Der Druck auf die europäischen Stahlpreise wird anhalten

Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Stahlindustrie haben sich weltweit verbessert. Der Welthandel, dessen Expansionstempo sich in den vergangenen Jahren zunehmend abgekühlt hatte, wächst seit einiger Zeit wieder rascher. Zudem wird das weltwirtschaftliche Wachstum wieder stärker von den Ausrüstungsinvestitionen getragen. Diese, wie auch die Exporte, sind stahlintensiv. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Rohstahlerzeugung weltweit im ersten Halbjahr 2017 um schätzungsweise 4,5 % zugelegt hat und auch in Deutschland wieder mehr Stahl produziert wurde. Da die Konjunkturindikatoren auf ein Anhalten des wirtschaftlichen Aufschwungs hindeuten, dürfte auch die Nachfrage nach Stahl noch einige Zeit zunehmen.

Allerdings ist dies eine konjunkturelle Erholung, die an dem grundlegenden Problem des Stahlsektors, den weltweiten Überkapazitäten, wenig ändern wird. Diese haben im Wesentlichen zwei Konsequenzen: Die Stahlpreise dürften unter Druck bleiben und die Bereitschaft von Regierungen zunehmen, den nationalen Stahlsektor durch Abschottung der Märkte zu schützen.

So drohen die Vereinigten Staaten handelspolitische Maßnahmen gegen europäische Produzenten an. Die EU hat für diesen Fall bereits mit Abwehrmaßnahmen gedroht. Ihrerseits beschränkt die EU bereits die Einfuhren von „Billigstahl“ aus China und einigen anderen Ländern. Hier droht eine handelspolitische Eskalation, bei der es keine Gewinner geben dürfte, aber viele Verlierer. So müssen die Stahlverwender mehr für Stahl bezahlen, und bisweilen können sie Stahl womöglich sogar nicht in den gewünschten Mengen oder Qualitäten beschaffen.

Eine grundlegende Besserung der Lage am Stahlmarkt wäre nur dann zu erwarten, wenn es gelänge, die Erzeugungskapazitäten zurückzuführen. Dem politischen Willen dazu haben die Regierungen der G20-Länder in der Schlusserklärung des Gipfels in Hamburg Ausdruck gegeben. Schwieriger scheint es zu sein, dieses Ziel zu erreichen. Denn die Interessenlage der verschiedenen Akteure ist widersprüchlich. Beispielhaft ist hier der Verkauf des Ilva-Stahlwerks an ArcelorMittal, das hoch-defizitär und technisch nicht auf dem neuesten Stand war. Für den italienischen Staat hat aber der Erhalt von 10.000 Arbeitsplätzen in einer strukturschwachen Region hohe Priorität, für den Erwerber der bisher fehlende direkte Zugang zum italienischen Markt. Mittelfristig soll die Produktion bei Ilva sogar um 50 % steigen, ungeachtet der Überkapazitäten.

Ist die Politik aber nicht bereit, unangenehme Entscheidungen – also die die Schließung eines größeren Standorts – mitzutragen, wird der Druck auf die europäischen Stahlpreise anhalten, mit oder ohne Importe aus China.

 

Link zur weiterführenden Literatur: http://www.rwi-essen.de/media/content/pages/publikationen/rwi-konjunkturberichte/rwi-kb_2-2017.pdf

 

Der Beitrag stammt von Prof. Dr. Roland Döhrn, RWI – Leibniz Institute for Economic Reseach, Head of Department Macroeconomics and Public Finance, RWI, Essen

Foto: RWI, Essen

Der Gastkommentar spiegelt die Meinung des Autors wider, nicht notwendigerweise die der Redaktion von marketSTEEL.

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