Wo sich Theorie und Experiment die Hand reichen

von Hubert Hunscheidt

Ziel ist die enge Verbindung von Theorie und Experiment. Kürzlich gelang die Entwicklung einer neuen Methode für extrem glatte Flächen. Es winken Anwendungen, etwa bei Brennstoffzellen oder Batterien.

Metalle begegnen uns im Alltag meist als extrem widerstandsfähige Materialien. Doch viele Metalle sind an der Luft nicht stabil – sie reagieren mit Sauerstoff und bilden Oxide. Deren Eigenschaften sind extrem vielfältig. Einige sind chemisch sehr reaktionsträge, andere die ideale Grundlage für bestimmte chemische Reaktionen, manche perfekte Isolatoren, andere Supraleiter. Die Anwendungen reichen von Magnetfeldsensoren und elektronischen Bauelementen bis hin zu Brennstoffzellen. Dennoch sind die genauen Vorgänge an den Grenzflächen von Oxiden trotz jahrzehntelanger, intensiver Forschungen und drängender technischer Fragestellungen vielfach immer noch rätselhaft. Die Materialphysikerin Ulrike Diebold von der Technischen Universität Wien, international eine der führenden Forschungspersönlichkeiten auf diesem Gebiet, hat nun einen vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Spezialforschungsbereich zu diesem Thema ins Leben gerufen.

Beschreibung Atom für Atom

Dass bei Oxiden noch so viele Fragen offen seien, liege nicht an der Qualität der experimentellen Methoden, erklärt Diebolds Stellvertreter Georg Kresse: „Es gibt durchaus Experimente, in denen man sehr gute Kontrolle hat und genau weiß, was Atom für Atom vorgeht.“ Er spricht von der Rastertunnelmikroskopie, bei der eine Materialoberfläche mit einer feinen Nadel gescannt wird, wobei einzelne Atome sichtbar werden. Diese Experimente seien wichtig, doch die Vorgänge, die sich dabei beobachten ließen, entsprächen oft nicht dem, was in einem Material unter realistischen Bedingungen passiere. Gerade bei möglichen Anwendungen der Materialien in Batterien oder Brennstoffzellen sind die Vorgänge extrem komplex. „Unsere Frage ist: Wie können wir das überbrücken und die Lücke zwischen der genauen Beschreibung atomarer Vorgänge und den Vorgängen in der Praxis schließen?“, umreißt Kresse das Ziel. In der Gruppe hat sich der Begriff Handshake-Techniken durchgesetzt. Um sich der realen Situation anzunähern, braucht es den Handschlag zwischen wohldefinierten Grundlagenexperimenten, Experimenten in anwendungsnahen Situationen und Computersimulationen.

Erzeugung glatter Oxidschichten

Ein erster wichtiger Erfolg konnte soeben in einer experimentellen Arbeit erzielt werden. „Es ging dabei um die Erzeugung extrem glatter Schichten“, erklärt Teamkollege Michael Schmid. „Für manche industrielle Anwendungen sind ebene Oberflächen wichtig, etwa in der Halbleiterindustrie oder für die Erzeugung von Spiegeln für Hochtechnologieanwendungen. Die Frage war: Wie schaffe ich es, Schichten auf atomarer Ebene wirklich glatt zu machen?“

Normalerweise sind die Atome an Oxidoberflächen sehr stabil. „Sitzen sie erst einmal an ihrem Bindungsplatz, lassen sie sich nur durch starkes Aufheizen wegbewegen, was das Bauelement zerstören würde“, sagt Schmid. Doch bei Experimenten, in denen die Oberflächen verschieden hohen Sauerstoffkonzentrationen ausgesetzt wurden, konnten die Forschenden plötzlich eine Veränderung beobachten. „Irgendwann fiel unserer Kollegin Giada Franceschi etwas auf, dem wir nachgingen“, erzählt Schmid. Das Forschungsteam fand Strukturveränderungen, die davon abhingen, wie viel Sauerstoff vorhanden war. „Gehen diese Oxide in eine sauerstoffreiche oder sauerstoffarme Phase über, dann müssen sich die Atome umordnen. Und wenn sie sich bewegen, dann tun sie das oft so, dass sie dabei eine glattere Schicht bilden“, beschreibt der Physiker den Zugang. Die Methode bestehe also darin, die angebotene Menge an Sauerstoff zu variieren.

Allgemein anwendbar

Eine Besonderheit des Effekts ist, dass er mit völlig unterschiedlichen Oxiden funktioniert. Die Forschungsgruppe führte das Experiment mit einem Eisenoxid durch, außerdem mit einem Oxid der Metalle Lanthan, Strontium und Mangan und einem des Metalls Indium, die sehr unterschiedliche Eigenschaften haben – jedes Mal mit Erfolg. Es scheint sich also um einen sehr allgemeinen Effekt zu handeln, der noch dazu umkehrbar ist. Während man Rost, das vielleicht bekannteste Metalloxid, als stetig fortschreitendes Phänomen kennt, ist die Struktur von Eisenoxid auf mikroskopischer Ebene sehr komplex und ändert sich stetig, wenn mehr oder weniger Sauerstoff angeboten wird. Im konkreten Experiment wurde der Vorgang mehrmals wiederholt, wie Michael Schmid erklärt: „Da müssen alle Atome in Bewegung kommen. Wenn sie dann ohnehin schon in Bewegung sind, bilden sie die energetisch günstigste Oberfläche, und die günstigste ist die glatte.“

Die beiden Forscher betonen, dass das nicht nur für die Erzeugung glatter Flächen interessant ist, sondern auch für deren Vermeidung. Katalysatoren etwa sind am effizientesten, wenn sie eine möglichst große Oberfläche haben. „Man wünscht sich verästelte Strukturen mit Löchern und will verhindern, dass das passiert, was wir beobachtet haben“, sagt Michael Schmid. Das ist dank der neuen Erkenntnisse nun besser möglich.

Maschinenlernen als Gamechanger

Erklärtes Ziel des auf mehrere Jahre angelegten Spezialforschungsbereiches von internationalem Rang ist es, experimentelle Arbeit wie diese durch Computersimulationen zu ergänzen, um die Vorgänge noch genauer zu verstehen. Doch exakte Simulationen sind enorm aufwendig, weshalb man bei den Computermethoden ganz gezielt auf maschinelles Lernen setzt. Letzteres bedeutet für die Arbeit im Spezialforschungsbereich einen Durchbruch. „Wir sehen eine Beschleunigung mancher Rechnungen um das Tausendfache bis hin zum Hunderttausendfachen, bei gleichbleibender Qualität der Vorhersage“, so Kresse. Maschinelles Lernen ist gerade international ein riesiger Hype, aber: „Dass es als Brücke zwischen Experiment und Theorie eingesetzt wird, ist neu“, betont der Forscher.

Viele Anwendungen

Die möglichen Anwendungen der Ergebnisse seien vielfältig, sagt Schmid. Metalloxide haben als Katalysatoren, etwa für Brennstoffzellen, aber auch für piezoelektrische Bauelemente eine große Bedeutung. Auch die Kombination beider Methoden sei vielversprechend. Neben Oxiden von Eisen und exotischen Metallen wie Lanthan untersucht man auch Oxide aus Titan, Mangan, Kobalt, Strontium. Trotz der Relevanz für Hochtechnologieanwendungen wird aber der Grundlagencharakter der Arbeiten dieses Forschungsschwerpunktes betont. „Der Spezialforschungsbereich zielt darauf ab, Methodologien zu entwickeln und diese international zu etablieren“, sagt Kresse, der die Arbeiten nicht als industrienahe Forschung missverstanden wissen will. In der Grundlagenarbeit gibt es für die Teams von Kresse und Schmid mehr als genug zu tun.

Bildtext: Blick in die Ultrahochvakuum-Kammer mit dem Probenhalter für die Metalloxide links und dem Tieftemperatur-Rasterkraftmikroskop dahinter.

Quelle: FWF - Der Wissenschaftsfonds / Foto: Stefan Uttenthaler/TU Wien

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