„Es gibt nur Platz für Goldmedaillen“

von Alexander Kirschbaum

Dr. Gregory Ludkovsky, Vice President, Head of Global Research and Development, Arcelor Mittal, erzählt im Interview mit marketSTEEL, wie die Stahlindustrie  Innovation und Digitalisierung gestalten kann.

marketSTEEL: Innovation ist ein wesentlicher Faktor zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie. Was ist die Grundlage von Innovationen?

Innovation ist die Aufgabe von jedem Einzelnen im Unternehmen. Der Innovationsgeist muss zur DNA des Unternehmens werden, ansonsten funktioniert es nicht. Die beste Antwort auf diese Frage hat meiner Meinung nach Steve Jobs von Apple gegeben, der sinngemäß sagte: „Apple arbeitet auch als großes Unternehmen immer noch wie ein Startup." So als wären wir weiterhin Gründer, die im Keller oder der Garage arbeiten.“ Das Wichtigste ist, ein Klima der Innovation zu schaffen. Innovative Ideen sind am Anfang sehr fragil und stoßen auf zahlreiche Probleme. Wenn Unternehmen diesen Ideen aber keine Chance geben und ungeduldig sind, dann werden sie scheitern. Viele Unternehmen sind durch die digitalen Umbrüche von der Bildfläche verschwunden, weil sie die Notwendigkeit zur Innovation nicht gesehen haben.

marketSTEEL: Wie treibt ArcelorMittal Innovationen voran?

Als großer Konzern steht ArcelorMittal dabei vor anderen Herausforderungen als kleinere Unternehmen. Wir müssen Innovationen weltweit etablieren, das erfordert mehrere Schritte. Wir testen Ideen zum Beispiel in Pilotprojekten an einem Standort, bevor sie ihre industrielle Reife erreichen und auch an anderen Standorten eingesetzt werden. 

ArcelorMittal bringt seit langer Zeit revolutionäre Innovationen auf den Markt. Durch die Entwicklung der Warmumformstähle Usibor und Ductibor haben wir beispielsweise Strukturbauteile in der Automobilindustrie radikal verändert. Heutzutage sind diese Spezialstähle in einer Vielzahl von Güten vorhanden und in nahezu jedem Auto zu finden. Damit geben wir auch unseren Kunden die Möglichkeit, sich zu entwickeln. Und diesen Weg gehen wir weiter, indem wir in bahnbrechende Ideen investieren. Dabei geht es vor allem um prozessgesteuerte Produktinnovationen.

marketSTEEL: Digitalisierung ist die Basis von intelligenten Wertschöpfungsketten. Wie treibt ArcelorMittal das Thema voran?

ArcelorMittal hatte schon früh die Überzeugung, dass sich die digitale Wirtschaft weiter entwickeln wird. In dem Bereich „künstliche Intelligenz“ sind wir vor über zehn Jahren gestartet. Mit der Erwartung, dass die digitale Kurve weiter ansteigen wird, und das hat sich bestätigt. Heute ist jede Faser des Unternehmens durch die Entwicklung digitaler Elemente geprägt. Ein Beispiel ist Predictive Quality. Wenn man die Qualität des Materials kennt, bevor es hergestellt wurde, kann man die Konstruktion optimieren. Ein Hauptmerkmal der digitalen Fertigung ist die vorausschauende Wartung. Heutzutage wartet ArcelorMittal ein Werk oder eine Anlage, wenn es in den Zeitplan passt, und nicht wenn irgendein Teil versagt. Mit Predictive Maintenance können wir Fehler im Voraus genau erkennen, dadurch werden Stillstandszeiten auch viel kürzer.

marketSTEEL: Greifen Sie bei Digitalisierungsprojekten auch auf die Unterstützung externer Partner zurück?

Wenn wir eine Organisation finden, die eine bessere digitale Lösung hat als wir, dann schauen wir uns das an. Erfahrungsgemäß können wir mit unserer Unternehmensgröße aber in vielen Fällen digitale Lösungen und digitale Produkte selber und kostengünstiger entwickeln, etwa im Bereich Big Data. Natürlich wird es auch Kooperationen geben. Wir können nicht alles abdecken und befinden uns in einem ständigen Lernprozess. Viele Menschen realisieren nicht, wie schnell der Wandel voran geht und sich Dinge entwickeln, obwohl sie selber involviert sind. Und das ist ein großer Fehler. Eine entscheidende Neuerung zu verpassen, kann schon existenzbedrohend werden. Bei ArcelorMittal ist das R&B-Budget deshalb auch in schwierigen Zeiten beständig gewachsen.

Vor zwanzig Jahren hat es beispielsweise fünf oder sechs Jahre gedauert, um ein Auto zu entwerfen. Heute dauert es zwei bis drei Jahre, um neue Fahrzeuge zu entwickeln, und diese sind zudem viel anspruchsvoller als früher. Als Stahlhersteller kann man sein Produkt also nicht mehr mit einem Horizont von sechs Jahren entwickeln, wenn die Kunden alles in zwei Jahren ändern. Im digitalen Zeitalter sollte man nicht auf einem Level verharren, sondern vielmehr seiner Zeit voraus sein, denn es gibt in der heutigen Welt nur Platz für Goldmedaillen. In einer globalen Ökonomie ist es die Differenzierung, die ein Unternehmen an der Spitze hält. Und am Ende wird das durch die Technologie bestimmt.

marketSTEEL: In welchen Technologiebereichen sehen Sie denn Chancen für ArcelorMittal?

Extra breite Stahl-Coils, die Automobile leichter machen, habe ich bereits angesprochen. Bei Beschichtungen hat ArcelorMittal ebenfalls enorme Fortschritte gemacht. Im normalem Betrieb haben wir die Geschwindigkeit der traditionellen Verzinkungslinien fast verdoppelt. CO² ist ein großes Thema: Bei der Anwendung von digitalen Lösungen in der Produktion gibt es großes Einsparpotenzial. Wenn man sich die Energiemenge der Stahlindustrie im Allgemeinen ansieht, dann sind die Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung noch nicht ausgeschöpft. ArcelorMittal zerlegt jeden einzelnen Prozess und analysiert jeden einzelnen Schritt im gesamten Materialfluss, um sicherzustellen, dass nichts übersehen wird. Wir haben beispielsweise revolutionäre analytische Modelle entwickelt, um unsere Hochöfen zu überwachen. Der Konzern hat sehr ehrgeizige Projekte im Hinblick auf CO²-Reduzierung. Wir arbeiten kontinuierlich daran, uns weiter zu verbessern, indem wir unsere Prozesse effizienter gestalten und Produkte entwickeln, die helfen, Emmissionen zu reduzieren.

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