Rettung des Klimas - global oder gar nicht

von Hubert Hunscheidt

Prof. Wolfgang Reitzle, der an verantwortlicher Stelle bei BMW, Ford und Linde gearbeitet hatte und heute als Vorsitzender des Board of Directors der Linde plc und als Aufsichtsratsvorsitzender der Continental AG dient, ist parteilos.

Gestern hielt er eine Rede auf dem FDP-Parteitag und es waren fünf unbequeme Wahrheiten, die er den Deutschen zurief:

  1. Wir haben unsere Spitzenposition in der Welt verloren. Reitzle wörtlich:"Man fragt sich: Wo sind wir eigentlich überhaupt noch führend? – Ganz sicher bei Steuern, Umverteilung und beim Strompreis. Und genau dafür haben einige Parteien konkrete Pläne, diese Führungsposition weiter auszubauen.“ Der Nationalstaat ist schon als Denkraum zu eng, um dem Klimawandel effektiv begegnen zu können. Denn, so Reitzle: "Das Klima retten wir entweder global oder gar nicht."
  2. Auf dem Planeten werden bis 2050 rund 2,5 Milliarden mehr Menschen leben. China hat alleine in 2019 fast genauso viel Kohle-Kapazität neu aufgebaut, wie wir bis 2038 vom Netz nehmen wollen. In Afrika besitzen heute 600 Millionen Menschen keine Steckdose, aber sie werden berechtigterweise schon sehr bald eine haben. Und ein Großteil des Stroms aus diesen Steckdosen wird aus neuen Kohlekraftwerken stammen, die wiederum China nach Afrika liefert.
  3. Es braucht den Markt und den Wettbewerb, um wirkliche Klimaneutralität auf diesem Planeten erreichen zu können. Reitzle riet zur Technologieoffenheit: "Nehmen Sie das Thema Wasserstoff. Es begleitet mich beruflich schon seit Jahrzehnten. Und die Chancen dieser Technologie sind enorm. Trotzdem setzen wir heute fast ausschließlich auf Batterietechnologie. "Wie kommt das? Nun, es kommt durch die politischen Rahmenbedingungen. Dadurch, dass man eben nicht gesagt hat: „Mal sehen, welche Technologie sich durchsetzt“. Sondern: „Wir wissen im Vorhinein, was am besten ist.“ Nämlich: die Batterie! "Die Folge ist: In der Autoindustrie bleibt kein Stein auf dem anderen. Hunderttausende alte Arbeitsplätze sind gefährdet. Für viele tausend neue Jobs fehlen die qualifizierten Leute. “Kriegen wir das trotzdem hin? Ja. Irgendwie schaffen wir das, würde Angela Merkel sagen. Aber zu einem hohen Preis. Nun könnte man argumentieren: Ja, dann ist das eben der Preis, den wir zahlen müssen. Schließlich retten wir hier das Klima."
  4. "Ganz gleich, wie weit wir hier gehen mit der Deindustrialisierung; das Klima retten wir mit all dem eben leider nicht. Der Zweck, der alle Mittel heiligen soll, wird durch diese Mittel gar nicht erreicht!“ Seine Begründung: Ein vollelektrischer Pkw zum Beispiel, der seinen Strom aus einer deutschen Steckdose lädt, fährt nicht CO2-frei. Im Gegenteil: Unser Strommix ist nicht nur besonders teuer. Er ist auch besonders schmutzig (CO2-lastig). Und wenn demnächst das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht, wird er für lange Zeit noch schmutziger.“
  5. "Die finanziellen Kosten einer dirigistischen Klimapolitik werden Europa überfordern. Reitzle sagte: "Dass es teuer wird, bestreiten ja selbst Befürworter dieses Weges nicht. Aber anders als Sie und ich machen sie sich darüber keine Sorgen. Denn sie glauben an die „Modern Monetary Theory“, sprich: an die Notenpresse – an das Schöpfen von Geld aus dem Nichts", deren Folgen er so beschreibt: "Es führt in die Schulden- und Transferunion. Es führt zur Inflation. Und irgendwann führt es zur Destabilisierung des Euro.“ Seine Schlussfolgerung. "Unsere Situation gleicht der eines Schiffes, das zu sinken droht. Dabei läuft das Wasser vorne und hinten gleichzeitig rein. Allerdings ist das Loch vorne – bei uns – viel kleiner als das Loch hinten in China, Asien und Afrika. Welchen Sinn ergibt es da, dass wir fast all unsere Zeit, fast all unsere Kraft und all unsere Ressourcen darauf verwenden, das kleine Loch hier in Deutschland zu schließen? “Warum konzentrieren wir uns nicht auch und besonders auf das große Loch? “

Fazit: Einer wie Reitzle kann nur informieren, mahnen, fragen: Die Antwort auf seine Frage nach dem großen oder dem kleinen Loch ist die Frage nach der richtigen Priorität. Diese Frage muss am Sonntag der Wähler beantworten.

Quelle: Media Pioneer Publishing AG / Foto: Linde AG

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