Feralpi strebt Klimaneutralität bis 2050 an. Welche politischen Voraussetzungen müssen geschaffen werden?

von Dagmar Dieterle-Witte

Interview Feralpi, Herrn Giuseppe Pasini, Vorsitzenden des Verwaltungsrates der Feralpi Gruppe.

 

marketSTEEL: Herr Pasini, Sie streben Klimaneutralität bis 2050 an – ein ambitioniertes Vorhaben. Welche politischen Voraussetzungen müssen geschaffen werden, damit dieses Ziel realistisch erreicht werden kann?

In diesem komplexen geopolitischen Umfeld braucht es dringend eine einheitliche Energiepolitik in Europa. Der Ausbau der Erneuerbaren muss schneller und einfacher werden – es braucht weniger Bürokratie, mehr Effizienz. Auch neue Technologien wie die moderne Kernenergie sollten sachlich diskutiert und nicht ideologisch blockiert werden.

Unsere Elektrostahlwerke stoßen - mit Blick auf die Primärroute – bereits nur ein Fünftel der CO2 Emissionen pro Tonne Stahl aus. Im Elektrolichtbogen-Verfahren könnten wir noch weniger CO2 emittieren. Dafür müssten wir unseren aktuellen Strombedarf so weit als möglich durch Erneuerbare decken können. Dann sinken die CO2-Emissionen nach Scope 1 und Scope 2 ohne weitere Investitionen in unser Werk – das heißt, wir benötigen zukünftig einen immer weiter steigenden Anteil der Erneuerbaren Energien im verfügbaren Strommix.

Das Ranking der Feralpi Group unter Europe’s Climate Leaders der Financial Times 2025 zeigt bereits eine kontinuierliche Verbesserung. Insbesondere die Reduzierung der direkten und indirekten Emissionen aus dem Energieverbrauch betrug -30,8 % in den untersuchten Jahren 2018-2023. Darüber hinaus hat die Feralpi Group 2024 als einziges Stahlunternehmen Italiens und eines der wenigen in Europa die Validierung ihrer mittelfristigen (2030) Klimaziele durch das internationale wissenschaftliche Gremium SBTi (Science Based Targets initiative) erhalten.

Wir bieten innovative und nachhaltige Lösungen für die globalen Stahlversorgungsketten durch ein diversifiziertes, vertikalisiertes und auf Flexibilität ausgerichtetes Unternehmen. Von der ESG-Strategie bis hin zu umfangreichen Investitionen stellen wir Produkte für unsere Kunden her, die branchenweit als „Best-in-Class“in Bezug auf die EPD (Environmental Product Declaration) und den Mindestgehalt an recyceltem Material angesehen werden. All dies fassen wir in einem Wort zusammengefasst: FERGreen.

 

marketSTEEL:  Welche Hürden sehen Sie aktuell bei der Dekarbonisierung und inwiefern kann die europäische Politik unterstützend eingreifen, um diese Herausforderungen zu meistern?

Die größte Hürde für uns ist der hohe Anteil an Produktionskosten, der auf Faktoren zurückzuführen ist, die außerhalb des Einflussbereichs unseres Unternehmens liegen. Wir sehen die dringende Notwendigkeit, das Problem der hohen Energiepreise anzugehen. Sie belasten die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie massiv. Wir müssen zudem Schrott als strategischen Rohstoff für die Kreislaufwirtschaft und eine resiliente Industrieproduktion anerkennen. Der Export von Schrott sollte in Europa von Anfang an unterbleiben. Nur mit gezielter Unterstützung in diesen beiden Bereichen können wir als Stahlunternehmen unser volles Potenzial entfalten und einen wesentlichen Beitrag für eine prosperierende und nachhaltige Zukunft Deutschlands und Europas leisten.

 

marketSTEEL:  Welchen Stellenwert messen Sie grünem Wasserstoff in der europäischen Strategie zur Emissionsminderung bei? Welche konkreten Maßnahmen sollte die EU Ihrer Meinung nach ergreifen, um dessen Einsatz zu fördern?

Die Einweihung des neuen Walzwerkes in Riesa ist Ausdruck unserer langfristigen Vision und unseres kontinuierlichen Engagements in fortschrittliche Technologien zu investieren. Damit stärken wir unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt und verfolgen eine immer nachhaltigere Produktion. Mit unserem neuen Walzwerk erreichen wir bei den direkten Emissionen (Scope 1) bereits heute die Klimaneutralität.

Sicherlich kann grüner Wasserstoff zukünftig Erdgas ersetzen; auch hier kommt es auf den Preis an. Für den Umbau der Stahlindustrie benötigen wir politische Unterstützung. Denn Wasserstoff ist aktuell weder in ausreichender Menge verfügbar noch wirtschaftlich konkurrenzfähig. Er kann nicht die einzige Lösung sein – einseitige technologische Abhängigkeiten wären riskant.

Falls wir Erdgas durch Wasserstoff im Produktionsprozess ersetzen sollen – dann muss dieser bezahlbar sein und aus grünen Quellen stammen. Wir benötigen einfache Capex-Förderprogramme, die wir als mittelständisches Unternehmen in unseren Investitionsentscheidungen umsetzen können. Gerade im Elektrostahl-Verfahren sind die heutigen Kosten beim Einsatz von Wasserstoff extrem hoch, was kurzfristige Umstellungen erschwert. Anders beim integrierten Verfahren – dort kann Wasserstoff mittelfristig zur Dekarbonisierung beitragen. Beim grünen Wasserstoff kann ich mir vorstellen, dass wir über die EU das Angebot europaweit so fördern, dass wir es industrieseitig zu marktgerechten Preisen abnehmen können.

 

marketSTEEL:  Kann ein europaeischer Strompreis helfen und den Standort Deutschland foerdern?

Ja, für Deutschland wäre ein Industriestrompreis angebracht. In Riesa liegt unser aktueller Strombedarf bei rund 540 GWh pro Jahr. Wir haben in Deutschland erhebliche Nachteile gegenüber der ausländischen Konkurrenz, wenn die Wettbewerber z.B. in Frankreich mit 6 Cent pro KWh produzieren und wir in Deutschland 80% mehr für Strom bezahlen. Die neue Regierung in Berlin hat bereits angekündigt, dies zu ändern.

 

marketSTEEL:  Ein Blick auf Ihren Standort in Riesa: Welche Standortvorteile sehen Sie dort im Hinblick auf Ihre Nachhaltigkeitsziele?

Zum einen sehe ich unsere hochqualifizierten Mitarbeiter. Gerade die Jungen wollen auch nachhaltiger Stahl produzieren. Das ist ein Standortvorteil in Deutschland, aber auch in Italien. Zum anderen ist die Herstellung unseres Baustahls „Kreislaufwirtschaft in Perfektion“. Wir stellen ihn zu 100 % aus Schrott her. Der Recyclinganteil in unseren Endprodukten liegt bei 97,8 %. In Deutschland ist FERALPI STAHL als eines von nur zwei Stahlwerken EMAS-zertifiziert – ein Gütesiegel, das weit über die gesetzlichen Vorgaben im Umweltbereich hinausgeht. Innerhalb der Feralpi Group verwenden wir über 94 % unserer in der Herstellung entstehenden Nebenprodukte wieder bzw. verkaufen sie weiter, etwa an Straßenbau-Unternehmen, die unsere Ofenschlacke verwerten.

Herr Pasini, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Fotos: marketSTEEL