Der schwierige Umgang mit hohen Energiekosten

von unsem Gastkommentator

 

Der durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Preis-Schock am Stahlmarkt war nur von kurzer Dauer. Die Spotmarktpreise sind auf breiter Front wieder gefallen, wenn auch nicht in allen Fällen wieder auf das Niveau vom Februar. Eine Herausforderung für die Wertschöpfungskette Stahl ist weiterhin der Umgang mit hohen und volatilen Energiekosten. Mit der drohenden Gasversorgungskrise entfaltet das Thema neue Wucht. Der Weg zu fairen Lösungen scheint schwierig. Erfahrungen aus der Beratungspraxis zeigen, dass der Umgang mit den Energiekosten zu Spannungen und Ärger führt.


Energiekosten Thema vieler Preisverhandlungen  
Schon seit dem zweiten Halbjahr 2021 ist der Energiemarkt bei stark steigender Tendenz von heftigen Preisausschlägen geprägt. Die Börsenpreise für Erdgas haben sich seit Anfang 2021 nach dem aktuellen Stand ungefähr verzehnfacht, die für Strom mehr als versechsfacht. Ob am Spotmarkt oder bei Vertragspreisen, bei Flach– oder bei Langprodukten: die am Stahlmarkt lange Zeit eher nur am Rande behandelten Energiekosten stehen im Mittelpunkt vieler Verhandlungen. Energiekostenzuschläge oder neue, energiekostenbezogene Vertragsklauseln sollen eingeführt, Grundpreise erhöht werden.

Doch was bedeuten höhere Energiepreise für die Stahlherstellungskosten? Sind Preisaufschläge im dreistelligen Eurobereich gerechtfertigt? Sind formelhafte Energiekostenzuschläge eine faire Lösung? Diese Fragen stellen sich im Moment viele Verbraucher, die ihrerseits unter starkem Kostendruck stehen.

Erfahrungen aus der Beratungspraxis zeigen, dass der Umgang mit Energiekosten in der Wertschöpfungskette Stahl zu Spannungen und Ärger führt. Preisforderungen, die pauschal mit „höheren Energiekosten“ oder mit einzelnen Energiepreisen am Spotmarkt begründet werden, sind dafür ein Beispiel. Genauso bitter stößt es auf, wenn bei bestimmten Erzeugnissen, die auf beiden Stahlherstellrouten produziert werden, unabhängig von den tatsächlichen Umständen ähnlich hohe Mehrpreisforderungen erhoben werden.

Der Teufel steckt im Detail
Für eine nähere Betrachtung ist es zunächst erforderlich, zwischen den beiden wichtigsten Stahlerzeugungsrouten zu unterschieden. Für Elektrostahlwerke, in denen in Deutschland Lang- und Rostfreiprodukte hergestellt werden, sind die Stromkosten nach den Schrottkosten der zweitwichtigste Kostenblock. Der Strom wird exogen bezogen. Je mehr Wärmebehandlungs- und Walzprozesse auf die Rohstahlerzeugung folgen, desto mehr fallen zusätzlich die Kosten für Erdgas ins Gewicht. Auch die spezifischen Stromverbräuche fallen bei einem einfachen baunahen Langprodukt anders aus als bei Spezial-Langprodukten für die Automobilindustrie.

Bei integrierten Hüttenwerken, in denen überwiegende Flachprodukte hergestellt werden, sieht die Sache anders aus: Im Hochofen fallen Kuppelgase an, die zu ca. 40% verstromt werden und zu 60% zu Heizzwecken genutzt werden. Der erzeugte Strom wird im weiteren Stahlherstellungsprozess eingesetzt und zusätzlich in nicht geringem Umfang extern zum Beispiel an örtliche Stadtwerke verkauft. Der externe Energiebezug beschränkt sich auf Erdgas für bestimmte Einsatzzwecke und ist ein eher untergeordneter Kostenfaktor. Je nach erzeugtem Produkt und nach der Konfiguration der Anlagen können die spezifischen Energieverbräuche erheblich voneinander abweichen.

Insofern ist es zunächst erst einmal nachvollziehbar, dass bei Langprodukten in der Regel die Stromkosten und bei Flachprodukten die Gaskosten im Mittelpunkt stehen. Eine Schwierigkeit liegt darin, dass nicht nur die spezifischen Verbräuche an (extern zu Marktpreisen) bezogener Energie wenig transparent sind. Auch die relevanten „Marktpreise“ für die bezogene Energie sind schwer zu ermitteln.

Während oft Spitzenpreise des Spotmarktes zur Argumentation herangezogen werden, kann dieser Wert von Tag zu Tag und auch schon im Verlauf eines Tages erheblich schwanken. An der Leipziger Strombörse konnte Strom am 5. Juli 2022 für ca. 320,- €/MWh oder am 7. Juli 2022 für unter 220,- €/MWh bezogen werden. Zudem gibt es an den Energiebörsen einen ausgeprägten Futures-Mark,an dem gerade große Verbraucher ihre Preise oft langfristig absichern. Preise können für Kalenderjahre im Voraus festgelegt werden. Die Energiekosten hängen damit in erheblichem Maße von der Beschaffungsstrategie ab. Wurde Erdgas für das 4. Quartal 2022 am 22.06.2022 für 138,- €/MWh oder am 07.07.2022 für 178,- €/MWh beschafft? Oder im September 2021 für das Kalenderjahr 2022 zu einem Preis von 40,- €/MWh?

Schon diese kurzen Ausführungen zeigen, dass die Argumentation mit punktuell herangezogenen Preisen wenig sachdienlich ist. Zwar ist klar, dass höhere Energiepreise irgendwann bei jedem Verbraucher ankommen. Gerade bei energieintensiven Unternehmen müssen aber die Kunden erwarten können, dass nicht dauerhaft zum jeweils ungünstigsten Preis eingekauft wird. Daher sind auch formelhafte Energiekostenzuschläge, deren Preise aus Energiebörsen gespeist werden, eher mit Skepsis zu betrachten, da sie den Anbieter weitgehend von der eigenen Verantwortung entbinden und die Tür zu erheblichen Mitnahmeeffekten öffnen. Vielmehr sollte versucht werden, auf Basis individueller Daten jeweils die spezifischen Verbräuche und Bezugskonditionen heranzuziehen. Zwar handelt es sich dabei durchaus um sensible Daten, aber als Rechtfertigung für erhebliche Preisforderungen sind pauschale Aussagen nicht ausreichend.    

Wer trägt welche Kosten?
Selbst wenn es gelingt, die tatsächlichen energiepreisbedingten Mehrkosten einigermaßen objektiv und individuell plausibel darzustellen, stellen sich noch weitere Fragen, wie zum Beispiel:

  • Welcher Teil des Kostenanstiegs ist bereits in früheren Preisvereinbarungen berücksichtigt worden? Denn schon am Jahresanfang 2022 wurden Preiserhöhungen vielfach mit höheren Energiekosten begründet und die Energiepreise lagen im ersten Halbjahr 2022 nicht durchgängig über den Werten im zweiten Halbjahr 2021.
  • Werden bei integrierten Hüttenwerken die positiven Effekte aus höheren Strompreisen bei externem Verkauf gegengerechnet?
  • Wie haben sich die übrigen Herstellkosten entwickelt? Die Preise für Eisenerz, Kokskohle und Schrott liegen aktuell deutlich niedriger als am Jahresanfang 2022.
  • Welche Gewinnmarge wird als gerechtfertigt angesehen? Die Stahlpreise haben sich in der historischen Hochpreisphase des Vorjahres sehr weit von den klassischen Rohstoffkosten entfernt, was bei vielen Stahlherstellern zu unüblich hohen Gewinnen geführt hat. Eine Korrektur hin zu „normalen“ Margen hat vielfach noch nicht stattgefunden.

Stahleinkäufer sollten sich mit diesen Fragen beschäftigen und von ihren Lieferanten überzeugende Antworten einfordern. Letztlich ist es zwar immer eine Frage der jeweiligen Marktkonstellation, welche Mehrkosten mit welchem Aufwand an die nächste Stufe weitergereicht werden können. Stahleinkäufer werden nun aber bessere Karten haben, da sich die Situation am Stahlmarkt normalisiert. Hohe Energiekosten werden zudem noch lange Zeit ein Thema bleiben. Faire Lösungen sind die Voraussetzung für eine nachhaltige Akzeptanz und sollten jetzt vorangetrieben werden.

 

 

Der Beitrag stammt vom Leverkusener Stahlmarkt-Berater Andreas Schneider, StahlmarktConsult.

Foto: StahlmarktConsult und Fotolia

Der Gastkommentar spiegelt die Meinung des Autors wider, nicht notwendigerweise die der Redaktion von marketSTEEL.

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