Trocken oder nass gekühlt: der Fräs-Einsatz entscheidet

von Alfons Woelfing

Die richtige Entscheidung hängt von mehreren Faktoren ab wie Werkstoffeigenschaften und Maschinenleistung. Zudem kann bei manchen Anwendungen die „Quasi-Trockenbearbeitung“ in Form von Minimalmengenschmierung (MMS) eine Alternative sein. In jedem Fall muss der Anwender sehr genau prüfen, welche Variante die größtmöglichen Vorteile bringt.

Flüssigkühlung gegen Hitze in der Schnittzone

Kühlflüssigkeit, Kühlmittelgemisch, Kühlschmiermittel, Schneidöl oder Kühlmittel sind geläufige Bezeichnungen aus der Praxis. Sie beziehen sich auf Flüssigkeiten, die bei vielen verschiedenen Prozessen sowohl zur Kühlung als auch zur Schmierung eingesetzt werden. Bei jeder Form der spanenden Bearbeitung entsteht unerwünschte Reibung zwischen den Oberflächen des genutzten Werkzeugs und des Werkstücks. Ein Kühlschmiermittel verringert diese Reibung, wodurch es sehr viel einfacher wird, mithilfe des Werkzeugs eine Schicht des Metalls abzutragen.

Während des Bearbeitungsprozesses entstehen in der Schnittzone extrem hohe Temperaturen. Durch den Einsatz eines Kühlschmiermittels wird die Temperatur in der Schnittzone gesenkt und die thermische Belastung für das Werkzeug verringert. Außerdem verbessert das Kühlmittel die Spanabfuhr und senkt die Metallstaubkonzentration in der Fertigungs-Umgebung. Die richtige Kühlmittel-zufuhr hat mehrere Vorteile. Sie optimiert die Prozessleistung durch höhere Bearbeitungsgenauigkeit und Oberflächengüte. Prozesse laufen durch Produktivitätssteigerungen, Standzeitverlängerungen und geringeren Werkzeugverbrauch wirtschaftlicher ab. Darüber hinaus bietet sie mehr Schutz vor schädlichen Umwelteinflüssen.

Bei unterbrochenen Fräs- oder Schnittprozessen ist die Schneidkante des Werkzeugs einer zyklischen Wärmebelastung ausgesetzt. Außerdem ändert sich die Werkzeugtemperatur drastisch, wenn die Schneidkante in das Werkstück eingreift und dieses wieder verlässt. Die Werkzeugschneidkante steht unter starker Wärmebelastung, vergleichbar mit wiederkehrenden Thermoschocks. Sinterhartmetall, das heute meistgenutzte Werkzeugmaterial, ist ein Produkt der Pulvermetallurgie. Es hält einer Belastung durch wiederholte Thermoschocks nicht stand, wodurch die Schneidkanten beschädigt werden. Wenn diese Art von Werkzeug genutzt wird, kann die Verwendung eines Kühlmittels eine solche „Schocktherapie“ verstärken und zum Bruch der Schneidkante beitragen. Während extreme Temperaturen die plastische Verformung der Schneidkante nach sich ziehen, führen Temperaturunterschiede zu thermischen Rissen. Diese Situation verschärft sich bei Fräsarbeiten mit großer Wärmeentwicklung, etwa bei der Bearbeitung schwer zerspanbarer Materialien oder bei Schruppdurchgängen. In vielen Fällen ist die Zufuhr eines leistungsfähigen Kühlschmiermittels hingegen notwendig. Etwa dann, wenn Materialien wie Titan und Hochtemperatur-Superlegierungen, rostfreie austenitische und Duplexstähle (austenitisch-ferritische Stähle) oder gar Spezial-Hartgusslegierungen bearbeitet werden, bei denen erhebliche Reibung und Wärmeentwicklung auftreten. Außerdem wird durch die Spülwirkung der Kühlmittelzufuhr die Spanabfuhr verbessert und es ist weniger Nachschneiden erforderlich, insbesondere beim Fräsen tiefer Taschen und schmaler Nuten.

Neben der herkömmlichen Niederdruckkühlung, bei der das Kühlmittel mit etwa 20 bar zugeführt wird, bringt die Hochdruckkühlung (HPC), die bei  80 bar oder einem noch höheren Druck (Ultra-HPC) erfolgt, Vorteile in der Praxis. Bei der konventionellen Flüssigkühlung bildet sich durch die Wärmeentwicklung ein Dampffilm in der Schnittzone, der die Wärmeabfuhr beeinträchtigt. Mit einem HPC-Strahl, der genau auf die Schnittzone gerichtet ist, kann der Film durchbrochen und dieses unerwünschte Hindernis beseitigt werden. Außerdem wird der Prozess mit HPC über einen veränderten Scherebenenwinkel und die so entstehenden dünneren und besser abführbaren Späne optimiert. Die Vorteile von HPC-Techniken können jedoch nur genutzt werden, wenn geeignete, leistungsstarke  Werkzeugmaschinen eingesetzt oder vorhandene Maschinen entsprechend modernisiert werden.

Trockenbearbeitung und andere Möglichkeiten

Vielversprechende Möglichkeiten bietet die Trockenbearbeitung. Beim Schruppfräsen entstehen beispielsweisedurch starken Abtrag extrem hohe Temperaturen. Die Zufuhr eines Kühlmittels kann aufgrund der kritischen thermischen Belastung eine zerstörende Wirkung haben. Wird das Schruppfräsen hingegen trocken ausgeführt, ist die Temperatur an der Schneidplattenkante konstant. Sind die Bearbeitungsdaten korrekt eingegeben, bleibt sie dabei in einem akzeptablen Bereich. Es treten nur relativ geringe Temperaturschwankungen auf, die nicht zu Thermoschocks führen.

Für die feinen Schnitte beim Hochgeschwindigkeitsfräsen (HSM), insbesondere bei Werkstücken mit Härtewerten von 45 HRC oder mehr, empfehlen Experten die Luftkühlung. Der Verzicht auf Kühlflüssigkeit führt dabei zu erheblich längeren Standzeiten. Ohne Kühlschmiermittel sind Pumpe, ein Kühlmittelaufbereitungssystem und anderes, teures Werkzeugmaschinenzubehör nicht erforderlich, wodurch die Gesamtkosten weiter sinken.

Eine weitere Option ist das Fräsen mit Minimalmengenschmierung (MMS), auch „Quasi-Trockenbearbeitung“ genannt. Bei dieser Technik arbeitet die Schneidkante des Werkzeugs in einem Nebel aus Öl und Druckluft, der direkt in die Schnittzone gesprüht wird. Je nach Konstruktion von Werkzeugmaschine und Fräser kann der Nebel von außen oder von innen über eine Kühlmittelbohrung zugeführt werden. Die Hauptfunktion von MMS besteht in der Schmierung der Schneidkante während der Zerspanung. Aus diesem Grund wird beim Bearbeitungsprozess nur die notwendige Menge an Öl verbraucht, wodurch die Schmierung effizienter ist. Außerdem sind das bearbeitete Werkstück und die Späne nahezu trocken, was die Reinigung vereinfacht und beschleunigt. Darüber hinaus verlängert MMS die Werkzeugstandzeit. Auch der Arbeitsbereich der Werkzeugmaschine bleibt relativ trocken. Dadurch können verschiedene Teile der Werkzeugmaschine unter besseren Bedingungen arbeiten, sodass sich ihre Nutzungsdauer verlängert.

Eine weitere Kühloption ist die kryogene Bearbeitung. Durch die Verwendung eines Kühlmittels mit extrem niedrigen, kryogenen Temperaturen wird das Risiko der Überhitzung drastisch reduziert und es sind eine bessere Leistung und längere Standzeiten möglich. Kombiniert mit MMS ergibt sich eine effektivere kryogene „Mindestmengen“-Bearbeitungsmethode, bei der ein Niedertemperatur-Kühlmittel wie etwa flüssiger Stickstoff über das Werkzeug direkt der Schnittzone zugeführt wird. Alternativ dazu sehen einige Prozesse die Zufuhr von komprimiertem Kohlendioxid (CO2) in die Schnittzone vor. Bei jeder dieser Methoden verdampfen Teilchen des kryogenen Kühlmittels an der Schneidkante und führen dabei Wärme ab. Trotz der klaren Vorteile ist diese Art der Kühlung kostenintensiv und erfordert den Einsatz speziell entwickelter Werkzeugmaschinen.

Das Werkzeug und seine Rolle

Neben dem Werkstückstoff, der Bearbeitungsart und dem Maschinentyp hängt die richtige Kühlungsart auch von den eingesetzten Werkzeugen ab. Hersteller von Zerspanungswerkzeugen berücksichtigen die Anforderungen ihrer Kunden und bieten Werkzeuge, die eine produktive Bearbeitung unter Verwendung verschiedener Kühlungsmethoden ermöglichen. Die Mehrzahl moderner Wendeplattenfräser besitzt Kühlmittelbohrungen, sodass die Kühlmittelzufuhr über den Werkzeugkörper erfolgt. Dies ist effektiver, da das Kühlmittel so direkt in die Schnittzone gelangt. Für Planfräser früherer Generationen, die nicht über Kühlmittelbohrungen verfügen, bietet ISCAR eine Klemmschraube mit einer einstellbaren Düse – sie verbessert in vielen Fällen nicht nur die Kühlmittelzufuhr, sondern trägt auch zu einer besseren Spanabfuhr bei.

Bei Fräsern, die für MMS und kryogene Bearbeitung vorgesehen sind, sollte der Fräserkörper entsprechend ausgelegt sein. Durch die Form der Innenkanäle, ihre Größe und ihre Dichtelemente sollte ein maximaler, störungsfreier Kühlmitteldurchsatz gewährleistet sein. Die wichtigsten Elemente sind die an den Ausgängen der Kanäle eingebauten Düsen, da diese die Wirkung des Hochgeschwindigkeits-Kühlmittelstrahls optimieren und ihn präzise an die richtige Stelle lenken.

Durch die Kante der Wendeplatte erfolgt der Schnitt – deren Hartmetallsorte beeinflusst aber auch die Kühlung. Die Beschichtung der Platte bildet eine  Barriere gegen Hitze, sie muss den Temperaturunterschieden widerstehen. Dabei gibt es keine Universal-Beschichtung, die für produktives Fräsen mit und ohne Kühlmittel gleichermaßen geeignet ist. Einige Beschichtungen sind effektiver für die Nassbearbeitung, während andere Vorteile bei der Trockenbearbeitung bieten. Auf dem Markt sind Hartmetall-Wendeschneidplatten mit Beschichtungen für alle erdenklichen Einsatzfälle erhältlich - letztlich entscheidet die Bearbeitungsart über die passende Formel.

Quelle und Fotos: ISCAR Germany GmbH

Zurück