Stahlrohre decken breites Anwenderspektrum ab

von Alexander Kirschbaum

Rohre gehören zu den am vielseitigsten verwendbaren Produkten und Konstruktionselementen überhaupt. Egal ob im Energiesektor, im Maschinen-, Kraftwerks- oder Fahrzeugbau, in der Chemie- und Petrochemie, im Bausektor und vielen anderen Bereichen, überall finden sich Rohre und Rohrkonstruktionen unterschiedlichster Formen, Größe und Gewichte. Ein besonders breites Spektrum decken dabei die Stahlrohre ab, die sich nicht zuletzt auch wegen der Innovationskraft der Hersteller neue Anwendungen erobern oder in angestammten Einsatzgebieten durch Neu- und Weiterentwicklungen immer wieder ihre Stellung behaupten.

Im Energiesektor sind Rohre nicht nur für den Transport von Öl oder Gas unverzichtbar, auch als Konstruktionselemente spielen sie eine bedeutende Rolle. So bestehen die meisten Gründungsstrukturen, also die Fundamente von Offshore-Windkraftanlagen aus Rohrelementen. Bei der Offshore-Förderung von Öl- und Gas übernehmen Rohre ebenfalls wichtige Aufgaben.

Spezielle Rohre für die Tiefsee
Unter anderem mit diesem Anwendungsbereich beschäftigt sich bei der Salzgitter AG die für Forschung und Entwicklung des Geschäftsbereiches Mannesmann zuständige Salzgitter Mannesmann Forschung GmbH (SZMF). Gefragt sind nach Unternehmensangaben nicht nur Produkte, sondern verstärkt komplette technologische Lösungen. So wurden im Rohrbereich Super-Duplex-Rohre für Tiefsee-Anwendungen optimiert, um auch in größeren Wassertiefen eine sichere Medienversorgung sicherzustellen.

Solche Tiefsee-Versorgungsrohre (sogenannte Umbilicals) werden auf Offshore-Plattformen zum Transport von Steuersignalen, Energie oder Chemikalien von der Wasseroberfläche bis zum Meeresgrund verwendet. Besonders Standorte in großen Wassertiefen bis zu 2.500 Meter stellen höchste Ansprüche an Festigkeits- und Ermüdungseigenschaften sowie an die Korrosionsbeständigkeit der verwendeten Rohre. Vor diesem Hintergrund wurden Versuchsprozeduren entwickelt, um die Qualifikation von Super-Duplex-Rohren für Tiefsee-Anwendungen zu ermöglichen. In enger Kooperation mit ersten Kunden konnten laut Unternehmen die Rohreigenschaften schnell und effizient ermittelt und erfolgreich qualifiziert werden.

Andere Wachstumsbereiche, die in den kommenden Jahren mit Forschungs- und Entwicklungsvorhaben unterstützt werden, konzentrieren sich auf die kundenorientierte Optimierung der Rohreigenschaften. Beispiele dafür sind neue Entwicklungen für den Automobilbau. Von vielen bereits abgeschrieben, wird der Verbrennungsmotor nicht nur nach Einschätzung der Automobilhersteller noch viele Jahre eine wichtige Antriebsquelle darstellen. Dazu müssen aber Verbrauch und Schadstoffemissionen weiter gesenkt werden. Hier können Präzisrohre für höhere Einspritzdrücke helfen, die eine umweltschonendere Verbrennung gewährleisten. Im nichtmotorischen Bereich können Rohre mit variablen Rohrwanddicken für belastungsgerecht optimierte Anwendungen den Leichtbau unterstützen.

Innovationen für automobile Rohrlösungen
Das Thema automobiler Leichtbau steht auch bei der Benteler AG im Fokus der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Dazu veranstaltete das Unternehmen im vergangenen Jahr bei Bad Driburg den ersten Steel/Tube Leichtbautag. Als neueste Innovation für automobile Rohrlösungen wurde unter anderem der Prototyp eines Vorderachsträgers für Elektrofahrzeuge vorgestellt. Dank eines neuen innovativen Stahlkonzeptes will man damit das Gewicht um 35 Prozent verringert haben. Für die Automobilhersteller aufgrund des hohen Leichtbaupotenzials ebenfalls von Interesse: Der Einsatz geschweißter Rohre aus einem neuen Stahl mit sehr hoher Festigkeit und gleichzeitig überdurchschnittlich großem Umformvermögen. Davon hat das Unternehmen eigenen Angaben zufolge bereits erste Prototypen für Kunden zur Validierung gefertigt.

Ebenfalls für die Automobilindustrie bestimmt sind ultrahochfeste Rohre, die als innovative automobile Federungssysteme Anwendung finden sollen. Mit diesen Fahrwerkslösungen sollen sich im Vergleich zur aktuellen Serienlösung bis zu 30 Prozent Gewicht einsparen lassen. Ende 2016 konnten laut Beneler die ersten Systeme beim Kunden hergestellt und validiert werden.

Erste Erfolge hat man dem Vernehmen nach auch im Bereich warmgewalzter Achsrohre erzielt. Hier ist die Serienbelieferung nach den ersten Buchungen seitens der Kunden erfolgreich angelaufen. Darüber hinaus hat das Unternehmen im Bereich der Achsen sowie Spurstangen und Achslenker für Nutzfahrzeuge erfolgreich mehrere innovative Stahl- und Rohrlösungen bei Kunden platziert und Prototypen geliefert.

Neue Lösungen für Industrie und Energie
Auch außerhalb des Automobilsektors sind bei Benteler Innovationen zu finden. Im Bereich der industriellen Anwendungen von nahtlosen Präzisionsrohren zählen dazu Vorrohre zum Herstellen von Injektionsankern (Ground Engineering). So hat man für ein industrielles Großprojekt in den Niederlanden zur Untertunnelung einer Autobahn erfolgreich einen modifizierten Stahlwerkstoff mit, wie es heißt, „herausragender Kombination aus Festigkeit und Zähigkeit“ in Verbindung mit einer speziellen Walz- und Wärmebehandlungstechnologie entwickelt und umgesetzt.

Andere aktuelle Projekte des Unternehmens sind geschweißte und nahtlose Leitungsrohre mit einer speziellen Oberflächentechnologie (Zista Seal), die für einen „exzellenten Korrosionsschutz in Kombination mit herausragender Verarbeitungsfähigkeit“ sorgen soll.

Leichte Rohrkonstruktion für Elektromobilfahrwerke
Auch wenn der Verbrennungsmotor im Fahrzeugbau noch lange nicht ausgedient hat, kann man davon ausgehen, dass die Elektromobilität in Zukunft zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Darauf müssen sich die Hersteller von Rohrkomponenten einstellen. Ein reines Elektroauto braucht nun einmal kein aufwendiges Abgassystem mehr, um nur ein Rohr-Bauelement beispielhaft zu erwähnen. Ein anderes Thema – der Leichtbau – dürfte mit zunehmender Verbreitung von batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen jedoch eher noch an Bedeutung gewinnen. Akkupacks für eine auskömmliche Reichweite von 300 bis 500 Kilometern wiegen derzeit noch viele Hundert Kilogramm, woran sich zumindest in näherer Zukunft nicht allzu viel ändern wird. Falls man nicht doch auf die Batterien weitgehend verzichten kann - Stichwort Brennstoffzelle - ist eben Gewicht sparen an anderer Stelle angesagt.

Deshalb spielt die Gewichtsreduzierung von Fahrzeugteilen, die zu einer erhöhten Effizienz und Schonung der Ressourcen führt, eine entscheidende Rolle. Moderne „exotische“ Werkstoffe wie zum Beispiel Karbon stoßen bei der Massenproduktion aber immer noch an fertigungstechnische und wirtschaftliche Grenzen, auch wenn die Fortschritte bei der industriellen Verarbeitung solcher Werkstoffe unübersehbar sind. Als Alternative bieten sich hier Leichtbaulösungen mit dem altbewährten Werkstoff Stahl an.

Passend zum Thema hat Thyssenkrupp Precision Steel in Hohenlimburg vor einiger Zeit ein neues Bauteil für das Fahrwerk von Elektrofahrzeugen präsentiert. Der Mittelbandspezialist im Konzern hat als Kooperationspartner dafür eine superleichte Rohrkonstruktion aus hochfestem Stahl (HBS 800) entwickelt. Die optimierte Fahrwerkskomponente soll aufgrund des verringerten Materialeinsatzes eine Gewichtseinsparung von über 34 Prozent erlauben. Das um ein Drittel leichtere Bauteil bietet darüber hinaus laut Unternehmen Vorteile wie verkürzte Produktionszeiten und einen erheblich verringerten Verschnitt. Für Serienhersteller besonders wichtig: Für die Produktion der innovativen Rohrkonstruktion können sie ihre konventionellen Fertigungsverfahren weiter nutzen.

Als weiterer Bestandteil des neuen Fahrzeugkonzepts sind zudem Rohrstabilisatoren aus Mangan-Bor-Stahl zu nennen. Diese innovative Lösung soll eine Gewichtsersparnis von 45 Prozent bringen und aufgrund des homogenen Gefüges und engster Dickentoleranzen auch das Hochfrequenz-Schweißen zulassen. Das Konzept erlaubt außerdem variable Wanddicken, die eine weitere Gewichtsreduzierung ermöglichen. Gefertigt werden diese neuen Stahl-Leichtbaulösungen von einem Weiterverarbeiter für die Automobilindustrie. Laut Thyssenkrupp Steel Europe AG soll die Entwicklung der Kooperationspartner bei einem Projekt für den asiatischen Markt umgesetzt werden, das als Ziel ein besonders langlebiges Elektromobil vorsieht.

Innenhochdruckumformen von Aluminium-Stahl-Hybridrohren
Neben Stahl und verschiedenen Kunststoffen gehört Aluminium zu den meistverwendeten Werkstoffen im Automobilsektor. Das Verbinden von Bauteilen aus Stahl mit solchen aus Aluminium ist aber mit Problemen behaftet. An der Lösung hat das Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) gGmbH gemeinsam mit dem Laser Zentrum Hannover e.V. (LZH) gearbeitet. Das Ergebnis sind Hybridrohre aus Aluminium und Stahl (Tailored Hybrid Tubes), die sich sogar mittels Innenhochdruckverfahren umformen lassen. Dazu werden zunächst Rohrelemente aus Stahl und Aluminium mit Hilfe des Laserlötens gefügt. Anschließend ist das Innenhochdruckumformen möglich, ohne dass die Verbindung bricht. Die Entwickler sind davon überzeugt, dass sich mit dieser Technologie zukünftig besonders leichte Bauteile für Fahrzeugkarosserien herstellen lassen.

Die Innenhochdruckumformung von Hybridrohren verbindet zwei Leichtbau-Ansätze: Einerseits die Gewichtseinsparung durch die Geometrie der Bauteile, denn Rohre eignen sich generell gut für den Leichtbau, weil sie im Verhältnis zu ihrem Gewicht sehr steif und stabil sind. Andererseits lässt sich mit der Kombination von Stahl und Aluminium weiteres Gewicht einsparen. Aus dem schwereren festen Stahl werden nur die Abschnitte gefertigt, die hohen Belastungen ausgesetzt sind. Die weniger belasteten Segmente des Bauteils können dagegen aus dem leichten Aluminium bestehen. Als Beispiel werden besonders leichte Karosseriebauteile wie die Anbindungsstellen zur B-Säule genannt, bei denen die kritischen Bereiche, die etwa bei einem Unfall große Kräfte auffangen müssen, aus Stahl geformt werden.

Die Herausforderung beim Herstellen solcher Hybridbauteile besteht darin, dass sich Stahl wesentlich schwerer umformen lässt als Aluminium. Auch müssen die Rohrabschnitte so miteinander verbunden werden, dass beim Umformen keine Risse in der Fügezone entstehen. Weil sich beim Schweißen eine spröde, nicht umformbare Naht bildet, werden die Stahl- und Aluminiumrohre mittels Laserlöten verbunden. Bei diesem Verfahren wird das Aluminium-Silizium-Lot mit dem Laserstrahl lokal erwärmt und aufgeschmolzen. Der sehr geringe Wärmeeintrag verhindert dabei das Entstehen spröder Bestandteile, die die mechanischen Eigenschaften der Naht beim Umformen beeinträchtigen.

Die gelötete Fügezone hält laut Entwickler einem Druck von bis zu 900 bar stand, ohne zu reißen. Solche Drücke sind in der Innenhochdruckumformung mehr als ausreichend, um Aluminium oder Stahl zu verformen. Für eine möglichst gleichförmige Umformung und optimale Ergebnisse empfehlen die Experten die Kombination aus Stahl (E235+C) mit einer höherfesten Aluminiumlegierung (EN AW-6082).

Quelle: Messe Düsseldorf  Vorschau-Foto: marketSTEEL

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