Projekt der Universität Bayreuth optimiert industrielle Fertigungsverfahren

von Hubert Hunscheidt

Mit einem neuen interdisziplinären Forschungsprojekt nimmt die Universität Bayreuth am DFG-Schwerpunktprogramm „Datengetriebene Prozessmodellierung in der Umformtechnik“ teil. Es geht bei dem Vorhaben um zwei Verfahren, die bei der industriellen Herstellung vieler funktionaler Bauteile ineinandergreifen: Scherschneiden und Kragenziehen. Neueste Technologien der Datenanalyse und eine darauf basierende Modellierung der Prozessketten sollen eine fehlerfreie Fertigung sicherstellen. Die Projektleitung liegt bei der Bayreuther Wirtschaftsinformatikerin Prof. Dr. Agnes Koschmider und Prof. Dr.-Ing. Verena Kräusel vom Fraunhofer Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz.

Der Begriff „Umformtechnik“ bezeichnet eine Gruppe industrieller Verfahren, bei denen Materialien plastisch so verändert werden, dass die auf diesem Weg gefertigten Bauteile ihre definierten Funktionen erfüllen können. Zu diesen Verfahren zählt auch das in der Blechverarbeitung etablierte Kragenziehen: Dabei wirken Zugkräfte kontinuierlich auf ein flächiges Material ein, aus der ein rundes Loch herausgeschnitten wurde, und bringen eine Struktur hervor, die dem runden Kragen eines Rollkragenpullovers ähnelt. Das Loch wurde zuvor durch ein anderes Umformverfahren, das Scherschneiden, erzeugt. Für den fertigen „Kragen“ gibt es zahlreiche unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten: Er kann beispielsweise der stabilen Fixierung eines Bauteils oder der robusten Verbindung mit anderen Bauteilen dienen.

In der Materialforschung und zahlreichen industriellen Anwendungen wurde die Prozesskette, in der das Scherschneiden und das Kragenziehen hintereinander geschaltet sind, in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich optimiert. Mittlerweile liegt ein großes Erfahrungswissen vor, das zur Qualitätssicherung beiträgt und die Produktion von Ausschuss vermeiden hilft. Vor allem aber hat die Digitalisierung, die eine präzise Simulation von Fertigungsabläufen am Rechner ermöglicht, die Prozesskette effizienter und zuverlässiger gemacht. Eine bisher ungelöste Herausforderung stellen jedoch noch immer die Kantenrisse dar: Dies sind senkrechte Einschnitte im Kragen, die dann entstehen, wenn die in verschiedene Richtungen wirkenden Zugkräfte so stark sind, dass sie das Material abrupt auseinanderreißen. Ob und wann es dazu kommt, lässt sich prinzipiell nicht vorhersagen, weshalb die Materialwissenschaft hier von einem stochastischen Auftreten der Kantenrisse spricht.

Das neue Projekt verfolgt nun einen innovativen Ansatz, um die Verknüpfung von Scherschneid- und Kragenzieh-Prozessen so zu optimieren, dass Kantenrisse vermieden werden. Im interdisziplinären Zusammenwirken von Umformtechnik und Datenwissenschaften an den Standorten Bayreuth und Chemnitz sollen die Entstehung von Kantenrissen und ihre Ursachen präzise analysiert werden. Auf dieser Basis wird es möglich sein, die an den Fertigungsprozessen beteiligten Werkzeuge so einzusetzen, dass Kantenrisse in Zukunft nicht mehr oder nur noch selten vorkommen. Grundlage dieser Forschungs- und Entwicklungsarbeiten wird eine genaue digitale Abbildung der Prozesskette aus Scherschneiden und Kragenziehen sein. Alle hierfür relevanten Informationen, zum Beispiel in Bezug auf Materialien, Werkzeuge und Fertigungstechnologien, sollen durch geeignete Datenmodelle in die digitale Abbildung integriert werden.

„Ein wichtiger Aspekt unserer geplanten Forschungsarbeiten ist die Qualität der Daten, die wir der digitalen Modellierung zugrunde legen. In den Datenwissenschaften verfügen wir heute über technologisch anspruchsvolle Verfahren, wie beispielsweise Process Analytics und Deep Learning, mit denen sich die Datenqualität gewährleisten und steigern lässt. Zur Weiterentwicklung und Optimierung von industriellen Umformprozessen sind diese Technologien bisher kaum genutzt worden. Sie bieten jedoch die Chance, diese Prozesse deutlich effektiver und robuster zu gestalten, Fertigungskosten zu senken und – infolge einer erheblich geringeren Produktion von Ausschuss – Material einzusparen. Diese Chance wollen wir in unserem Projekt am Beispiel der Scherschneid- und Kragenzieh-Prozesse realisieren. Das Schwerpunktprogramm 2422 der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die unsere Forschungsarbeiten in Bayreuth und Chemnitz mit insgesamt rund 788.000 Euro fördert, bietet hierfür optimale Rahmenbedingungen,“ sagt Prof. Dr. Agnes Koschmider, die an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Process Analytics innehat.

Quelle: Universität Bayreuth / Foto: Fotolia

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