Jedes zweite große Unternehmen ohne eigenständigen Personalvorstand

von Hubert Hunscheidt

Bei knapp 31 Prozent dieser Großunternehmen ist die Zuständigkeit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der obersten Führungsebene überhaupt nicht explizit personell verankert.

In diesen Vorständen verantwortet also niemand direkt und ausschließlich strategische Schlüsselthemen wie Führung und Zusammenarbeit, Qualifizierung oder Fachkräftesicherung. In weiteren 22 Prozent der untersuchten Unternehmen wird das Personalressort vom Vorstandsvorsitzenden oder anderen Vorständen „mitbearbeitet“, woraus sich Prioritätenkonflikte ergeben können. Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue Studie des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung.* Die Untersuchung zeigt auch, dass eigenständige Personalvorstände bei deutschen Tochterunternehmen ausländischer Muttergesellschaften besonders selten sind. Dagegen verfügen Unternehmen, die eine starke Mitbestimmung nach dem Montanmitbestimmungsgesetz haben, immer über einen eigenständigen Personalvorstand, die oder der als „ArbeitsdirektorIn“ nach dem Modell der Montanmitbestimmung zudem besondere Kompetenzen besitzt. Schließlich ist der Anteil von Frauen unter den Personalverantwortlichen auf der obersten Führungsebene deutlich höher, wenn es eine eigenständige Vorstandsposition für Personal gibt.

In der Forschung zu „Human Ressources“ (HR) und in Reden vieler Top-Manager ist die Sache klar: Qualifizierte und motivierte Beschäftigte sind entscheidend für den Unternehmenserfolg, ohne eine planvolle Entwicklung der HR geht es nicht. Schon gar nicht in einer zunehmend wissensbasierten Ökonomie, in der durch den demografischen Wandel Fachkräfte knapper werden und Digitalisierung und Dekarbonisierung Geschäftsmodelle und Produktionsprozesse fundamental verändern.

Umso erstaunlicher sind die Zahlen, die I.M.U.-Personalexperte Jan-Paul Giertz für 2019 ermittelt hat, indem er Geschäftsberichte, Organigramme und Wirtschaftsdatenbanken auswertete: Von 677 untersuchten Unternehmen verfügten lediglich 320 oder gut 47 Prozent über ein Vorstandsmitglied, das eigenständig und ausschließlich für die Belegschaft zuständig ist. Dagegen waren 208 Unternehmen nach eigener Darstellung ganz ohne Personalvorstand (siehe auch die Abbildung). Zwar sei davon auszugehen, dass HR-Themen dort formal über eine „Gesamtverantwortung“ etwa des Vorstandschefs abgedeckt seien. „Dennoch ist die `Nicht-Benennung´ ein klares Indiz für ein sehr operatives Verständnis der Personalarbeit“, schreibt der Experte. Denn: Das Thema HR „spielt dann auf jener Ebene, die unternehmensstrategische Entscheidungen trifft, eine untergeordnete und nachgelagerte Rolle“, betont Giertz. Besonders oft fehle der Personalvorstand bei den untersuchten 197 deutschen Tochterunternehmen ausländischer Konzerne: Gleich 43 Prozent von ihnen haben nach der I.M.U.-Auswertung überhaupt niemanden, der das Thema explizit auf Vorstandsebene übernimmt.

Personalentwicklung kann unter die Räder kommen, wenn es keinen eigenen Vorstand gibt

Oft wohl nicht viel besser sieht es nach Analyse des Forschers bei jenen insgesamt 149 Unternehmen in der Untersuchungsgruppe aus, bei denen nach eigener Darstellung der Vorstandsvorsitzende (CEO, in 63 Unternehmen), der Finanzvorstand (CFO, 52) oder ein anderes Vorstandmitglied (34) das Personalressort „mit übernimmt“. In solchen Konstellationen drohten Rollenkonflikte, bei denen HR-Aspekte unter die Räder kommen könnten, warnt Giertz. So könnte etwa ein Finanzvorstand, der zugleich den Bereich Personal verantwortet, mögliche Zielkonflikte zwischen Kostenoptimierung und Sozialverträglichkeit einer Maßnahme unter Umständen „mit sich selbst ausmachen“ und aus der Vorstandsdebatte weitestgehend heraushalten, schreibt der Personalexperte. Zudem seien HR-Themen viel zu wichtig und zu komplex, um „nebenher“ erledigt zu werden. Die notwendige fachliche Professionalisierung komme zu kurz, kritisiert Giertz, die Annahme „Personal kann jeder“ stehe für ein überkommenes „paternalistisches“ Verständnis von Mitarbeiterführung. Ein weiteres Problem ist die besonders niedrige Geschlechterdiversität, wenn CEOs oder CFOs die HR gleich mitübernehmen: In Unternehmen mit derlei „Mischressorts“ liegt der Frauenanteil unter den Personalverantwortlichen bei lediglich gut 5 Prozent – bei Unternehmen mit eigenständigem Personalvorstand sind es 32 Prozent.

Angesichts von insgesamt knapp 53 Prozent der Unternehmen ohne eigenständigen Personalvorstand kommt I.M.U.-Forscher Giertz zu dem Schluss, „Human Ressources“ würden von Vorstandsgremien der „meisten Unternehmen nicht mit der notwendigen Verantwortlichkeit gemanagt“. Und dabei handele es sich um mitbestimmte Großunternehmen. Trotz des Doppelstimmrechts der Kapitalseite gelinge es hier häufig, noch die Eigenständigkeit des Personalressorts zu erhalten. In den rund 300 Firmen mit mehr als 2000 Beschäftigten, die sich in Deutschland der Mitbestimmung entziehen, indem sie juristische Schlupflöcher nutzen oder Mitbestimmungsgesetze rechtswidrig ignorieren, dürfte der Anteil mit eigenständigem Personalvorstand eher noch niedriger sein, vermutet der Forscher: „Denn ihr Verhalten legt ja nahe, dass sie Beschäftigtenbelange als nicht besonders wichtig erachten und Personal mithin nicht als strategischen Faktor ansehen“, sagt Giertz.

Unternehmen mit Montan-ArbeitsdirektorIn schneiden systematisch besser ab

Grundsätzlich besser fällt die Bilanz nach der I.M.U.-Auswertung dagegen in der kleinen Untergruppe aus, für die das Montanmitbestimmungsgesetz von 1951 gilt. Dieses bestimmt unmissverständlich, dass dem Vorstand eine eigenständige „Arbeitsdirektorin“ oder ein „Arbeitsdirektor“ angehören muss. Diese Position kann zudem nicht gegen die Stimmen der Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Aufsichtsrat besetzt werden. Dementsprechend besitzen alle 23 montanmitbestimmten Unternehmen einen eigenständigen Personalvorstand.

HR-Experte Giertz sieht das Modell, das vor 70 Jahren, am 10. April 1951, im Bundestag verabschiedet wurde, deshalb als gut geeignet für eine Zukunft, in der Fachkräfteentwicklung immer wichtiger und Unternehmen zugleich immer häufiger nach ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gefragt würden: Als gleichberechtigtes Vorstandmitglied und als „Vertrauensmanager“ fungierten Arbeitsdirektorinnen und Arbeitsdirektoren „als Brückenbauer zwischen ökonomischen und sozialen Zielsetzungen“ schreibt der Forscher.

Hintergrundinformationen zur ökonomischen Wirkung von Mitbestimmung

Mitbestimmte Unternehmen bieten nicht nur bessere Arbeitsbedingungen, sie sind auch im Durchschnitt wirtschaftlich erfolgreicher und widerstandsfähiger in Zeiten von Krise und Transformation. Sie verfolgen häufiger ein innovationsorientiertes Geschäftsmodell und betreiben seltener legale Bilanzkosmetik oder aggressive Steuervermeidung. Das zeigen wissenschaftliche Studien in dem Forschungsüberblick – Was Mitbestimmung bewirkt.

Trotzdem sind in Deutschland mindestens 2,1 Millionen Beschäftigte durch legale juristische Kniffe oder rechtswidrige Ignorierung von der paritätischen Mitbestimmung ausgeschlossen.

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung / Foto: fotolia

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