Ist der Stahlhandel bereit für Industrie 4.0?

von Alfons Woelfing

Höhere Flexibilität, kostengünstige Produktion sowie eine verbesserte Planung und Logistik: alles Vorteile, die sich mit digitalen Prozessen im Stahlhandel einfach erzielen lassen. Doch wie steht es in der Branche wirklich um das Thema Industrie 4.0 und dessen Umsetzung? Und welche Rolle spielen Online-Portale, Systemlieferanten oder das Outsourcing von Materialbevorratung und Anarbeitung? In einer neuen Studie ging Günther + Schramm diesen Fragen auf den Grund. Der Systemlieferant für Stahl, Edelstahl und Aluminium befragte insgesamt 77 Unternehmen aus der metallbe- und -verarbeitenden Industrie zu aktuellen Trends und Entwicklungen im Stahlhandel.

Digitale Dienstleistungen bieten der Stahlbranche neue Möglichkeiten, noch zielgerichteter auf Kundenanforderungen zu reagieren. Viele Stahlhändler folgen daher dem boomenden Trend und rufen Online-Shops ins Leben. Die Umfrage von Günther + Schramm hat jedoch ergeben, dass 88 Prozent der Befragten ihre Produkte noch nicht online bestellen. Hauptgründe sind eine Doppelführung von hauseigenem ERP-System und Webshop sowie zu geringe IT-Kapazitäten. Dabei gehen Online-Shops heute schon weit über die normale Bestellfunktion hinaus und fungieren vielmehr als Informationsplattformen. „In unserem Online-Portal können unsere Kunden beispielsweise die Verfügbarkeit von Artikeln einsehen sowie Werkstoffdatenblätter und Zolltarifnummern mit nur einem Klick abrufen – ein Service, der vermehrt in Anspruch genommen wird“, erklärt Jörg Mayer, Leiter Material- und Prozesslogistik bei Günther + Schramm.

Schritt für Schritt zum digitalen Stahlhandel?

Für 73 Prozent der Befragten ist die vollständige Digitalisierung im klassischen Stahlhandel noch Zukunftsmusik. Sie wissen zwar um deren Vorteile, sehen aber noch keinen konkreten Handlungsbedarf. Ebenso sind automatisierte Prozesse und Anlagen für mehr als die Hälfte (54 Prozent) noch nicht relevant, wie auch das Online-Einsehen der Produktverfügbarkeit (55 Prozent). Auch die papierlose Auftragsabwicklung per EDI ist laut Befragung noch nicht in der konservativen Stahlbranche angekommen: Nur 23 Prozent der Studienteilnehmer setzen bereits auf den elektronischen Datenaustausch. Analoge Bestellmethoden via Fax, E-Mail oder Telefon machen in diesem Fall noch immer das Rennen. Die Teilnehmer, die EDI nutzen, sehen jedoch deutliche Vorteile: Alle profitieren von einem schnellen Datentransfer und Bestellvorgang, 67 Prozent erzielen eine Entlastung des Personals und 67 Prozent reduzieren mittels EDI ihre Prozess- und Verwaltungskosten. In Bezug auf zukunftsfähigen Stahlhandel erachten die Befragten hingegen folgende Punkte als wichtig: individuell zugeschnittene Servicekonzepte (85 Prozent), Just-in-time-Lieferung (81 Prozent) sowie die Vereinfachung des Bestellverfahrens (70 Prozent). Laut den Ergebnissen sehen die Studienteilnehmer eine digitale Entwicklung in der konservativen Stahlbranche, springen aber noch nicht auf den Zug auf und bleiben ihren traditionellen Mustern treu.

Systemdienstleister sind gefragt

Die Material- und Lagerlogistik wird für die metallverarbeitende Industrie anspruchsvoller: Alle Materialien müssen in immer kürzeren Zeitspannen den Montagebereichen zur Verfügung gestellt werden. Die Produkt- und Teilevielfalt nimmt zu, Losgrößen werden kleiner. Unternehmen setzen daher vermehrt auf die Zusammenarbeit mit Dienstleistern. 64 Prozent der Befragten sehen in dieser Tatsache vor allem eine deutliche Optimierung der eigenen Logistikprozesse. Knapp dahinter liegt für 61 Prozent der Teilnehmer der Vorteil der Kostensenkung. Auch die Fokussierung auf die Kernkompetenzen ist für 44 Prozent ein wichtiges Argument, das für die Kooperation mit einem Systemdienstleister spricht. Die Reduzierung von Produktionszyklen spielt für rund 14 Prozent der Befragten eine Rolle. „Werkstofflieferanten fungieren heute weniger als Distributoren. Sie sind vielmehr strategische Partner, die eine individuell zugeschnittene Versorgung mit Materialien sowie zusätzliche Mehrwertleistungen sicherstellen müssen“, erklärt Jörg Mayer.

Mit Outsourcing zu mehr Wirtschaftlichkeit?

Zunehmender Kostendruck, rasante technologische Fortschritte und der steigende Bedarf an Produktionsflächen zwingen immer mehr Unternehmen dazu, ihre strategische Ausrichtung zu überdenken und neue Wege einzuschlagen. Outsourcing-Modelle sind eine Möglichkeit, um diese Herausforderung zu meistern und wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Die Umfrageresultate von Günther + Schramm ergeben jedoch das Gegenteil: Nur acht Prozent der befragten Unternehmen denken derzeit über ein Outsourcing nach. „Die Wirtschaftlichkeit des Outsourcings scheint für die Branche noch nicht offensichtlich zu sein. Die höhere Produktivität des externen Dienstleisters sowie die größeren Beschaffungsvolumina und eine bessere Maschinenauslastung führen jedoch schnell zu Kostenvorteilen. Mit dem Outsourcing wird gleichzeitig eine Verlagerung der Risiken auf den neuen Partner erreicht. Kosten für Ausschuss und Schrott, die Wartung der Maschinen sowie zukünftige Investitionen fallen ebenfalls beim Zulieferer an“, erklärt Mayer. Zehn Prozent der Teilnehmer setzen derzeit auf die Fremdvergabe von Materialbevorratung und Anarbeitung. Die Kostensenkung spielt dabei für alle eine entscheidende Rolle. Ein reduzierter Personalaufwand sowie die Vermeidung zusätzlicher Investitionen sind weitere Aspekte, die für ein Outsourcing sprechen.

Fazit

Die Entwicklung hin zum vernetzten und digitalisierten Stahlhandel ist derzeit noch nicht zu erkennen. Viele mittelständische Unternehmen sind sich zwar der Vorteile von Industrie 4.0 bewusst, wissen diese für das eigene Geschäft aber noch nicht effektiv umzusetzen. Es fehlt ihnen an einem konkreten Lösungsweg zur Digitalisierung und Vernetzung von Prozessen. Viele Stahlhändler sind dabei schon auf einem guten Weg und bieten beispielsweise Online-Shops für einen einfachen und schnellen Bestellvorgang an. Das Potential wird aber von der verarbeitenden Industrie noch nicht voll ausgeschöpft. Um langfristig auf dem Markt konkurrenzfähig zu bleiben und den Kunden einen echten Mehrwert zu bieten, sollten sich Unternehmen jedoch neu aufstellen und offen für digitale Prozesse sein. Nur so kann der Stahlhandel auch weiterhin zukunftsfähig bleiben.

Quelle und Fotos: Günther + Schramm GmbH

Zurück