Technologie für sicheren Rückbau von Atomkraftwerken

von Hubert Hunscheidt

Die Uhr tickt: Mit der Laufzeitverlängerung bis 15. April hat aus aktueller Sicht der Atomausstieg in Deutschland einen finalen Termin. Unabhängig davon, ob die Laufzeit nochmals angepasst wird oder ob in anderen Ländern weiter auf Atomkraft gesetzt wird – es kommt der Tag, an dem die Technologie aufwändig und sicher zurückgebaut werden muss. Hierbei spielt in Deutschland MicroStep-Technologie eine zentrale Rolle.

Mit seinen vielfältigen Lösungen an CNC-gesteuerten Highend-Schneidanlagen mit Plasma-, Laser-, Wasserstrahl- und Autogenschneidtechnologie ist MicroStep in mehr als 50 Ländern in vielen hunderten Produktionen weltweit vertreten. Da Schneidanlage, Steuerung und Software aus einem Haus kommen ist MicroStep auch gefragter Ansprechpartner für Sonderlösungen rund um den Zuschnitt und darüber hinaus. Beispielsweise bei der Steuerung von Wasserkraftwerksturbinen oder bei unterschiedlichen Roboterapplikationen – aber auch beim Rückbau von Atomkraftwerken kommen MicroStep-Technologien zum Einsatz.

Die Geschichte begann mit einem Projekt in der Slowakei Mitte der 2000er Jahre: Gesucht wurden Lösungen zur Entsorgung des Blocks A1 des Kernkraftwerks Jaslovsk é Bohunice,  60 km nordöstlich der  slowakischen Hauptstadt Bratislava. Damals wurde in enger Zusammenarbeit mit technologischen Partnern ein Portfolio von Geräten zur Messung der Strahlung von in Behältern gelagerten nuklearen Abfällen (mit Gammasonden) und zur Messung der Radioaktivität der Abluft in den Schornsteinen der Anlage entwickelt. Seit 2007 hat MicroStep dutzende unterschiedliche Systeme an nukleare Entsorgungseinrichtungen, Nuklearinstitute und Kraftwerke geliefert – die meisten davon nach Mittel- und Osteuropa.

EWN kümmert sich um Rückbau, Entsorgung, Lagerung und weitere organisatorische Aufgaben

Mit der Lieferung von speziellen Strahlungsmesskammern an die EWN GmbH ist MicroStep-Technologie seit 2020 auch in Deutschland im Einsatz für den Rückbau von Atomkraftwerken. Die Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH, früher bekannt als Energiewerke Nord, ist ein staatliches Unternehmen, das sich auf den Rückbau und die Entsorgung stillgelegter Kernkraftwerke spezialisiert hat. Seit 1995 ist die EWN unter anderem für die ehemaligen Kernkraftwerke Greifswald/Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern und Rheinsberg in Brandenburg zuständig. Diese Tätigkeit ist aufwändig. Denn die Lebensdauer einer Kernkraftanlage endet nicht mit deren Abschaltung. Je nach Stilllegungsmethode kann die Lebensdauer in Ausnahmefällen sogar länger sein als der aktive Betrieb. Ob sofortiger Rückbau oder Ausnahmefall – der Prozess nimmt jeweils viele Jahre in Anspruch.

Vom Kernreaktor zum einzelnen Betonelement – alles muss auf Strahlung überprüft werden

Schließlich gilt es, die gesamte Einrichtung abzubauen. Das Kernkraftwerk ist weit mehr als der Kernreaktor selbst. Es gibt viele Komponenten wie Pumpen, Rohre und Betonbauten, die auf konventionellem Wege als Metallschrott oder als zerkleinerter Beton im Straßenbau sicher recycelt werden können. Durchschnittlich sind so rund drei Viertel der gesammelten Materialien wiederverwendbar. Die restlichen Materialien sind in unterschiedlichem Maße radioaktiv und müssen nach Möglichkeit dekontaminiert werden oder wie im Falle von abgebrannten Brennelementen als radioaktive Abfälle sicher verwahrt und gelagert werden. Ob Wiederverwertung oder Lagerung – das hängt von einem sorgfältigen Prüfverfahren ab. Durch eine umfassende Strahlungsmessung wird sichergestellt, dass die für das Recycling vorgesehenen Materialien nicht (mehr) gefährdend sind, dass der Dekontaminationsprozess ordnungsgemäß durchgeführt wurde und dass die Lagerbehälter für radioaktive Abfälle undurchlässig sind. Für den Schutz von Menschen, Tieren und Umwelt kommen für diese Aufgaben spezielle maschinelle Systeme zum Einsatz.

  

Enge Entwicklungspartnerschaft zwischen MicroStep und weiteren Technologieunternehmen

Zur Überwachung und Sicherstellung der Güter betreibt das EWN in Greifswald zwei Strahlungsmesskammern. Im Jahr 2020 waren die vorhandenen Geräte am Ende ihrer Lebensdauer angelangt und mussten ersetzt werden. Die eingesetzten Kammern waren Auslaufmodelle, entsprechend wurde der Markt nach modernen und dauerhaften Lösungen sondiert. Der Generallieferant von EWN für Strahlungsmessgeräte, die international tätige Firma Mirion Technologies (Canberra) GmbH, holte sich geeignete Partner ins Boot – MicroStep und TechMart s.r.o., einen spezialisierten Anbieter von Strahlungsmesstechnik. Gemeinsam wurde in Rekordzeit eine Messkammer der neuen Generation, die RTM643NG, entwickelt. Zwei Komplettanlagen wurden schließlich hergestellt. Diese sind seitdem verlässlich im Einsatz.

Automatisierte Lösung für größtmögliche Sicherheit

Jede der beiden Kammern ist mit einem Kettenförderband ausgestattet, das Behälter mit Material (Betonschutt, Erde, Metallteile oder gebrauchte Schutzausrüstungen) in die Messkammer selbst hin und wieder zurückbefördert. Auf dem Weg zur Kammer wird der Behälter automatisch gewogen und muss ein Tor aus Lichtstrahlen und Sensoren passieren. Dabei wird sichergestellt, dass die zulässige Größe nicht überschritten wird und es durch herausragende Teile nicht zu einer Kollision mit der Messkammer kommen kann. Jede Messkammer ist mit speziellen, von TechMart gelieferten Bleiplatten abgeschirmt, die in einen Stahlrahmen eingelassen sind. In den Wänden und Türen auf der Innenseite befinden sich großflächige, hochempfindliche Szintillationszähler zur Strahlungsmessung, 16 in jeder Kammer, die in einer speziellen Messgeometrie angeordnet sind.

Bedient wird die Anlage außerhalb der Messkammer auf einer freistehenden Konsole, die mit einem Touchscreen mit moderner Benutzeroberfläche ausgestattet ist. Im Standard-Automatikbetrieb muss lediglich der Behälter aufgelegt und der „Start-Befehl“ erteilt werden. Bei Bedarf kann der Bediener die Position des Waagentischs, des Behälters und der Fronttür aber auch manuell steuern. Die Messung selbst dauert in der Regel zwischen 10 und 30 Sekunden und liefert eins von zwei Ergebnissen: Die Strahlenbelastung liegt entweder unter dem von der deutschen Regierung festgelegten strengen Grenzwert und das Material kann für das allgemeine Recycling freigegeben werden, oder der Grenzwert wurde überschritten und das Material muss als radioaktiver Abfall behandelt werden.

Die erste Kammer wurde Ende 2020 geliefert, die zweite ein Jahr später. Beide sind seither durchgehend in Betrieb. „MicroStep ist stolz darauf, einen Beitrag zum sicheren Rückbau der deutschen nuklearen Einrichtungen zu leisten. Mit der Erfahrung aus früheren Projekten konnten wir mit unseren Partnern eine individuelle und hochautomatisierte Lösung entwickeln, die dem Personal größtmögliche Sicherheit bietet und natürlich die Gewissheit, dass die recycelbaren Stoffe auch wirklich unbedenklich sind und nur die wirklich notwendigen Materialien als radioaktiver Abfallentsorgt  werden müssen“, sagt Dr.-Ing. Alexander Varga, Mitgründer und Entwicklungschef von MicroStep.

Bildtext 1: Strahlungsmesskammer für das Kernkraftwerk in Greifswald: Gemeinsam mit technologischen Partnern entwickelte und produzierte MicroStep zwei Strahlungsmesskammern, Typ RTM643NG, die von der Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) betrieben werden.

Bildtext 2: Automation beim Beladen, Messen und Entladen: Das zu untersuchende Material wird in einer Gitterbox (Abfallgebinde) per Kettenförderer in eine der Messkammern gebracht (Vordergrund).

Bildtext 3: Messkammer für Reststoffe oder Anlagenteile: Hochempfindliche Szintillationszähler in den Türen und Wänden der Kammer entsprechen der trikten gesetzlichen Regelung der Freigabe von Reststoffen und abgebauten kerntechnischen Anlagenteilen in Deutschland.

Quelle und Fotos: MicroStep Europa GmbH

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