Deutsche Wirtschaft im Spannungsfeld zwischen Öffnungen und Lieferengpässen

von Hubert Hunscheidt

Mit der Verlangsamung des Infektionsgeschehens und dem Fortschritt bei den Impfungen gegen Covid-19 dürften die bestehenden wirtschaftlichen Beschränkungen allmählich aufgehoben werden. Einer konjunkturellen Erholung beim Handel und in den kontaktintensiven Dienstleistungsbereichen bis Ende 2021 steht nichts mehr im Wege. Kurzfristig dämpfend wirken die Engpässe bei der Lieferung von Vorprodukten, so dass sich der industrielle Boom im weiteren Verlauf etwas abkühlen dürfte. Insgesamt wird das Bruttoinlandsprodukt 2021 voraussichtlich um 3,3% und 2022 um 4,3% zulegen.

Deutschland: Deutsche Wirtschaft im Spannungsfeld zwischen Öffnungen und Lieferengpässen

In den ersten drei Monaten dieses Jahres ist die gesamtwirtschaftliche Aktivität um 1,8% gesunken. Damit hat die kräftige Erholung der deutschen Wirtschaft von der ersten Coronawelle einen vorübergehenden Rücksetzer erfahren. Maßgeblich dazu beigetragen hat eine rückläufige Wertschöpfung im Baugewerbe, wo Produktion durch die bevorstehende Mehrwertsteueranhebung in den Dezember vorgezogen und durch ungünstige Witterung am Jahresanfang behindert wurde. Aber auch der Handel musste Verluste hinnehmen, da die Umsätze unter den im Dezember in Kraft getretenen Schließungen von Teilen des stationären Einzelhandels kräftig litten. In anderen kontaktintensiven Dienstleistungsbereichen waren die konjunkturellen Folgen der erneuten Coronawelle bereits im Schlussquartal des Vorjahres zu Buche geschlagen; ihre Umsätze blieben zu Jahresbeginn weitgehend unverändert auf niedrigem Niveau. Deutlich schwächer als ursprünglich erwartet nahm im ersten Quartal die Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe zu. Zwar verbesserte sich die Auftragslage in den ersten drei Monaten des Jahres noch einmal deutlich in nahezu allen Industriesparten. Gleichzeitig aber verschärften sich Lieferengpässe von wichtigen industriellen Vorprodukten derart, dass sie einer stärkeren Ausweitung der Produktion im Weg gestanden haben dürften.

Seit Ende April hat sich das Infektionsgeschehen mit dem Coronavirus in Deutschland deutlich verlangsamt und der Fortschritt bei den Impfungen gegen Covid-19 an Tempo gewonnen. Im Einklang damit wurden in den vergangenen Wochen Infektionsschutzmaßnahmen in vielen Bereichen gelockert, und die Mobilität der Menschen, die in Verbindung mit Konsum steht, legte deutlich zu. Für den weiteren Prognoseverlauf wird unterstellt, dass die bestehenden wirtschaftlichen Beschränkungen, die sich aus den Infektionsschutzmaßnahmen ergeben, bis zum Ende des dritten Quartals aufgehoben werden. Somit dürfte zumindest aus diesen Gründen einer vollständigen konjunkturellen Erholung beim Handel und in den kontaktintensiven Dienstleistungsbereichen bis zum Ende des Jahres nichts mehr im Wege stehen. Entsprechend wird allein durch die Normalisierung des Ausgabeverhaltens der private Konsum die tragende Säule des Aufschwungs sein. Alles in allem wird das Bruttoinlandsprodukt ab dem zweiten Quartal mit kräftigen Raten expandieren, so dass das Vorkrisenniveau bereits im dritten Quartal des laufenden Jahres erreicht wird. Insgesamt ergibt sich für das Jahr 2021 ein Anstieg des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts um 3,3%. Im kommenden Jahr dürfte das Bruttoinlandsprodukt um 4,3% höher liegen als in diesem Jahr.

Erholung am Arbeitsmarkt hat eingesetzt

Auch auf dem Arbeitsmarkt stehen die Zeichen auf Erholung. Als Folge der fortschreitenden Öffnungen in vielen Wirtschaftsbereichen dürften die Arbeitslosigkeit und die Kurzarbeit im Prognosezeitraum rasch abgebaut werden. Während die Kurzarbeit im kommenden Jahr wieder auf ihr Vorkrisenniveau sinken wird, liegt die Arbeitslosigkeit mit jahresdurchschnittlich 2,4 Millionen Personen noch darüber. Maßgeblich hierfür sind die durch die steigende Zahl der Unternehmensinsolvenzen freigesetzten Arbeitskräfte, die zumindest mittelfristig keine neue Anstellung finden werden. Die Arbeitslosenquote beträgt voraussichtlich 5,8% im Durchschnitt des Jahres 2021 und 5,2% im Jahr 2022.

Impffortschritt und Öffnungen lassen private Konsumausgaben kräftig expandieren

Die privaten Konsumausgaben haben im ersten Vierteljahr des laufenden Jahres abermals um 5,4% nachgegeben, nachdem diese zum Jahresende 2020 bereits um 2,3% gegenüber dem Vorquartal gesunken sind. Maßgeblich für den Rückgang waren vielzählige Einschränkungen bei kontaktintensiven Konsummöglichkeiten sowie Verhaltensanpassungen der Verbraucher, die im Zusammenhang mit der erneuten Coronawelle standen. Das zweite und dritte Quartal des laufenden Jahres dürften ganz im Zeichen der beginnenden und dann vollständigen Öffnungsschritte seitens der politischen Akteure stehen. Die erheblichen Fortschritte bei der Impfkampagne, das flächendeckende Testangebot und die stetig sinkenden Inzidenzzahlen führten bereits im zweiten Vierteljahr 2021 zu einer stufenweisen Lockerung der bislang geltenden Restriktionen. Zudem haben sich die Einkommens- und Beschäftigungsperspektiven zuletzt merklich aufgehellt, da die Kurzarbeit zurückgefahren wurde und gleichzeitig die Arbeitslosigkeit gesunken ist. Im zweiten Quartal 2021 dürften die privaten Konsumausgaben wohl um 3,5% und im dritten Quartal nochmals dynamischer um 6,7% expandieren. Grund hierfür ist dann die vollständige Rücknahme der Restriktionen, so dass im Spätsommer wieder alle Konsummöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Verhaltener Anstieg der Unternehmensinvestitionen

Die Unternehmensinvestitionen dürften im Jahr 2021 wohl um 6,1% gegenüber dem Vorjahr zulegen, nachdem sie im Jahr 2020 um 7,4% eingebrochen waren. Die privaten Ausrüstungsinvestitionen dürften sich mit 8,6% kräftig erholen, und die gewerblichen Bauinvestitionen werden voraussichtlich auch um knapp 6% zulegen können. Im kommenden Jahr wird sich die Dynamik etwas verlangsamen und die Unternehmensinvestitionen dürften um 4,6% ausgeweitet werden.

Inflationsrate beschleunigt sich

Seit Januar 2021 hat sich die Inflationsrate deutlich beschleunigt. Während in der zweiten Jahreshälfte 2020 das durchschnittliche Niveau der Verbraucherpreise unter seinen Vorjahreswert sank, erreichte der Preisauftrieb im Mai mit 2,5% den höchsten Wert seit 2008. Maßgeblich hierfür waren zum einen die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer, die für sich genommen die Inflationsrate im Januar um gut einen Prozentpunkt steigen ließ. Zum anderen verteuerten sich die Energiepreise im Vergleich zum Vorjahr deutlich. Dazu trug vor allem der kräftige Anstieg der Weltmarktpreise von Rohöl bei, die seit April 2020 nahezu ununterbrochen von knapp 20 US-Dollar auf zuletzt knapp 70 US-Dollar gestiegen sind. Aber auch die Einführung einer CO2-Emissionsabgabe auf fossile Brennstoffe ließ für sich genommen die Inflationsrate im Januar um etwa 0,3 Prozentpunkte steigen. Im Jahresdurchschnitt 2021 dürfte der Anstieg der Verbraucherpreise bei 2,6% und die Kerninflationsrate bei 2,1% liegen. Dieser Preisschub sollte allerdings nur temporärer Natur sein. Im Laufe des kommenden Jahres sollten sich die Verbraucherpreise wieder moderater entwickeln und im Jahresdurchschnitt bei 1,9% liegen (Kernrate: 1,7%).

Finanzpolitische Rahmenbedingungen

Das gegenwärtige finanzpolitische Umfeld ist von umfangreichen staatlichen Maßnahmen geprägt, die die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie eindämmen sollen. In der Folge wird der öffentliche Haushalt im laufenden Jahr abermals mit einem deutlichen Minus von gut 150 Mrd. Euro bzw. 4,3% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt abschließen. Im weiteren Prognosezeitraum wird das Defizit dann auf etwa 50 Mrd. Euro bzw. 1,3% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt allmählich zurückgeführt.

Weltwirtschaft: Deutlicher Aufschwung

 

Die Entwicklung der Weltwirtschaft wird weiterhin maßgeblich von der Corona-Pandemie bestimmt. Im Winterhalbjahr 2020/21 erholte sich das globale Bruttoinlandsprodukt weiter von seinem drastischen Einbruch im Frühjahr 2020 und lag zuletzt wieder fast auf seinem Vorkrisenwert. Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern, die sich aus den unterschiedlichen Zeitpunkten der (erneuten) Virusausbrüche, den unterschiedlich drastischen Infektionsschutzmaßnahmen und den verschiedenen Geschwindigkeiten beim Impffortschritt ergeben. Insgesamt wird das Bruttoinlandsprodukt der Welt in diesem Jahr voraussichtlich um 6,6% und im Jahr 2022 um 4,2% zulegen. Während China sein Vorkrisenniveau schon seit dem dritten Quartal 2020 wieder deutlich überschritten hat, dürfte die globale und die US-amerikanische gesamtwirtschaftliche Produktion im zweiten Quartal 2021 das Vorkrisenniveau überschreiten. Die meisten anderen Länder folgen ein Quartal später, der Euroraum als Ganzes allerdings erst Anfang 2022.

Die Inflationsrate in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften dürfte im laufenden Jahr mit 2,1% deutlich kräftiger ausfallen als in den Jahren zuvor. Dabei ist ein Großteil des Anstiegs auf den äußerst niedrigen Rohölpreis im Frühjahr 2020 und dessen Anstieg seitdem zurückzuführen. Im kommenden Jahr wird die Inflationsrate in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften voraussichtlich bei 1,7% liegen. Dagegen dürfte die Inflation in den Schwellenländern im laufenden Jahr mit insgesamt 3,1% niedriger ausfallen als im vergangenen Jahr (3,5%) wie auch im kommenden Jahr (3,6%). Vor allem in China fallen die Preissteigerungen deutlich geringer aus, da die Unternehmen davon abgehalten wurden, ihre höheren Preise an die Konsumenten weiterzugeben.

Der weltweite Warenhandel dürfte im zweiten Quartal 2021 wieder kräftig zulegen, angetrieben durch die weiterhin hohe Nachfrage nach handelsintensiven langlebigen Gütern. Allerdings wird die Nachfrage im zweiten Halbjahr 2021 im Zuge der schrittweisen Aufhebung der Mobilitätsbeschränkungen wohl abnehmen. Hierdurch dürften nationale, aber auch grenzüberschreitende Dienstleistungen wieder verstärkt nachgefragt werden, so dass der internationale Handel von Dienstleistungen stark und der von Waren gedämpfter zulegen dürfte. Gleichzeitig werden sich die Kapazitätsengpässe in vielen Häfen durch die Aufhebung der Infektionsschutzmaßnahmen und einer verstärkten Containerproduktion voraussichtlich auflösen. Alles in allem wird der weltweite Warenhandel in diesem Jahr wohl um 11,0% und im Jahr 2022 um 2,3% expandieren.

Quelle und Grafiken: ifo Institut

Zurück