Mittelständischen Industriebetrieben der Stahl- und Metallverarbeitung droht das Aus

von Hubert Hunscheidt

Der rasante Anstieg der Preise für Industriestrom und Erdgas bedeutet für viele mittelständische Industriebetriebe der Stahl- und Metallverarbeitung, dass sie nicht mehr in Deutschland produzieren können – das Rückgrat der deutschen Industrie stirbt.

Der Börsen-Strompreis für den Bezug im Jahr 2022 ist seit Oktober 2020 von rund 40 €/MWh auf über 128 €/MWh (Base-Load) gestiegen, der Gaspreis in demselben Zeitraum von unter 30 €/MWh auf knapp 130 €/MWh (zwischenzeitlich auf 160 €/MWh). Während die abgesenkte EEG-Umlage eine leichte Milderung des Anstiegs der Strompreise bewirkt, kommt zu der Entwicklung bei Erdgas die Anfang 2021 eingeführte rein nationale CO₂-Bepreisung noch hinzu. Besonders stromintensive Betriebe der Branche, die eine geringere EEG-Umlage zahlen, profitieren von der niedrigeren Umlage zudem deutlich weniger. Für nicht von den staatlichen Abgaben entlastete Betriebe sind Strompreiserhöhungen von 34% zu erwarten, die Gaspreise können um 240% oder mehr ansteigen, wenn der zuständige Einkäufer einen ungünstigen Zeitpunkt erwischt – und das Zeitfenster zur Beschaffung der Energie für 2022 schließt sich.

Der Klimaschützer mag frohlocken, dass bei derart hohen Energiepreisen, der leider noch teure „grüne“ Wasserstoff zum Zuge kommen müsste. Allerdings steht dieser viel beschworene Klimaretter den mittelständischen Verarbeitungsbetrieben noch lange nicht zur Verfügung. Da dürften zunächst die Dax-Konzerne aus der Stahl-, Chemie-, Luftfahrt-, und Automobilindustrie berücksichtigt werden, die Kreuzfahrer sind ebenfalls nicht zu vernachlässigen. Die Politik sollte nicht vergessen, dass die­se Konzerne aus dem Mittelstand heraus mit Innovationen und Komponenten versorgt werden, deren Herstellung nicht nur aufgrund der steigenden Anforderungen an Zuverlässigkeit und Haltbarkeit ebenfalls energieintensive Prozesse erfordern.

Für viele mittelständische Betriebe bedeutet die Energieverteuerung daher, dass sie nicht mehr kostendeckend produzieren können. Im Durchschnitt erzielt die Branche eine Gewinnmarge von 1,5% (2019). Selbst beim mittleren Energiekostenanteil von 2,1% ist angesichts der skizzierten Preisentwicklungen schon dem Sextaner klar, dass ab 2022 erhebliche Verluste eingefahren werden. Die energieintensiveren Betriebe mit Energiekostenanteilen von über 5, teilweise mehr als 10% müssen angesichts des Ausblicks sofort ihre Werkstore schließen, denn eine Weitergabe der Kosten an die Kunden gestaltet sich erfahrungsgemäß äußerst schwierig.

Die Unternehmen der Stahl- und Metallverarbeitung beliefern zu einem hohen Anteil marktmächtige Kunden, wie die Automobilindustrie. Dort ist die gelebte Praxis, dass nachweisbare oder offensichtliche Kostenanstiege auf der Materialseite (hier: Stahl oder Metalle wie Aluminium) verhandelbar sind und zumindest teilweise und mit oft erheblichem Zeitverzug ausgeglichen werden. Andere Kostensteigerungen wie Personal- oder Energiekosten müssen dagegen regelmäßig durch „Effizienzsteigerungen“ bei den Zulieferern abgefedert werden.

Angesichts der skizzierten Preisentwicklungen wird diese Verhandlungspraxis unweigerlich zunächst zum Aussterben der Zulieferindustrien und anschließend zu größten Herausforderungen bei den Automobilherstellern führen, zusätzlich zu dem auf beiden Seiten zu bewältigenden Strukturwandel.

Das betrifft dann Familienunternehmen, die an ihren Standorten seit Jahrzehnten oder -hunderten oft der größte Arbeitgeber sind, deren Verantwortliche im Gegensatz zu den börsenorientierten Konzernen noch enge Beziehungen zu den Beschäftigten pflegen, soziale und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, ja, den Zusammenhalt der Gesellschaft garantieren.

Erkennbar gibt es nur zwei Lösungen, die aufeinander aufbauend einen Rettungsanker für die Stahl- und Metallverbeiter, ihre Beschäftigen und die Kundenindustrien schmieden können:

Zunächst müssen die Kunden anerkennen, dass die Entwicklung der Kosten jenseits des Vormaterials weder von den Lieferanten beeinflussbar ist, noch von ihnen getragen werden kann, denn zumindest kurzfristig sind auch keine weiteren Effizienzmaßnahmen umsetzbar, wie sie immer stärker nicht nur von Kunden, sondern auch von der Politik angereizt werden. Es ist kein anderer Ausweg für die Zuliefer-Betriebe erkennbar.

Zweitens muss die Bundesregierung schnellstmöglich die Abschaffung der energiewendebedingten staatlichen Abgaben (EEG-, KWK-, Offshore-Umlage) einleiten und die Energiesteuern auf die EU-Mindestsätze absenken. Das könnte den Strompreis um rund 6 Cent/KWh entlasten. Außerdem sollte der neue, rein nationale CO₂-Preis kurzfristig ausgesetzt werden. Das wäre zwar ein kleiner Tropfen auf einen glühend heißen Stein, würde jedoch die europäischen Kostenniveaus angleichen und zudem den politischen Zielen der Verteuerung fossiler Brennstoffe gar nicht entgegenstehen, denn diese sind aktuell nicht nur bereits teuer genug, sondern eindeutig zu teuer. Andere EU-Mitglieder denken laut über Deckelungen der Energiepreise nach – der deutschen Industrie darf dadurch kein zusätzlicher Nachteil entstehen.

Holger Ade, Leiter Industrie- und Energiepolitik im WSM dazu: “Wenn die Energiepreise nicht schnell auf ein europäisches Niveau sinken, werden wir leider Insolvenzen sehen, die vermeidbar gewesen wären, erste Fälle gibt es bereits.“

Quelle: WSM Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e.V.

 

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