Stahlindustrie in schwerem Fahrwasser

von Hans Diederichs

Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident und Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, zog am Freitag auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf ein Fazit des Stahljahrs 2015 und wagte einen Ausblick auf das kommende Jahr.

Kerkhoff rechnet damit, dass infolge der krisenhaften Entwicklung auf dem globalen Stahlmarkt die deutsche Rohstahlproduktion 2016 um voraussichtlich 3 Prozent sinken wird. Die Kapazitätsauslastung bliebe dennoch mit 84 Prozent auf einem insbesondere im internationalen Vergleich hohen Niveau. Trotzdem warnte Kerkhoff: Im kommenden Jahr werde es zu einer "schicksalhaften Frage für die Stahlindustrie in Deutschland und der gesamten EU" werden, ob es gelinge, faire Wettbewerbsbedingungen auf dem EU-Stahlmarkt durchzusetzen.

Rohstahlproduktion nur vordergründig stabil

Die deutsche Rohstahlproduktion, so Kerkhoff, sei im bisherigen Jahresverlauf trotz heftigem Gegenwind aus den internationalen Märkten stabil geblieben. Die Kapazitätsauslastung erreichte mit 86 Prozent ein insbesondere im internationalen Vergleich sehr hohes Niveau. Beides dürfe jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass sich dahinter eine wirtschaftlich zunehmend herausfordernde Situation verbirgt.

So sind die Auftragseingänge für Walzstahl im dritten Quartal um 11 Prozent gesunken, im Oktober/November hat sich das Minus auf 12 Prozent erhöht. Die Auftragsbestände sind zu Beginn des letzten Jahresviertels auf das niedrigste Niveau seit 2009 gefallen. Auch hat sich das vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung ermittelte Geschäftsklima für die Stahlindustrie stark eingetrübt: Die Unternehmen sind zum Jahresende 2015 deutlich skeptischer, als es in den Vorjahren der Fall gewesen ist.

Kritischer Ausblick für 2016

Trotz insgesamt guter Konjunktur in den Abnehmerbranchen erwartet die WV Stahl, dass die Rohstahlproduktion im kommenden Jahr um 3 Prozent auf 41,5 Millionen Tonnen zurückgeht. Das stellt im historischen Vergleich ein außergewöhnlich niedriges Niveau dar. Tatsächlich fiel die Erzeugung in den letzten 20 Jahren nur in den Jahren 1996 und 2009 niedriger aus.

"In beiden Jahren, insbesondere im Jahr der Finanzkrise, war der Rückgang der Produktion vor allem eine Folge rezessiver Entwicklungen bei den deutschen Stahlverarbeitern und damit auch Ausdruck eines schwachen realen Stahlbedarfs", sagte Kerkhoff. Im kommenden Jahr drohten dagegen verstärkt Marktanteilsverluste in Folge eines oft ruinösen und teilweise unfairen internationalen Wettbewerbs. „Die Stahlindustrie befindet sich weltweit in einer Krise, der sich auch die Stahlindustrie in Deutschland nicht entziehen kann“, urteilte Kerkhoff.

Stahlindustrie weltweit in der Krise

Vor allem chinesische Exporte werden derzeit zum großen Teil zu Dumpingpreisen auf den Märkten angeboten. Allein im Oktober haben sich laut Kerkhoff diese Importe in die EU um 120 Prozent erhöht auf - hochgerechnet auf das Gesamtjahr – 12 Millionen Tonnen. Deshalb müsse man das bestehende Handelsschutz-Instrumentarium der EU konsequent anwenden, so der Verbandspräsident.

Dazu sollten vor allem die Verfahrenszeiten verkürzt werden. Schließlich müsse man bereits bei einer drohenden Schädigung aktiv werden können, statt zu warten, bis ein materieller Schaden bereits entstanden ist. „Es darf keine voreilige Anerkennung Chinas als Markwirtschaft erfolgen“, warnte der Verbandspräsident.

Deutsche Stahlindustrie kann mit guter Wettbewerbsfähigkeit punkten

„Die Stahlindustrie ist hierzulande in punkto Wettbewerbsfähigkeit und Einbindung in starke industrielle Wertschöpfungsketten gut aufgestellt“, so Kerkhoff. Um im aktuellen globalen Umfeld die Herausforderungen meistern zu können, brauche es dazu jedoch mehr denn je gleiche Wettbewerbsbedingungen, d.h. die Unterbindung von unfairem Handel auf dem europäischen Stahlmarkt, und in der Klimapolitik eine Ausgestaltung des Emissionsrechtehandels ohne Belastungen für die Wettbewerbsfähigkeit.

Da in dem Klimaabkommen in Paris für die Vertragsstaaten keine verbindlichen und vergleichbaren Klimaziele festgelegt wurden, sind nach Meinung von Kerkhoff in der Klimapolitik global weiterhin keine fairen Wettbewerbsbedingungen gegeben. „Deshalb fordern wir, dass die Europäische Kommission ihren Vorschlag zum Emissionshandel grundlegend überarbeitet, um schwerwiegende Wettbewerbsnachteile für die Stahlindustrie zu verhindern", so der Verbandspräsident.

Quelle: WV Stahl; Vorschau-Foto: fotolia; Abbildung: © WV Stahl

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