RWI: Deutsche Stahlindustrie im Aufwind

von Alexander Kirschbaum

Die deutsche Stahlindustrie hat sich in den vergangenen Monaten positiv entwickelt, so die Einschätzung der Forscher vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in ihrem aktuellen Stahlbericht. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hat die Rohstahlerzeugung verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um 1,7 Prozent zugenommen. „Die Kapazitätsauslastung der deutschen Stahlindustrie lag im vergangenen Jahr durchschnittlich bei 86 Prozent, was im internationalen Vergleich ein außerordentlich hoher Wert ist", so Prof. Dr. Roland Döhrn, Konjunkturchef des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. In der ersten Jahreshälfte 2017 sei sie sogar noch höher gewesen.

Die Belebung der Investitionen und der Ausfuhren sorgte für eine steigende Nachfrage seitens der Stahlverwender. Die Stahlexporte haben sich hingegen im ersten Halbjahr wieder abgeschwächt, insbesondere aufgrund rückläufiger Ausfuhren in einige EU-Länder. Die Stahlimporte nahmen bis zum Jahresende zu, insbesondere die Einfuhren aus Drittländern wie China, der Türkei und Russland sind jedoch zuletzt wieder gesunken, wie aus dem RWI-Stahlbericht hervorgeht.

Rohstahlproduktion 2017: Plus von 1,5 Prozent

Der Konjunkturaufschwung in Deutschland wird sich nach Einschätzung der Wirtschaftsforscher voraussichtlich in diesem und im nächsten Jahr fortsetzen, dabei dürfte die lebhaftere Investitionstätigkeit für einen steigenden Stahlbedarf sorgen. Da die Kapazitäten der deutschen Stahlindustrie bereits gut ausgelastet sind, dürften Einfuhren von Walzstahl beschleunigt zunehmen. Die Stahlausfuhren werden zwar voraussichtlich auch steigen, allerdings wohl langsamer als die Einfuhren. Vor diesem Hintergrund rechnet das RWI mit einer Zunahme der Erzeugung von gewalzten Stahlerzeugnissen in diesem und im nächsten Jahr, jedoch langsamer als in den ersten Monaten dieses Jahres. Bei der Rohstahlerzeugung erwartet das Institut ein Plus von 1,5 Prozent gegenüber 2016 auf 42,7 Millionen Tonnen. 2018 dürfte sie nochmals auf 43,1 Millionen Tonnen steigen.

Globale Rohstahlerzeugung hat neuen Höchststand erreicht

Auch die globale Stahlindustrie ist seit dem Frühjahr 2016 im Aufwind, die Stahlerzeugung erreichte einen neuen Höchststand. Der Anstieg der Rohstahlerzeugung scheint ein globales Phänomen zu sein, sie nahm in nahezu allen Regionen zu. Offenbar haben der lebhaftere Welthandel und nach längerer Flaute wieder steigende Investitionen die Nachfrage nach Stahl belebt, so der RWI-Stahlbericht. Die Auslastung der globalen Produktionskapazitäten hat sich damit zwar verbessert, der Auslastungsgrad bleibt mit 72 Prozent jedoch gering. Zwischenzeitlich anziehende Stahlpreise und die steigende Kapazitätsauslastung dürften die Margen der Stahlproduzenten etwas verbessert haben. Allerdings haben sich zeitweise auch die Rohstoffe für die Stahlherstellung spürbar verteuert.    

Die weltweite Rohstahlerzeugung hat in den ersten fünf Monaten dieses Jahres den Vorjahreswert bereits um 4,5 Prozent übertroffen. Die aktuellen Stimmungsindikatoren deuten zudem auf ein Anhalten des weltwirtschaftlichen Aufschwungs hin. Vor diesem Hintergrund erwartet das RWI eine Zunahme der Rohstahlerzeugung weltweit um jeweils rund 3 Prozent in diesem und im kommenden Jahr. Voraussetzung hierfür ist, dass es nicht zu handelsbeschränkenden Maßnahmen kommt.

Abbau weltweiter Überkapazitäten nötig

Trotz der guten konjunkturellen Aussichten für die Stahlindustrie weltweit und in Deutschland bleibt das Problem der Überkapazitäten den Wirtschaftsforschern zufolge bestehen. Denn selbst wenn die globale Stahlproduktion im erwarteten Maße zunimmt, dürfte dies den Auslastungsgrad kaum verbessern. Hinzu kommt die Gefahr einer handelspolitischen Eskalationsspirale im Stahlsektor: Die Vereinigten Staaten drohen mit handelspolitischen Maßnahmen gegen europäische Produzenten. Die EU hat für diesen Fall bereits mit Abwehrmaßnahmen gedroht. Ihrerseits ist die EU bereits handelspolitisch aktiv geworden und beschränkt die Einfuhren von „Billigstahl" aus China und einigen anderen Ländern. Im Falle einer Eskalation wären die Verlierer wohl die Stahlverwender, die in jedem Fall mehr für Stahl bezahlen müssten, ihn bisweilen womöglich sogar nicht in den gewünschten Mengen oder Qualitäten beschaffen könnten.

Um die Lage grundlegend zu verbessern, müssten die Erzeugungskapazitäten zurückgeführt werden, so das Resümee des RWI. Dies scheint aber offenbar selbst in China schwer zu fallen, wo die Möglichkeiten staatlicher Eingriffe größer sind als in vielen anderen Ländern. Noch schwieriger sei die Situation in Europa. Dort würden selbst hoch-defizitäre Stahlwerke „gerettet", um Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen zu erhalten. „Unter diesen Voraussetzungen wird der Druck auf die europäischen Stahlpreise anhalten, mit oder ohne Importe aus China", erwartet Roland Döhrn.

Quelle: RWI  Vorschau-Foto: Fotolia

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