißt, unsere Geschäftsmodelle werden durch die Themen Mobilität, durch das politische Umfeld und durch das Anwenderverhalten auf eine neue Basis gestellt. Von daher kann man die Schlagworte Digitalisierung, Innovation und Disruption nicht auf einen singulären Prozess oder Ablauf in unserer Fertigung oder in der Industrie beziehen, sondern es geht immer um das Ganzheitliche. Alles ist miteinander verbunden.

marketSTEEL: Wie gehen Sie mit den Herausforderungen in Ihrem Unternehmen um? Wie steuern Sie die Veränderungen?

Frank Koch: Es ist ein Top-down-Prozess, der von den Führungskräften, vom Management, angestoßen werden muss. Der Erfolg eines Veränderungsprozesses liegt dann in der Organisation, liegt bei den Menschen, die in ihrem Arbeitsumfeld konkret sehen, was anders und besser gemacht werden kann. Deshalb haben wir unserer Organisation in die DNA geschrieben: Wir brauchen eine Innovations-Organisation, eine Digitalisierungs-Organisation und Menschen, die dies tun, die dies umsetzen und dies auch in die Gruppe hineintragen. Innovationen und Veränderungen entstehen durch die Menschen.

marketSTEEL: An welchen digitalen Projekten arbeiten Sie im Moment?

Frank Koch: Wenn wir über Digitalisierung nachdenken, dann tun wir das prädiktiv. Wir haben eine Reihe von Digitalprojekten angestoßen, bei denen wir vorausschauend agieren können. Ob das nun vorbeugende Instandhaltung ist, ob das vielleicht ein Vorausschauen in den Märkten ist, ob das vorausschauende Investitionen sind. Oder auch das sogenannte Rapid Prototyping. Also die Frage: Wie kommen wir dahin, dass wenn ein Kunde ein neues Bauteil braucht, wir dieses schnell als einzelnes Stück darstellen und produzieren können, um anschließend festzulegen: So soll das Bauteil aussehen, so werden wir es mit unserem Stahl und mit der Art und Weise, wie wir den Stahl erzeugen, gemeinsam umsetzen. Das heißt, die Entwicklung neuer Produkte entsteht auch auf Basis von Simulations-Systemen, es entstehen digitale Zwillinge. Wir simulieren inzwischen für unsere Kunden deren Prozessabläufe mit, wenn sie das wollen. Und im Zuge dieser Digitalisierungsprozesse entstanden und entstehen völlig neue Berufsbilder. Die Mitarbeiter in den Betrieben werden immer stärker zu Controllern und Entscheidern.

marketSTEEL: Wo werden sich die Anforderungen an Stahl - generell auf die Branche bezogen – verändern? Werden die Hauptherausforderungen aus dem Werkstoffbereich kommen, aus der Politik oder von Kundenseite?

Frank Koch: Von allen Seiten. Von der Politik und auch aus der Gesellschaft heraus an das Umfeld. Hier wird unter anderem die Frage gestellt, wie wir produzieren. Das heißt, wir wollen ein guter Nachbar sein. Jeder möchte, dass die Fabrik, die neben seinem Wohnhaus steht, ihm nicht die Luft verschmutzt. Und das ist ja tatsächlich bei unserer Produktion schon längst nicht mehr der Fall – weder beim Staub noch beim CO2. Unsere Stahlproduktion ist komplett elektrisch.

Neue Anforderungen kommen natürlich auch von Seiten der Kunden. Zum Beispiel im Automobilbereich durch die e-Mobilität und andere Mobilitätskonzepte. Dazu kommt, dass wir selbst als Branche und als Industrie auch sehr daran interessiert sind, unsere Produkte weiter zu entwickeln. Wir machen zum Beispiel aus unserer eigenen Fertigung heraus Vorschläge an Interessierte, an Kunden und an weitere Stakeholder. Alle genannten Gruppen haben ein Interesse daran, dass wir uns so verändern wie aufgezeigt. So gesehen birgt die Digitalisierung enorme Chancen und schafft Zukunft.

marketSTEEL: Sie zählen sich als Georgsmarienhütte ja zum Mittelstand. Welche Unterschiede gibt es Ihrer Erfahrung nach zwischen Konzernen und Mittelstand?

Frank Koch: Es gibt wie immer Vor- und Nachteile. Ein Konzern, insbesondere ein börsennotierter Konzern, hat natürlich Möglichkeiten in der Mittelherkunft, also bei der Frage: Wie finanziere ich mein Unternehmen. Damit ist es aber auch mit den Möglichkeiten und den dahinterstehenden positiven Prozessen aus meiner Sicht erst einmal erledigt. Denn der Mittelstand birgt viele Vorteile, die sich auf Menschen, auf Abläufe und auf Organisationen beziehen. Der Mittelstand ist viel direkter in der Führung und viel konkreter in den Handlungen, vor allem aber schneller spürbar in den Effekten. Wenn wir eine Fehlentscheidung treffen, dann braucht es kein Geschäftsjahr, damit die Menschen dies mitbekommen. Vielmehr landet jede Entscheidung sofort bei den Menschen. Jeder merkt sofort, ob und was wir geleistet haben. Wir haben dieses sogenannte Mittelstands-Gen. Wir wollen die neueste Technologie, aber zu vertretbaren Kosten. In ähnlicher Form kennen Sie das vielleicht von den Startups, dieses schnelle und kreative Denken: Alles ist viel schneller greifbar. In gewisser Weise ist es unser Anspruch, selbst zu versuchen, so zu denken wie ein Start-up.

marketSTEEL: Sie haben von Stahlschrott gesprochen. Ist denn Ihr Hauptausgangsmaterial Schrott?

Frank Koch: Zu 100 Prozent. Wir haben ausschließlich Elektrostahlwerke in unserer Gruppe und unser Ausgangsmaterial ist Stahlschrott, der multirecyclingfähig ist. Das heißt, der Schrott fällt irgendwann einmal an, und wir setzen ihn dann immer wieder ein. Wir befinden uns in einer Kreislaufwirtschaft und erzeugen bei der Produktion um den Faktor 5 weniger CO2 als die klassischen integrierten Hüttenwerke und das auf Basis des heutigen deutschen Strommix, der ja noch immer stark geprägt ist von konventionellen Erzeugungsquellen. Unser Anspruch bei Georgsmarienhütte ist es, ein proaktiver, nachhaltiger, umweltverträglicher Lösungsanbieter zu sein.


Das Interview führte marketSTEEL mit

Frank Koch, Georgsmarienhütte Holding GmbH  

Fotos: marketSTEEL

 

Hinweis der Redaktion:

Am 09.05.2019 wurde der Faktor auf 5 (statt 6) geändert. Der Satz lautet nun "Wir befinden uns in einer Kreislaufwirtschaft und erzeugen bei der Produktion um den Faktor 5 weniger CO2 als die klassischen integrierten Hüttenwerke ..."

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