Konjunkturaufschwung hält an – ist aber zunehmenden Risiken ausgesetzt

Der Konjunkturaufschwung in Deutschland dürfte sich in den kommenden Jahren fortsetzen, er wird aber an Tempo verlieren und zunehmenden Risiken ausgesetzt sein. Dies ist die zentrale Botschaft der Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, die im 27. September veröffentlicht wurde. Eine tragende Säule der Konjunktur ist gegenwärtig die Binnenwirtschaft. Zum einen sind Beschäftigung und Löhne kräftig gestiegen, und dies stimulierte den Privaten Konsum. Zum anderen stützen eine hohe Kapazitätsauslastung und niedrige Finanzierungskosten die Investitionstätigkeit. Eher dämpfende Effekte kommen hingegen von der Außenwirtschaft. Die Konjunktur in den wichtigsten deutschen Absatzmärkten hat sich im ersten Halbjahr 2018 verlangsamt. Auch könnten erste Wirkungen protektionistischer Maßnahmen sichtbar werden, wenngleich dieser Effekt noch nicht allzu stark sein dürfte. Ungewöhnlich ist aber, dass gegenwärtig der Aufschwung allem Anschein auch durch produktionsseitige Engpässen gebremst wird. Jedenfalls berichtet in den ifo Konjunkturumfragen ein historisch hoher Anteil von Unternehmen über Produktionsbehinderungen durch Arbeitskräftemangel und Probleme beim Bezug von Vorleistungsgütern. Dazu passt auch, dass im Verarbeitenden Gewerbe die Auftragsbücher gut gefüllt sind, die Produktion dennoch seit Jahresbeginn bestenfalls stagniert.

Dazu trägt freilich derzeit wohl auch eine Sonderentwicklung in der Automobilindustrie bei. Ab dem 1. September 2018 dürften nur noch Fahrzeuge zugelassen werden, die nach dem neuen Abgas- und Verbrauchsprüfverfahren WLTP zertifiziert wurden. Bei dieser Zertifizierung gibt es erheblich Engpässe, die dazu geführt haben, dass die Autohersteller Läger aufgebaut haben, zeitweise Produktion und Lieferungen stoppten, und zahlreiche Fahrzeuge mit erheblichen Preisnachlässen an den Handel abgaben, der sie mittels Tageszulassung zu Gebrauchtwagen machte, die nicht nach dem neuen Verfahren zertifiziert sein müssen. Da so ein wichtiger Absatzkanal zunächst „verstopft“ sein und die Probleme beim Testverfahren nicht über Nacht überwunden sein dürften, könnte die Autoproduktion noch einige Zeit gedämpft werden. Angesichts des großen Gewichts der Branche macht sich dies gesamtwirtschaftlich bemerkbar, und es strahlt vor allem auch auf die Stahlindustrie aus.

Allerdings dürfte sich die Automobilproduktion allmählich normalisieren, und zudem gibt zu Beginn des Jahres 2019 die Finanzpolitik Impulse. Beides spricht dafür, dass sich die Konjunktur im Winterhalbjahr zunächst einmal beschleunigen dürfte. Danach ist aber eine allmähliche Verringerung des Expansionstempos angelegt Im Zuge der sich abschwächenden Weltkonjunktur werden die außenwirtschaftlichen Impulse wohl nicht mehr so kräftig ausfallen. Hinzu kommt, dass das heimische Erwerbspersonenpotenzial zunehmend ausgeschöpft ist und sich die Zuwanderung verlangsamt. Insgesamt dürfte so der Aufschwung nach und nach an Kraft verlieren. Vor diesem Hintergrund erwartete die Gemeinschaftsdiagnose, dass das Bruttoinlandsprodukt nach einem Plus von 1,7% in diesem Jahr im kommenden Jahr mit 1,9% etwas stärker zulegen wird. Die Prognose für das Jahr 2020 wird wesentlich von einer ungewöhnlich großen Zahl von Arbeitstagen beeinflusst. Sie lässt die Wirtschaftsleistung im Jahresdurchschnitt um 1,8% zunehmen, bereinigt man jedoch um diesen Arbeitstageeffekt, steht nur noch ein Wachstum von 1,4% zu Buche.

Die Risiken für die deutsche und die internationale Konjunktur sind aber erheblich und haben sich gegenüber dem Frühjahr vergrößert. Vor allem das Vordringen des Protektionismus stellt eine Gefahr dar. Insbesondere der Handelskonflikt  zwischen den USA und China droht sich zuzuspitzen, was auf die globalen Wertschöpfungsketten ausstrahlen und so auch deutsche Unternehmen treffen dürfte. Im Verhältnis zwischen der EU und den USA ist zwar eine gewisse Entspannung eingetreten. Jedoch hat sich im bisherigen Jahresverlauf gezeigt, dass es die protektionistische Außenwirtschaftspolitik der USA nicht bei Drohungen belässt.

Einen weiteren Gefahrenherd stellen die Krisen in Argentinien und in der Türkei dar. Noch werden sie eher als spezifische nationale Probleme wahrgenommen. Es besteht aber die Gefahr, dass die Anleger das Vertrauen gegenüber Schwellenländern generell verlieren und sich so deren Finanzierungsbedingungen deutlich verschlechtern und die Konjunktur dort abwürgen.

Für die Konjunktur in Europa stellt zudem die Möglichkeit eines ungeordneten Austritts Großbritanniens aus der EU ein nicht unerhebliches Risiko dar. In der Prognose ist unterstellt, dass Brexit geordnet verläuft und eine Übergangsphase vereinbart wird. Da allmählich die Zeit knapp wird und die Uneinigkeit in Großbritannien erheblich ist, ist die Option eines ungeordneten „No-deal“-Ausstiegs nicht vom Tisch. In einem solchen Fall dürfte die deutsche Wirtschaft in besonderem Maße in Mitleidenschaft gezogen werden, ist Großbritannien doch der drittwichtigste Exportmarkt.

In Italien schließlich hat die Regierung jüngst bekräftig, dass sie trotz hoher Staatschulden Steuer- und Rentengeschenke durch zusätzliche Schulden finanzieren will. Der Konflikt mit den fiskalischen Regeln der Europäischen Union ist vorprogrammiert, und dieser könnte die Eurokrise aufflammen lassen. Bereits jetzt muss Italien für seine Staatsanleihen einen deutlich höheren Zins zahlen als noch vor einem halben Jahr.

 

Der Beitrag stammt von Prof. Dr. Roland Döhrn, RWI – Leibniz Institute for Economic Reseach, Head of Department Macroeconomics and Public Finance, RWI, Essen

Foto: RWI, Essen

 

Der Gastkommentar spiegelt die Meinung des Autors wider, nicht notwendigerweise die der Redaktion von marketSTEEL.

Zurück