Im Fokus: Der Mittelstand - Was bedeutet das neue Lieferkettengesetz für mittelständische Unternehmen?

von Dagmar Dieterle

Klar ist: Große Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern haben seit dem 01. Januar die umfangreichen Sorgfaltspflichten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) umzusetzen.

Betroffen sind aber auch kleine und mittelständische Unternehmen - der Mittelstand. Worauf dieser sich in Hinblick auf das LkSG einstellen muss, wird im Interview mit Daja Apetz-Dreier, Reed Smith, deutlich.

marketSTEEL: Welche Ziele verfolgt das Lieferkettengesetz?

Mit dem LkSG ist ein Netz an Sorgfaltspflichten geschaffen worden, durch das menschenrechtliche sowie umweltrechtliche Risiken in Lieferketten so weit wie möglich eingeschränkt werden sollen. Das betrifft zum Beispiel sämtliche Formen der Sklaverei und sklavereiähnliche Praktiken genauso wie mangelnden Sicherheits- und Arbeitsschutz und auch geringe Lohnzahlungen. Genauso soll ein nachhaltigeres Wirtschaften erreicht werden. Um einen größeren Umweltschutz zu erreichen, sieht das LkSG Regelungen zum Umgang mit bestimmten Schadstoffen vor, stellt Anforderungen an die Lagerung und Entsorgung von Abfällen und enthält Vorschriften hinsichtlich der Verwendung bestimmter Stoffe in Herstellungsprozessen. Dabei verfolgt das LkSG bewusst einen globalen Ansatz, indem es Regelungen eben nicht nur für den eigenen Geschäftsbereich trifft, sondern auch die weltweiten Lieferketten der adressierten Unternehmen in den Blick nimmt.

marketSTEEL: Gilt das Lieferkettengesetz auch für den Mittelstand?

Auf mittelständische Unternehmen findet das LkSG momentan unmittelbar keine Anwendung. Und auch wenn der Anwendungsbereich des LkSG ab dem 01. Januar 2024 von 3000 auf die Schwelle von 1000 Mitarbeitern gesenkt wird, sind mittelständische Unternehmen von einer unmittelbaren Betroffenheit durch das LkSG noch weit entfernt. Allerdings hat das Gesetz durch seine Regelungsstruktur eine mittelbare Wirkung auch auf Mittelständler, durch die im Einzelfall weitreichende Anforderungen auch an diese Unternehmen gestellt werden.

marketSTEEL: In welchen Fällen kommt diese mittelbare Betroffenheit der Unternehmen zustande?

Große Unternehmen müssen durch die Sorgfaltspflichten nach dem LkSG nicht nur ihren eigenen Geschäftsbereich durch Maßnahmen wie ein Risikomanagement und eine Risikoanalyse im Griff haben, sondern haben sich auch einen Überblick zu verschaffen, was entlang ihrer Lieferketten, folglich im Geschäftsbereich ihrer mittelbaren und unmittelbaren Zulieferer, passiert. Um diese Anforderungen umsetzen und damit Haftungsrisiken minimieren zu können, lassen sich unmittelbar vom LkSG betroffene Unternehmen durch vertragliche Regelungen von ihren Zulieferern einräumen, dass gewisse menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen eingehalten und entlang der Lieferkette angemessen weitergegeben werden. Dies wird als sog. Trickle-Down-Effekt beschrieben. Hierdurch kommt die Betroffenheit mittelbarer und unmittelbarer Zulieferer, damit auch kleiner und mittelständischer Zuliefererunternehmen zustande. Auch wir bei Reed Smith haben zu entsprechenden Vertragsklauseln betroffener Unternehmen bereits beraten. Hierdurch werden, wie durch das LkSG vorgesehen, die Schutzmechanismen der globalen Lieferketten entlang weitergegeben.

marketSTEEL: Mit welchen vertraglichen Pflichten und Verantwortlichkeiten müssen mittelständische Unternehmen dann konkret rechnen?

Dies hängt von der jeweiligen Ausgestaltung der Vertragsklauseln ab. Je nach Art der Vertragsklauseln können weitreichende Auswirkungen für mittelständische Unternehmen entstehen.

Denn im Rahmen des sog. Risikomanagements haben vom LkSG direkt adressierte Unternehmen eine Risikoanalyse durchzuführen, um die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken im eigenen Geschäftsbereich und auch bei unmittelbaren Zulieferern zu ermitteln. Mittelständler die unmittelbare Zulieferer sind, werden daher kontaktiert werden, um der Verankerung von Auditrechten oder sonstigen Klauseln zur Einführung von Kontrollmechanismen zuzustimmen. Diese können von Offenlegungspflichten gegenüber dem Vertragspartner bis hin zu der Ermöglichung von Kontrollen vor Ort in der Produktionsstätte des unmittelbaren Zulieferers reichen, um die Einhaltung menschenrechtsbezogener und umweltbezogener Belange zu überprüfen.

Auch sind bestimmte Präventionsmaßnahmen zu dulden, die unter anderem die Durchführung von Schulungen und Weiterbildungen umfassen.

Wird eine bereits eingetretene Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht festgestellt, werden Abhilfemaßnahmen erforderlich, die der Zulieferer zu ergreifen hat. Solche Maßnahmen sind beispielsweise Anpassungen im Rahmen der Zuliefererauswahl und der Zuliefererkontrolle, eine Änderung des Verhaltenskodex sowie weitere im Einzelfall erforderliche Schritte, die bis zum Aussetzen oder dem Abbruch von Geschäftsbeziehungen als letztem Mittel reichen können.

Ist eine Pflichtverletzung durch Abhilfemaßnahmen nicht unmittelbar zu unterbinden, muss ein Konzept mit Zeitplan zur Beendigung der Pflichtverletzung erstellt werden.

Ist der Mittelständler mittelbarer Zulieferer eines großen Unternehmens, hat er die Risikoanalyse und Präventionsmaßnahmen nur anlassbezogen zu dulden, wenn eine sogenannte „substantiierte Kenntnis“ von Anhaltspunkten einer Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht besteht.

Um auch in diesem Fall aktiv werden zu können, müssen entsprechende vertragliche Kontroll- und Überwachungsrechte auch im Verhältnis zum mittelbaren Zulieferer bestehen. Deshalb vereinbaren große Unternehmen im Verhältnis zu ihren unmittelbaren Zulieferern sog. Weitergabeklauseln, mit denen Audit- und sonstige Kontrollrechte durch die jeweiligen unmittelbaren Zulieferer auch an mittelbare Zulieferer weitergegeben werden müssen.

Mittelständische Unternehmen müssen sich daher sowohl als mittelbare als auch als unmittelbare Zulieferer darauf einstellen, in der vertraglichen Beziehung mit großen Unternehmen einer Vielzahl neuer oder geänderter Vertragsklauseln gegenüberzustehen, mit denen Auditrechte, Sanktionen, wie etwa Vertragsstrafen oder sonstige Klauseln zur Einführung von Kontrollmechanismen, verankert werden. Auch die Implementierung von Kündigungsklauseln ist vor dem Hintergrund, dass das LkSG in Fällen der schwerwiegenden Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht den Abbruch der vertraglichen Beziehung fordert, wahrscheinlich.

Wie die Maßnahmen aber im Einzelnen ausgestaltet sind und welche konkreten Duldungs- und Mitwirkungspflichten den unmittelbaren Zulieferer dadurch treffen, hängt von der jeweiligen vertraglichen Ausgestaltung zwischen vom LkSG erfassten Unternehmen und dem betroffenen Mittelständler als Zulieferer ab.

marketSTEEL: Welche Sanktionen drohen bei Verstößen gegen das Lieferkettengesetz?

Hier ist zu unterscheiden zwischen den unmittelbar in den Anwendungsbereich fallenden großen Unternehmen und dem mittelständischen Unternehmen, das nur durch eine Weitergabe der Regelungen in Vertragsklauseln von den Regelungen des LkSG erfasst wird.

Unmittelbar vom LkSG erfasste große Unternehmen sehen sich bei einem Verstoß empfindlichen Bußgeldern ausgesetzt, die je nach Art des Verstoßes mit bis zu 2% des weltweiten Jahresumsatzes beziffert werden können. Außerdem können Unternehmen unter bestimmten Umständen von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden.

Daneben haben Unternehmen nach dem LkSG unmittelbar zwar keine zivilrechtliche Haftung zu befürchten, da eine solche bisher nicht geregelt ist. Allerdings sieht das LkSG bei einer Verletzung überragend wichtiger Rechtspositionen wie etwa Leib oder Leben, eine Prozessstandschaft vor, sodass unter Anwendung des Deliktsrechts bei einer Verletzung von Verkehrspflichten durch das Unternehmen auch Verbände wie Gewerkschaften und Nichtsregierungsorganisationen (NGOs) klagen können.

Mittelständische Unternehmen sind in erster Linie den vertraglich geregelten Sanktionen durch Ihre Vertragspartner ausgesetzt. Welche Sanktionen hier drohen, hängt daher zunächst wieder von der konkreten Vertragsgestaltung ab. Diese werden aber, wie angesprochen, Zahlungspflichten aufgrund von Vertragsstrafen bis hin zu einer Kündigung der Vertragsbeziehungen als letztes Mittel umfassen.

Unabhängig von den Regelungen des LkSG hat jedes Unternehmen, so auch Mittelständler, durch die Regelungsstruktur des deutschen Deliktsrechts für eigene schädliche Handlungen Schadensersatz zu leisten. Kläger können hier zum Beispiel Vertragspartner, eigene Mitarbeiter oder auch Dritte sein, die durch eine Handlung des Unternehmens unmittelbar geschädigt werden.

marketSTEEL: Können Unternehmen sich darauf verlassen, dass die Regelungen erstmal so bleiben wie sie sind oder sind neue Regulierungen in Sicht?

Durch eine nationale Initiative wird sich am LkSG in absehbarer Zeit nichts ändern. Allerdings kommt mit der geplanten EU-Lieferkettenrichtlinie zur Corporate Sustainability Due Diligence („CSDD“) Bewegung in die bestehenden nationalen Vorschriften zu Sorgfaltspflichten in Lieferketten. Mit der Umsetzung der Richtlinie werden die Regelungen des LkSG voraussichtlich durch eine erweiterte Haftung verschärft. Denn dann sind Ansprüche direkt von Betroffenen gegen die sorgfaltspflichtigen Unternehmen auf Schadensersatz wegen Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden in der Wertschöpfungskette möglich.

Auch soll der Anwendungsbereich erweitert werden. Umfasst sind Unternehmen dann bereits ab einer Größe von 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von über 150 Mio. EUR, die dann unmittelbar verpflichtet werden, die Sorgfaltspflichten einzuhalten. Auf den Mittelstand würde sich das unmittelbar auswirken, dass auch für Unternehmen, die mindestens 250 Mitarbeiter und einen weltweiten Nettoumsatz von über 40 Mio. EUR haben und dabei in einer oder mehrerer Branchen mit hohem Schadenspotenzial tätig sind, die Regelungen unmittelbar gelten sollen. Solche Branchen umfassen die Herstellung sowie den Großhandel von Textilien, Leder und verwandten Erzeugnissen genauso wie landwirtschaftlichen Rohstoffen, lebenden Tieren, Holz, Lebensmitteln ebenso mineralische Ressourcen, Metallerze, Baustoffe, Brennstoffe, Chemikalien und andere Zwischenprodukte. Nach Vorschlag des EU-Parlaments soll diese Hürde sogar ganz grundsätzlich für Unternehmen, die mindestens 250 Mitarbeiter und einen weltweiten Nettoumsatz von über 40 Mio. EUR gelten, also auch wenn diese nicht in einer Branche mit hohem Schadenspotential tätig sind. Es bleibt  insoweit abzuwarten, wie schlussendlich die Schwellenwerte ausgestaltet sein werden. Diese neuen EU Regelungen treten jedoch erst zwei Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie in Kraft, sodass noch Zeit für die Anpassung ist. Eine Umsetzung der EU-Richtlinie in das nationale Recht ist nicht vor 2025 zu erwarten.

marketSTEEL: Welche Maßnahmen können mittelständische Unternehmen ergreifen, um die Anforderungen des Lieferkettengesetzes zu erfüllen?

Mittelständler sollten prüfen, ob sie mit Unternehmen, die unmittelbar in den Anwendungsbereich des LkSG fallen, kontraktieren. Wenn das der Fall ist, ist es wahrscheinlich, dass solche größeren Unternehmen mit dem Anliegen vertraglicher Anpassungen auf den Mittelständler zukommen werden. Mittelständler sollten sich darauf vorbereiten, indem sie sich für die spätere Beantwortung von Anfragen zur Umsetzung des Risikomanagements und der Risikoanalyse einen Überblick über die eigene Geschäftsstruktur, also den eigenen Geschäftsbereich aber auch über Vertragspartner und deren Geschäftsfelder verschaffen und dokumentieren. Solch ein unternehmerischer Frühjahrsputz schadet ja ohnehin nicht. Wenn mit Vertragspartnern neue vertragliche Pflichten vereinbart werden, sollten diese umgesetzt werden.

marketSTEEL: Können mittelständische Unternehmen sich weigern, den an sie herangetragenen vertraglichen Änderungen zuzustimmen?

Unternehmen sind unmittelbar durch das LkSG nicht verpflichtet, Änderungen in den bestehenden Verträgen mit dem größeren Geschäftspartner zu akzeptieren. Allerdings kann aus dem vertraglichen Verhältnis zwischen großem Unternehmen und Mittelständler eine vertragliche Nebenpflicht hergeleitet werden, die zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet und damit für den Mittelständler jedenfalls gewisse Mitwirkungspflichten zur Umsetzung des LkSG begründet. Daneben ist zu beachten, dass große Unternehmen sich bei mangelnder Umsetzung des LkSG der Erteilung von Bußgeldern, einer deliktsrechtlichen Haftung sowie einer großen branchenübergreifenden Aufmerksamkeit, die bei negativen Schlagzeilen schnell zu Imageschäden führen kann, ausgesetzt sehen. Es ist deshalb absehbar, dass Unternehmen darauf drängen werden, Verträge an die Anforderungen des LkSG anzupassen. Wenn das Risiko einer Haftung ohne vertragliche Anpassungen als zu groß eingeschätzt wird, werden große Unternehmen auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, sich im Zweifel von der vertraglichen Beziehung zu dem sich weigernden Mittelständler zu lösen.

Wenn neue vertragliche Beziehungen zu großen Unternehmen eingegangen werden, ist es in Zukunft wahrscheinlich, dass Unternehmen die Einhaltung der Sorgfaltspflichten des LkSG zur Bedingung für den Vertragsabschluss mit dem Mittelständler machen.

marketSTEEL: Gibt es Unterstützung und Beratung für den Mittelstand in diesem Bezug?

Reed Smith berät verschiedene Unternehmen in unterschiedlichsten Branchen bei der Umsetzung des LkSG. So unterstützen wir auch Mittelständler gerne bei Fragen, wie mit einer Ankündigung des Vertragspartners, neue vertragliche Regelungen zu implementieren, umzugehen ist und liefern insoweit Antworten und Vorschläge. Auch bei sonstigen Fragen zu Klage- und Haftungsrisiken, die durch die Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten entstehen können, stehen wir jederzeit und gern zur Verfügung.

 

Fotos: Reed Smith, Fotolia

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