Der Weg der CO2-Transformation ist bei SHS klar strategisch definiert
von Dagmar Dieterle
marketSTEEL: Es werden gewaltige Investitionen in der Stahlherstellung geplant. Welche Motivation treibt die SHS Stahl Holding Saar an?
Innovation ist seit Jahrhunderten fester Bestandteil unserer Unternehmenskultur. Im Dezember hat sich die SHS-Stahl-Holding-Saar mit den Unternehmen Dillinger und Saarstahl für die künftige Produktion von Grünstahl ausgesprochen. Wir stellen uns dieser Herausforderung, die historische Ausmaße hat. Denn im Vergleich zu unseren Wettbewerbern gehen wir den radikalsten Weg hin zur Transformation. Wir stellen bereits im ersten Schritt 70 Prozent der Produktion um.
Mit dieser Investitution geben wir nicht nur ein klares Bekenntnis zum Klimaschutz ab, sondern auch zum hiesigen Wirtschaftsstandort. Für die Gruppe arbeiten 14.000 Mitarbeiter, 11.000 sind im Saarland beschäftigt. Wir sind der größte Arbeitgeber der Region.
marketSTEEL: Welche Investitionsbeteiligungen wünschen Sie sich?
Ab 2027 wollen wir an den saarländischen Standorten Dillingen und Völklingen grünen Stahl produzieren. Vorbehaltlich der Förderung werden im ersten Schritt 3,5 Milliarden Euro an Investitionen erfolgen Alleine können wir diese Herausforderung nicht stemmen. Wir vertrauen auf die Zusagen von Land, Bund und EU.
Auch gibt es noch inhaltliche Fragen zu klären; dazu muss der regulatorische und wirtschaftliche Rahmen auf EU-Ebene angepasst werden, damit grüner Stahl aus Europa wirtschaftlich bestehen kann. Wenn CBAM und Kostennachteile für grünen Stahl bei Export in Drittländer mit weniger strengen Co2-Auflagen nicht angepasst werden, droht die Herstellung in Länder außerhalb Europas abzuwandern. Ebenfalls noch zu klären sind die Strom- und Gaspreise. Für die Kohle der Hochofenroute wird ein Weltmarktpreis gezahlt, Preise für Strom und Gas werden regional definiert. So entsteht ein Standortwettbewerb innerhalb Europas, den wir aktuell am Standort Deutschland nicht gewinnen können.
marketSTEEL: Der Weg der CO2-Transformation ist bei SHS klar strategisch definiert. Wie gehen Sie beim Umbau der Werke hin zum „Grünen Stahl“ vor und wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Bei der Mammutaufgabe Transformation müssen alle Räder ineinandergreifen, damit die komplette Infrastruktur zur Verfügung steht, wenn sie gebraucht wird. Die Versorgung mit Gas und Strom ist heute schwierig, die Wasserstoff-Infrastruktur muss noch geschaffen werden. Eine Versorgung mit grünem Strom 24/7/365 steht noch in weiter Ferne.
Ab 2027 wollen wir grünen Stahl produzieren. Dazu werden eine Direktreduktionsanlage bei der ROGESA Roheisengesellschaft Saar mbH, der gemeinsamen Tochter von Dillinger und Saarstahl, ein Elektrolichtbogenofen (EAF) bei Dillinger und parallel ein EAF bei Saarstahl gebaut. In Phase 1 sind bis 2030 die Produktion von bis 3,05 Millionen Tonnen Grünstahl und eine Einsparung von 55 % Co2 möglich. In dieser Phase erreichen wir bereits die Klimaziele der EU und Bundesregierung, die in „Fit for 55“ festgeschrieben sind. Damit dies gelingt, benötigen wir 55 kt Wasserstoff und fast 2 Millionen Tonnen Schrott.
In Phase 2, die spätestens 2045 abgeschlossen sein wird, soll ein weiterer EAF gebaut und der Einsatz von Wasserstoff nach Verfügbarkeit auf 150kt erhöht werden. Damit würden 4,9 Millionen Tonnen Grünstahl unter Einsatz von 2,6 Millionen Tonnen Schrott erzeugt werden und die heutige Produktionsmenge der Hochofenroute wäre erreicht. Dabei könnten 80 Prozent Co2 eingespart werden.
marketSTEEL: Das Thema Recyling wird immer wichtiger. Wie sichern Sie sich den Schrott?
Stahlschrott wird künftig zum begehrten Rohstoff. Nicht nur in Europa steht die Dekarbonisierung der Stahlbranche an, auch im weltweit größten Produzentenland China. Derzeit ist Europa noch ein großer Exporteur, künftig sehe ich es aber eher als Schrott-Importeur. Es ist nicht auszuschließen, dass es in der Übergangsphase zur grünen Stahlerzeugung zu Störungen in den Schrott-Handelsströmen kommt. Wir haben dieses Thema im Blick, um auf die künftigen Herausforderungen reagieren zu können.
marketSTEEL: Bei der Produktion grünen Stahls entsteht eine neue Wertschöpfungskette in bisher unbekannten Dimensionen. Welche?
Nur, wenn alle Teile dieser Kette grün sind, kommt beim Kunden ein grünes Produkt an. Die Basis dieser Wertschöpfung ist grüner Strom in gewaltigen Mengen. Auch der Betrieb von Elektrolyseuren zur Produktion von grünem Wasserstoff und der Betrieb der DRI-Anlage erfordern immense Mengen Grünstrom. Insgesamt bedeutet dieser enorme Zusatzbedarf, dass bereits für Phase 1 ab sofort jeden zweiten Tag ein Onshore-Windrad bis 2030 gebaut werden müsste. Oder drei Offshore-Windparks von Deutschland aktuell größtem Windpark „Hohe See“.
marketSTEEL: Wasserstoff wird immer wichtiger. Worauf setzen Sie hier?
Bei der Direktreduktionsanlage wird zunächst noch Erdgas als Übergangslösung eingesetzt, später steigen wir auf Wasserstoff um, wenn die nötigen Kapazitäten aufgebaut sind. Zweifel an einer Versorgung habe ich nicht.
Die europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung „Grande Region Hydrogen EEIG“, der die SHS Stahl-Holding-Saar angehört, verfolgt das Ziel, ein Wasserstoff-Wirtschaftssystem in der Großregion Saarland - Grand Est – Luxemburg zu entwickeln und steht dazu mit der Politik im Dialog.
Die saarländische Landesregierung plant etwa die Gründung einer Wasserstoffagentur. Im Nordsaarland entsteht eine HyStarter-Region, geplant ist dort der grenzüberschreitende Transport von Wasserstoff von Frankreich ins Saarland mit Abzweigungen einer Pipeline nach Dillingen und Völklingen, zudem will der Energiekonzern Steag künftig unter dem Namen Iqony in Völklingen Wasserstoff produzieren.
Fotos: Uwe Braun, fotolia und marketSTEEL