Gibt es eine relevante Zahlungsbereitschaft für grüne Produkte?

von Dagmar Dieterle

Interview mit Nicole Voigt, Managing Director & Partner, Boston Consulting Group

 

marketSTEEL: Die europäische Stahlindustrie unternimmt die ersten Schritte zur Dekarbonisierung der Stahlherstellung. Dies hat seinen Preis. Grüner Stahl wird erheblich teurer in der Produktion sein. Wer soll das bezahlen?

Am Ende müssen die Konsumenten und Konsumentinnen die höheren Kosten bezahlen. Aber sind sie auch bereit dafür? Um dies herauszufinden, haben wir im Vorfeld der Weltklimakonferenz Käuferinnen und Käufer von Autos und Waschmaschinen gefragt, ob und wieviel mehr sie für ein CO2-neutral produziertes Produkt bezahlen würden. Befragt wurden ausschließlich Personen, die in den letzten sechs Monaten ein entsprechendes Produkt erworben hatten. Diese Umfrage haben wir in Japan, China, Deutschland, Frankreich, Polen, dem Vereinigten Königreich und den USA durchgeführt. Es ging dabei immer um das Endprodukt, also nicht explizit um Stahl oder andere Rohstoffe.

Interessanterweise finden wir erhebliche Unterschiede zwischen den Regionen. Eine Überraschung für mich: In China ist die Zahlungsbereitschaft für CO2-neutrale Produkte deutlich höher als in Europa oder den USA. In den USA gibt es große Unterschiede. Ein Teil der Klientel sagt: CO2-Emissionen sind mir egal, für einen anderen Teil ist das Thema CO2-Reduktion ein wichtiges Anliegen.

Die Ergebnisse der Studie habe ich auf der Weltklimakonferenz im Rahmen einer Panel-Diskussion vorgestellt. Auf diesem Panel saßen Vertreter der Eisen- und Stahlindustrie, Zulieferer und Automobilhersteller. Wir wissen also, dass der Endkunde bereit wäre, für ein CO2-neutrales Auto einen deutlich höheren Preis zu bezahlen. Im Moment ist das natürlich rein hypothetisch, denn dieses Auto gibt es ja noch nicht. Eine wichtige Frage ist, wie sich die höhere Zahlungsbereitschaft auf die gesamte Wertschöpfungskette aufgliedert. Klar ist, dass die Materialindustrie den größten Aufwand bei der Dekarbonisierung ihrer Produkte hat.

Wie lassen sich Emissionen entlang der Wertschöpfungskette verfolgen?

In der Panel-Diskussion war die Meinung einstimmig: Wenn wir Dekarbonisierung über höhere Verbraucherpreise organisieren wollen, brauchen wir ein CO2-Accounting über die Wertschöpfungskette. Das sorgt für Glaubwürdigkeit beim Endkunden, generiert Vertrauen zwischen den unterschiedlichen Akteuren in der Wertschöpfung. Erzlieferanten können ihren Produkten in Zukunft einen sogenannten „Embedded Carbon Footprint“ (also eine Berechnung des ausgestoßenen CO2 für jede Schiffsladung verkauftes Eisenerz) mit auf den Weg geben. Das ist der erste Schritt. Diese Kennzahl nimmt dann der Stahlhersteller wiederum in seinen Prozess auf.

Aus Stahlherstellersicht gibt es dann nicht nur die Möglichkeit, die eigenen Emissionen und die aus zugekaufter Energie (Scope 1 und 2) zu verfolgen, sondern auch die Emissionen aus bezogenen Rohstoffen (Scope 3). Diese Werte geben die Stahlhersteller an die Tier 1 und Tier 2-Produzenten weiter und diese wiederum an den Hersteller des Endproduktes – also den Autohersteller. Dr. Thomas Becker, Leiter Nachhaltigkeit und Mobilität bei BMW, erklärte in der Panel Diskussion zur Dekarbonisierung von emissionsintensiven Industrien, dass demnächst der Carbon Footprint des Autos, gemeinsam mit den bisherigen technischen Daten, an die Händler berichtet wird, die dann CO2-Transparenz für Kaufinteressenten schaffen können.

Ein anderes Beispiel ist der weltweit tätige Stahl- und Metallhändler Klöckner & Co, der über seine Nexigen® Data Services Lösung die CO2-Emissionen entlang der Wertschöpfungskette über eine Blockchain-Lösung transparent und sicher offenlegt.

Unabhängig von der konkreten Technik, mit der das Accounting von Dekarbonisierung protokolliert wird und wie Daten entlang der Wertschöpfungskette geteilt werden, z.B. in einer Blockchain-Lösung, ist wichtig, dass die Daten verifiziert wurden. Wer kontrolliert diese Daten? Dies könnten die bekannten Zertifizierer sein. Da müssen wir noch an einer Lösung arbeiten.

In der eigenen Branche (also z.B. Stahl) fällt es möglicherweise noch auf, wenn Zahlenwerte in sich nicht stimmig sind. Komplex wird es, wenn auf Plattformen wie Catena-X ganz unterschiedliche Rohstoffe gehandelt werden. Wird sich eine rohstoffspezifische Logik (z.B. nur für Stahl) etablieren?  Wird sich ein akzeptierter, metallübergreifender Carbon Footprint etablieren?  Das sind zurzeit noch einige der Fragen, die sich bei der Etablierung einer transparenten Dekarbonisierungs-Strategie stellen.

marketSTEEL: Zurück zum Endkunden: Sie haben ja in der Studie festgestellt, dass es grundsätzlich eine große Zielgruppe gibt, die bereit ist für dekarbonisierte Produkte einen höheren Preis zu bezahlen. Wie erreiche ich diese Zielgruppe konkret?

Grüne Produkte müssen klar identifizierbar sein. Es müssen Strategien mit Händlern gefunden und Vereinbarungen getroffen werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, erzielte Emissionsreduzierungen den Endprodukten zuzurechnen. Häufig werden Emissionsreduktionen auf den gesamten Output umgerechnet. Denkbar ist aber auch, eine maximal grüne Produktserie zu haben, der die Emissionsreduktionen zugerechnet werden, während die anderen Produktserien erstmal bei ihrem alten Carbon Footprint bleiben. Die Supply Chain so exakt an den Endkunden auszurichten, ist für einen Automobilhersteller natürlich sehr herausfordernd. Aber die Studie zeigt, dass es in jedem Land ein mehr oder weniger großes Segment für „grüne Produkte“ gibt. Wenn ein Hersteller diesen Markt nicht erschließt, lockt dies neue Wettbewerber an, was wir bereits in anderen Industrien gesehen haben – das Beispiel Tesla hat gezeigt, wie schnell sich die Märkte verändern können. Ich habe hier keine definitive Lösung für die Hersteller, aber man sieht wie wichtig das Thema für die Konzernstrategie ist.

Wir haben in unserer Studie auch die Zahlungsbereitschaft für CO2-neutrale Waschmaschinen abgefragt, bei denen die preislichen Hürden natürlich viel geringer sind. Hier ist die „Willingness to Pay“ bei einem Preisaufschlag von beispielsweise zurzeit etwa 40 Euro schon jetzt sehr hoch.

marketSTEEL: Wird es also wirklich so laufen, dass es in Zukunft Premiumprodukte mit stark CO2-reduziertem Stahl gibt, für die Endkunden dann freiwillig Aufschläge von ca. 10 Prozent bezahlen?

Wir haben die konkreten Kosten berechnet, die entstehen, wenn man die Herstellungskette eines Autos dekarbonisiert. Wir haben dabei jedes Material durchgespielt, auch in Hinblick darauf, was in den nächsten 20 Jahren technisch bei der CO2-Reduzierung möglich ist. Für nicht-dekarbonisierbare Restemissionen haben wir Kosten für Offsetting angesetzt. Wenn wir uns die Summe der zusätzlichen Kosten anschauen, dann bin ich fest davon überzeugt, dass dieses Net-Zero-Auto eine sehr gute Perspektive hat. Für den Käufer wird am Ende der CO2-Rucksack des Autos entscheidend sein, nicht der Beitrag jedes einzelnen Bestandteils. Um diesen Wert berechnen zu können, müssen aber alle Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette erfasst und über alle Stufen nachvollziehbar weitergereicht werden.  

 

Fotos: BCG, fotolia, marketSTEEL

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