Industrie 4.0 menschengerecht gestalten

Hannover / Frankfurt - Die WGP Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik analysiert in ihrem neuen Standpunktpapier „Industriearbeitsplatz 2025“ gesellschaftliche Folgen von Digitalisierung und Vernetzung der deutschen Industrie. „Jede industrielle Revolution, und als solche wird ja Industrie 4.0 bezeichnet, geht mit immensen gesellschaftlichen Umwälzungen einher. Wir wollen als Zusammenschluss deutscher Professoren der Produktionstechnik unser Knowhow einbringen, um diese Umwälzungen möglichst menschengerecht zu gestalten“, sagt Prof. Berend Denkena, Präsident der WGP und Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen IFW der Universität Hannover. Die Autoren haben hierfür ein neues Modell entwickelt, das den Automatisierungsgrad in der Industrie analysiert und zeigt, in welche Richtung Handlungsbedarf besteht.

Neuer Bestimmungsschlüssel für Gestaltung smarter Arbeitsplätze

Die WGP-Professoren haben sich dabei am Stufenmodell für autonomes Fahren orientiert. Diese Stufen werden auf drei unterschiedliche Dimensionen angewendet: die Material- und Informationsflüsse (Vernetzung), den Anlagenzustand (Betriebszustand) und den jeweiligen Produktionsprozess. „Unternehmen können dieses Modell nutzen, um den Automatisierungsgrad ihrer unterschiedlichen Produktionsprozesse zu bestimmen und daraus abzuleiten, wo Handlungsbedarfe bestehen“, berichtet Prof. Peter Groche, Initiator des WGP-Standpunktpapiers und Leiter des Instituts für Produktionstechnik und Umformmaschinen (PtU) der TU Darmstadt.

Dabei gehe es nicht nur darum zu eruieren, ob weiter automatisiert oder auf weitere Automatisierung verzichtet werden sollte, sondern auch um die Gestaltung des künftigen Arbeitsplatzes. Weiterbildungsbedarfe der Mitarbeiter würden so frühzeitig erkennbar. Gerade die zukünftige Verbindung des Menschen mit maschinell lernenden Systemen in der Fabrik müssten genauer betrachtet werden.

Menschen bleiben auch in smarten Fabriken wichtig

Bis zur Vollautomatisierung der deutschen Industrie sei es noch ein weiter Weg. Dennoch müsse man davon ausgehen, dass künftig die Optimierung von Produktionsanlagen und -prozessen nicht mehr nur von Menschen, sondern zunehmend von den Maschinen selbst übernommen werde.

Die WGP ist jedoch davon überzeugt, dass Menschen auch in vollautomatisierten Fabriken längerfristig nicht überflüssig werden. Auch selbstlernende Produktionssysteme müssten von Facharbeiterinnen und Facharbeitern zum Lernen angeleitet werden. Und autonome Teilsysteme einer Produktionsanlage müssten überwacht und instand gehalten werden. Ganz neue Geschäftsmodelle entstünden durch datenbasierte Dienstleistungen und maschinelles Lernen. Mitarbeiter bräuchten hierfür neue Qualifikationsprofile.

Eine zentrale Rolle spielen Mitarbeiter aber auch unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs. So sei der Wettbewerbsvorsprung deutscher Fabriken unter anderem in der hohen Qualifikation ihrer Mitarbeiter begründet. Mitarbeiter müssten selbst bei zunehmender Automatisierung in der Lage sein, den Prozess nachzuvollziehen und – wenn nötig – entsprechend einzugreifen.

Soll dieser Wettbewerbsvorsprung gehalten werden, müsse das Bildungssystem zeitnah angepasst werden, mahnen die WGP-Professoren. Schon jetzt würden Fachkräfte mit Kenntnissen beispielsweise in IT und Mechatronik händeringend gesucht. Das derzeitige Aus- und Weiterbildungssystem seiviel zu starr. Vorgeschlagen wird, Unternehmen und Forschungseinrichtungen sollten sich weiter verzahnen und beispielsweise Trainer austauschen. So ließe sich ein Wissenstransfer in beide Richtungen stark beschleunigen.

Einen ersten Schritt in diese Richtung hat die WGP mit ihrer 2015 gegründeten Produktionsakademie getan. Hier bietet sie rund 20 Seminare und Workshops rund um moderne Produktion an. Um Engpässe in der Lehre zu vermeiden, wollen die Produktionstechniker künftig aber auch die Online-Lehre weiter vorantreiben.

Die Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik e.V. ist ein Zusammenschluss  führender deutscher Professorinnen und Professoren der Produktionstechnik. Die 64 Mitglieder aus 37 Universitäts- und Fraunhofer-Instituten stehen für rund 2.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Produktionstechnik.

Quelle: WGP – Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik e.V., WGP-Produktionsakademie

Quelle Vorschaubild: IPK Fraunhofer (Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik)

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