DIW: Deutschlands Gasversorgung gesichert, keine weiteren LNG-Terminals nötig

von Angelika Albrecht

Ein Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine haben sich die Erdgasmärkte in Deutschland und Europa stabilisiert. Obwohl Russland seine Erdgaslieferungen eingestellt hat, ist keine Versorgungsnotlage eingetreten, weil rasch andere Bezugsquellen aktiviert werden konnten und die Nachfrage relativ stark zurückgegangen ist. Auch für den Winter 2023/24 ist nicht mit Engpässen zu rechnen, allerdings bleiben Einsparbemühungen von Industrie und Haushalten wichtig. Angesichts der rückläufigen Bedeutung von Erdgas auf dem deutschen Weg zu Klimaneutralität ist der geplante Bau von Flüssiggasterminals (LNG-Terminals) an Land aber weder energiewirtschaftlich notwendig noch klimapolitisch sinnvoll.

Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hatte sich die bereits angespannte Lage auf den europäischen und globalen Erdgasmärkten zugespitzt. Neben stark gestiegenen Preisen drohte auch die Gefahr einer Versorgungslücke für den Fall von Lieferunterbrechungen von russischen Erdgasexporten. Ein Jahr später hat sich die Situation auf der Angebots- und auch auf der Nachfrageseite entspannt. Die Erdgas-Großhandelspreise sind auf das Niveau vor Ausbruch des Kriegs gefallen.

Das DIW Berlin veröffentlichte kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine eine Bewertung der Versorgungssituation mit Erdgas. Die Analyse zeigte im April 2022, dass für Deutschland und Europa mit Energiesparanstrengungen und aufgrund der verfügbaren alternativen Importinfrastruktur die Abkopplung von russischen Exporten machbar ist. Mittlerweile hat sich Deutschland weitgehend aller fossilen Energieimporte aus Russland entledigt: Nach den EU-Sanktionen wurden bereits im April 2022 Kohle-Importe aus Russland beendet, dann folgten Rohöl und Mineralölprodukt-Importe per Schiff und seit 2023 auch durch Pipelines. Für Erdgas hat die EU keine Sanktionen beschlossen. Jedoch hat Russland im Laufe des Sommers 2022 seine Erdgasexporte nach Europa immer weiter reduziert. Sowohl über den Ukraine-Transit als auch über die Ostsee-Pipeline Nord Stream strömte immer weniger Erdgas nach Europa, bis im September 2022 die Nord Stream-Pipeline(s) nach Explosionen unbenutzbar wurden. Im Februar 2023 liefert Russland nur noch kleine Mengen Erdgas nach Mittel- und Osteuropa sowie auf den Balkan, überwiegend über die Turkstream-Pipeline, aber auch noch durch den Ukraine-Transit. Diese Lieferungen sind für die Erdgasversorgung in Deutschland nicht relevant.

Gas-Ausbau statt Umbau: Bundesregierung treibt seit Februar 2022 Einsatz von Flüssigerdgas voran

Die Bundesregierung hat seit Februar 2022 verschiedene Maßnahmen zur Sicherung der Erdgasversorgung in Deutschland ergriffen. Das Ende April 2022 in Kraft getretene Gasspeichergesetz legte die Grundlage einer ausreichenden Speicherbefüllung für den Winter. Darüber hinaus ergriff die Bundesregierung verschiedene Maßnahmen, um den Gasverbrauch zu reduzieren. Zur Verminderung von Erdgas in der Stromerzeugung wurden Kohlekraftwerke aus der Netzreserve für die Stromproduktion aktiviert. Zudem verschob die Bundesregierung den für 2022 geplanten Atomausstieg auf April 2023. Seit Herbst 2022 sind außerdem verschiedene Energiesparmaßnahmen wie die Absenkung der Raumtemperatur in Bürogebäuden verpflichtend.

Parallel verhandelte die Bundesregierung die Ausweitung von Erdgaslieferungen aus anderen Ländern, unter anderem als Flüssigerdgas (Liquified Natural Gas, LNG). Dafür wurde mit dem „LNG-Beschleunigungsgesetz“ die Grundlage für den zügigen Aufbau von LNG-Anlandekapazitäten geschaffen.info Die deutsche Erdgaswirtschaft hat mit Unterstützung der Bundesregierung die Anmietung von schwimmenden LNG-Terminals (Floating Storage and Regasification Units, FSRU) vorangetrieben. Im Februar 2023 sind sechs FSRU-Terminals in Betrieb beziehungsweise in Vorbereitung (in Wilhelmshaven, Lubmin, Brunsbüttel, Stade und Rügen). Die vorgesehene Gesamtkapazität der schwimmenden LNG-Terminals beträgt mit 40 Milliarden etwa die Hälfte des deutschen Erdgasverbrauchs.info Weitere rund 40 Milliarden Kubikmeter jährliche Anlandekapazität werden parallel an festen Terminalanlagen an Land (sogenannte Onshore-Terminals) geplant. Diese Planungen bestanden zwar schon seit einigen Jahren, aber die Investitionen hatten sich bisher nicht gelohnt. Die Fertigstellung der Onshore-Terminals wird für frühestens 2026 angegeben und dauert damit deutlich länger als die Anmietung von schwimmenden Terminals.

Abgesehen von der Sicherung der Erdgasversorgung wollte die Bundesregierung mit Entlastungspaketen die möglichen finanziellen Belastungen gestiegener Energiepreise auf Unternehmen und Bürger*innen abfedern. Auf europäischer Ebene wurde nach langen Verhandlungen ein Mechanismus zur Deckelung der Großhandelspreise verhandelt, der am 15. Februar 2023 in Kraft trat. In Deutschland wurde eine von der Gaspreiskommission vorgeschlagene Gaspreisbremse für einen Teil des Verbrauchs eingeführt. Die große Herausforderung war, die Kosten zu reduzieren, ohne die Anreize zum Energiesparen zu vermindern. Die Gaspreisbremse sollte nur für einen Teil des Verbrauchs gelten und weiterhin Anreize zum Gassparen setzen. Allerdings ist unklar, ob der komplexe Mechanismus bei den Verbraucher*innen auch angekommen ist. Haushalte und Gewerbe müssen weiterhin hohe Preise zahlen. Dabei unterscheiden sich die Preise stark zwischen Bestands- und Neuverträgen, nach Versorgungsunternehmen und auch nach der Region. Die Erdgaspreise auf den Großhandelsmärkten in Europa sind hingegen seit dem Sommer 2022 gesunken. Das Niveau im Februar 2023 mit knapp über 50 Euro für eine Megawattstunde (MWh) liegt einerseits weit unter dem europäischen Gaspreisdeckel von 180 Euro/MWh, ist allerdings noch zwei bis drei Mal so hoch wie im langjährigen Mittel vor Ausbruch des Krieges (s. Vorschaubild).

Fazit: Energieversorgung auch ohne Erdgas aus Russland und Onshore-LNG-Terminals gesichert

Ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine haben sich die Szenarien bestätigt, dass die Energieversorgung in Deutschland auch ohne Erdgas aus Russland gesichert ist. Dazu haben sowohl die Diversifizierung der Erdgasbezüge, inklusive der Flüssigerdgasimporte, beigetragen, als auch die relativ starke Reduktion der witterungsbereinigten Erdgasnachfrage von minus 14 Prozent. Die Erdgaspreise sind seit September 2022 stark zurückgegangen, auch wenn sie auf absehbare Zeit höher liegen als zu Zeiten angeblich kostengünstiger Erdgasimporte aus Russland. Aktuelle Szenarien im Februar 2023 legen nahe, dass auch im kommenden Winter nicht mit Versorgungsmangellagen zu rechnen ist.

Den ausführlichen Artikel des DIW finden Sie HIER


Über das Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)

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Quelle und Grafiken: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)

Vorschaubild: DIW: Großhandelspreis für Erdgas in Deutschland seit Anfang 2021 (in Euro pro Megawattstunde)

Beitragsbild: DIW: Monatlicher Erdgasverbrauch in Deutschland (in Milliarden Kubikmeter)

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